Methylphenidat

Methylphenidat (Ritalin®, Concerta®) ist ein zentralnervöses Stimulans. Chemisch kann es – wie z.B. Amphetamin oder Ephedrin – den nicht-katecholaminen Sympathomimetika zugeordnet werden. Die Substanz wurde im Jahr 1944 in der Firma Ciba (heute: Novartis) synthetisiert und ab den 1950-er Jahren gegen chronische Müdigkeit, Lethargie, senile Verwirrung und Psychosen vermarktet.(1) Methylphenidat ist in der Schweiz zur Behandlung von Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen bei Kindern und Jugendlichen zugelassen; Ritalin® ist auch zur Therapie der Narkolepsie bei Erwachsenen zugelassen.

Pharmakologie

Im Zentralnervensystem erhöht Methylphenidat die Konzentrationen von Dopamin und von Noradrenalin. Diese Wirkung kommt wahrscheinlich ausschliesslich durch eine Wiederaufnahmehemmung der beiden Neurotransmitter aus dem synaptischen Spalt zustande. Dazu blockiert Methylphenidat die zellulären Transportsysteme für Dopamin und Noradrenalin in die Zelle. Man weiss, dass Dopamin den zerebralen Metabolismus beeinflusst. Zumindest teilweise dürfte dies die Wirkung von Methylphenidat auf kognitive Funktionen und Aufmerksamkeit erklären. In der Peripherie steigert Methylphenidat durch die indirekte sympathomimetische Aktivität die Plasma- Konzentration von Noradrenalin. Auf diese Weise wirkt die Substanz am Herzen positiv inotrop und chronotrop, und der vaskuläre Tonus wird erhöht. Der systolische und der diastolische Blutdruck kann ansteigen. Subjektiv kann Methylphenidat ein Hochgefühl, Ängstlichkeit und Unruhe erzeugen.(1)

Kinetik und Galenik

Methylphenidat wird gastrointestinal gut resorbiert. Schon präsystemisch wird die Substanz extensiv metabolisiert; durchschnittlich sind nur 30% bioverfügbar. Die Verteilung in das zentrale Nervensystem erfolgt grösstenteils durch passive Diffusion. Methylphenidat wird hauptsächlich durch die Hydrolysierung zu Ritalinsäure eliminiert. Die terminale Halbwertszeit beträgt rund 3 Stunden. Die Stoffwechselprodukte und wenig unverändertes Methylphenidat werden mit dem Urin ausgeschieden. (1)

Um eine längere Wirkdauer zu erreichen, ist in den 1980-er Jahren ein Präparat entwickelt worden, das verzögert resorbiert wird (Ritalin® SR). Es zeigte sich jedoch, dass dieses reine Retardpräparat gegenüber dem nicht-retardierten Methylphenidat besonders in den ersten Stunden nach der Einnahme klinische Nachteile haben kann. Weiterentwicklungen sind Concerta ® und Ritalin® LA, die Methylphenidat zuerst rasch und anschliessend verzögert freisetzen (vgl. Tabelle 1). Galenisch beruht Concerta® auf einer OROS-, Ritalin® LA auf einer SODAS- Technologie (OROS = «Oral Osmotic System»; SODAS = «Spheroidal Oral Drug Absorption System»).(2) Eine fettreiche Mahlzeit verändert die Kinetik von Ritalin® SR (grössere Fläche «unter der Kurve») und von Ritalin® LA (Plasmaspitzenwerte verzögert). Gemäss einer systematischen Übersicht ist Ritalin®LA in den ersten vier Stunden stärker wirksam als Concerta®, anschliessend ist Concerta® wirksamer.(3)

Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) bei Kindern

Mangelnde Aufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität sind die drei Hauptmerkmale einer Verhaltensstörung, die mit verschiedenen Namen bezeichnet wird. Die verschiedenen Namen beruhen auf unterschiedlichen diagnostischen Kriterien: Nach der internationalen Klassifikation der WHO (ICD- 10) wird die Diagnose «Hyperkinetisches Syndrom» (HKS) gestellt, nach dem amerikanischen «Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders» (DSM-IV) findet man eine «Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung» (ADHS). Die Diagnose nach ICD-10 ist restriktiver, da ein Nebeneinander von Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität vorausgesetzt wird, während nach DSM-IV auch singuläre Störungen (eher unaufmerksam, eher hyperaktiv, gemischt) ausreichen.

Die Diagnosestellung ist zeitbeanspruchend, vielschichtig und erfordert entsprechende klinische Erfahrung. Sie umfasst eine vertiefte, differenzierte entwicklungspsychologische Untersuchung sowie eine umfassende Eigen- und Fremdanamnese. Die Symptome müssen über 6 Monate bestehen und bereits vor dem 7. Altersjahr beobachtet worden sein. Die wichtigste diagnostische Schwierigkeit beruht auf der Tatsache, dass die Hauptsymptome unspezifischer Natur sind und ganz verschiedene Ursachen (z.B. schulische Überforderung bei kognitiver Behinderung) haben können. Schematische Kriterien, wie sie in Tabelle 2 zusammengestellt sind, dürfen deshalb nicht überbewertet werden.

Nach britischen Angaben beträgt die Prävalenz der ADHS etwa 5% und der HKS rund 1%.(4) Im Kanton Zürich wurde in den 1990-er Jahren bei 6- bis 17-Jährigen eine Prävalenz von 5,2% (ADHS) beobachtet.(5)Epidemiologisch ist die ADHS bei männlichem Geschlecht, jungem Alter und niedrigem sozioökonomischen Status gehäuft. Die Komorbidität ist hoch und betrifft vorab Verhaltens- und psychiatrische Störungen sowie Drogenmissbrauch.(6) Die Krankheit kann in der Adoleszenz und im Erwachsenenalter persistieren, nimmt mit zunehmendem Alter allerdings ab. In Nachuntersuchungen wiesen zwischen 40 und 86% der meist männlichen Probanden fortbestehende ADHS-Symptome auf.(7)

Zur Behandlung der ADHS werden Psychotherapie, Verhaltenstherapie, sonderpädagogische und entwicklungsfördernde Massnahmen sowie Medikamente eingesetzt. Medikamentös stehen Stimulanzien (in der Schweiz fast nur Methylphenidat) im Vordergrund.

Der Verbrauch von Methylphenidat hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Das belegen Studien aus vielen westlichen Ländern.(6) In der Schweiz wurde der Kanton Neuenburg exemplarisch untersucht: Während im Jahr 1996 40 Kinder (5- bis 14-jährig) mit Methylphenidat behandelt wurden, waren es im Jahr 2000 348, d.h. fast achtmal mehr. Im Jahr 2000 erhielten 2,9% aller im Kanton Neuenburg wohnhaften Knaben und 0,9% aller Mädchen Methylphenidat.(8)

Klinische Studien (Pädiatrie)

Ziel der klinischen Studien mit Methylphenidat sollte nicht allein der Wirkungsnachweis gegenüber Placebo, sondern vielmehr die Bestimmung des Stellenwerts des Medikamentes im Rahmen einer multimodalen Therapie sein. Dazu ist zu beachten, dass die Wirkungen von psychotropen Medikamenten oder von Placebo im Setting «klinische Studie» in der Regel besser sind als im Alltag. Um die Vor- und Nachteile einer chronischen Einnahme bewerten zu können, sind kontrollierte Nachfolgeuntersuchungen nötig.

Vergleiche mit Placebo

Herkömmliches (nicht-retardiertes) Methylphenidat ist in mehreren randomisierten Studien mit Placebo verglichen worden, aber jeweils nur über kurze Zeit. Die grösste systematische Übersicht (62 Studien) umfasst die Daten von 2897 Kindern (medianes Alter: 9 Jahre; 88% Knaben). Gemäss dieser Metaanalyse wird sowohl der von den Lehrerinnen und Lehrern als auch der von den Eltern ermittelte Hyperaktivitätsindex (sogen. Conners-Skalen) durch Methylphenidat signifikant stärker gesenkt als durch Placebo. Die Beurteilung durch die Eltern fiel dabei aber gesamthaft weniger günstig aus. Aus der Sicht der Eltern konnte in Studien, in denen bestimmte «Kernsymptome » (Hyperaktivität/Impulsivität, Unaufmerksamkeit und Widerstand/Aufsässigkeit) separat beurteilt wurden, für diese Symptome keine signifikante Wirkung gefunden werden. Die Autoren der Arbeit weisen auch darauf hin, dass Studien mit negativen Resultaten kaum veröffentlicht wurden und deshalb nicht berücksichtigt werden konnten («publication bias»).(9)

Die MTA-Studie

Die «Multimodal Treatment Study of Children with ADHD» (MTA) diente der längerfristigen Untersuchung verschiedener Behandlungsmodalitäten bei Kindern, die initial 7 bis 10 Jahre alt waren. 579 Kinder mit einer ADHS (nach DSM-IV, Mischtyp) wurden für 14 Monate vier verschiedenen, gleich grossen Gruppen zugeteilt: eine Gruppe wurde nur medikamentös (mit Methylphenidat, eventuell mit anderen Mitteln), die zweite Gruppe nur mit Verhaltenstherapie, die dritte kombiniert mit Medikamenten und Verhaltenstherapie behandelt. Bei einer vierten Gruppe war die Behandlung frei («community care»). Die Verhaltenstherapie umfasste ein Eltern-Training, ein Sommerlager, Sitzungen mit den Kindern und schulische Massnahmen.

Bei den 289 Kindern, die einer der beiden Gruppen mit medikamentöser Therapie zugeteilt wurden, erfolgte zunächst eine vierwöchige doppelblinde Dosistitration gegen Placebo. Bei 68% dieser Kinder konnte eine individuell wirksame Methylphenidat- Dosis festgelegt werden (durchschnittlich 30 mg/Tag). 11% der Kinder sprachen in dieser Phase so gut auf Placebo an, dass in der folgenden Phase zunächst auf eine aktive Medikation verzichtet wurde.(10) Am Ende der 14 Monate hatten die ADHSSymptome in allen Gruppen deutlich abgenommen. Bei Kindern, die Methylphenidat erhielten, fand sich jedoch eine signifikant deutlichere Besserung. Die durchschnittliche Methylphenidat- Dosis lag bei Kindern, die eine kombinierte Behandlung erhielten, niedriger (31 mg/Tag) als bei denjenigen, die nur medikamentös behandelt wurden (38 mg/Tag). In Bezug auf bestimmte Aspekte – z.B. Aggressivität, soziales Verhalten – ergab die kombinierte Behandlung bessere Resultate als die Verhaltenstherapie allein oder «community care». Dies war für die ausschliesslich medikamentöse Behandlung nicht der Fall.(10) Das weniger günstige Schlussresultat der Verhaltenstherapie allein erklärt sich eventuell teilweise durch die Tatsache, dass diese Behandlung im Laufe der Studie allmählich weniger intensiv erfolgte.

In der Folge konnte wieder frei über die Behandlung entschieden werden; während aber in den medikamentös behandelten Gruppen etwa 85% mit Methylphenidat weiterfuhren, nahmen in der Gruppe, die während der Studie nur Verhaltenstherapie erhalten hatte, später relativ wenige Methylphenidat (nur 44%). Dennoch glichen sich gemäss einer Untersuchung 10 Monate nach der Studie die verschiedenen Gruppen einander stark an.(11)

Weitere Studien

In einer randomisierten Zweijahresstudie wurden 103 Kinder mit ADHS im Alter von 7 bis 9 Jahren, die zuvor positiv auf Methylphenidat angesprochen hatten, einer der folgenden drei Gruppen zugeteilt: (1) Methylphenidat allein, (2) Methylphenidat plus multimodale psychosoziale Behandlung, (3) Methylphenidat plus Aufmerksamkeits-Training. Im Verlaufe dieser Studie kam es ebenfalls in allen Gruppen zu einer Abnahme der ADHS-Symptome. Die Wirksamkeit von Methylphenidat nahm nicht ab und die Unterschiede zwischen den Gruppen erreichten keine statistische Signifikanz.(12)
Zu den neueren lang wirkenden Präparaten liegen einige, vorwiegend kurze, kontrollierte Studien vor. In diesen waren sowohl Concerta® als auch Ritalin® LA bezüglich ADHSSymptomatik einem Placebo signifikant überlegen.3 Beide Präparate werden einmal täglich verabreicht. Insgesamt dürfte Ritalin® LA der zweimal täglichen und Concerta® der dreimal täglichen Gabe von nicht-retardiertem Methylphenidat ungefähr ebenbürtig sein.(3)

Andere Stimulanzien

Es gibt andere Stimulanzien, die bei ADHS wirksam, aber in der Schweiz nicht zugelassen sind. In den USA sind noch einige Amphetaminpräparate gebräuchlich; ausserdem ist dort das (aktive) D-Isomer von Methylphenidat separat sowie ein weiteres Mittel (Atomoxetin, Strattera®) erhältlich. Ebenfalls in den USA ist neu ein Methylphenidat-Hautpflaster zugelassen.

Methylphenidat für Erwachsene

Bei einem Teil der Personen verschwinden die Symptome der ADHS (bzw. HKS) in der Adoleszenz nicht vollständig. Während sich die Symptome Hyperaktivität und Impulsivität eher bessern, stehen bei Erwachsenen die mangelnde Aufmerksamkeit und kognitive Probleme im Vordergrund.(13) Die ADHS der Erwachsenen ist jedoch weit weniger eindeutig definiert als die Störung im Kindesalter.

Bei Erwachsenen sind nur wenige kontrollierte Studien durchgeführt worden. In einer systematischen Übersicht wurden 6 placebokontrollierte Studien mit insgesamt 253 Personen (DSM-III/IV) analysiert. Insgesamt nützte Methylphenidat signifikant besser als Placebo. Die Resultate der einzelnen Studien waren jedoch signifikant uneinheitlich: Die Unterschiede zwischen Methylphenidat und Placebo in den Bewertungsskalen (gemessen als «standardized mean difference», SMD) reichten von «minimal» bis «sehr gross». Die schlechten Bewertungen entstammten vorab der Beurteilung durch die Betroffenen selbst, die besseren der Beurteilung durch die Behandelnden. Ferner konnte gezeigt werden, dass höhere Dosen (70 mg/Tag) im Vergleich zu niedrigen Dosen (40 mg/Tag) die SMD nahezu verdoppelten.(14)

Wie bereits erwähnt, kommt Methylphenidat zur Behandlung der exzessiven Schläfrigkeit bei Narkolepsie bei Erwachsenen in Frage. Mit Modafinil (Modasomil®), dem heute als Mittel der Wahl geltenden Medikament,(15) ist Methylphenidat allerdings nicht kontrolliert verglichen worden.

Nach traumatischen Hirnverletzungen können – wie bei ADHS – Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität beobachtet werden. Der Versuch, diese Personen mit Methylphenidat zu behandeln, scheint also rational und naheliegend. Die randomisierten Studien dazu sind allerdings so klein und methodologisch ungenügend, dass vorderhand keine Schlüsse auf den möglichen Nutzen von Methylphenidat bei dieser Indikation gezogen werden können.(1)

Verschiedene Forschungsgruppen befassen sich mit der Substitution von Cocain durch Stimulanzien. Insgesamt sind die Resultate enttäuschend. Nur dann, wenn die Patienten und Patientinnen von ADHS betroffen sind, kann eine spezifische Behandlung mit Methylphenidat allenfalls sinnvoll sein – sie senkt aber den Cocain-Verbrauch nicht.(16) Bei 98 Personen unter Methadon, die zum Teil cocainabhängig waren und eine ADHS aufwiesen, ergaben sich unter retardiertem Methylphenidat allerdings keine Unterschiede zu Placebo hinsichtlich der ADHS-Symptomatik – und auch hier nahm der Cocain- Verbrauch unter Methylphenidat nicht ab.(17)

Unerwünschte Wirkungen

Methylphenidat kann mannigfache unerwünschte Wirkungen verursachen. Potentiell gefährliche Wirkungen lassen sich von der indirekten sympathomimetischen Wirkung der Substanz herleiten. Ein Anstieg der Herzfrequenz und des Blutdrucks kann sich nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Kindern ungünstig auswirken.(18) Insbesondere bei Risikopersonen sind sowohl kardiale als auch zerebrovaskuläre Komplikationen möglich. Bei Engwinkelglaukom können amphetaminähnliche Stimulanzien wie Methylphenidat theoretisch einen akuten Glaukomanfall auslösen.(1) Bei Kindern stehen Appetitlosigkeit (bei 30%), allenfalls mit Gewichtsverlust, und Schlafstörungen (bei 17%) im Vordergrund. Andere signifikante Nebenwirkungen sind motorische Tics, Reizbarkeit, Bauch- und Kopfschmerzen.(4,9) Als Entzugsphänomen – wenn eine Dosis eines Retardpräparates vergessen wird – kann bei Jugendlichen ein schmerzhafter Priapismus auftreten.(19) Der Einfluss auf das Grössenwachstum wird seit 35 Jahren kontrovers diskutiert. Eine kürzlich publizierte fundierte Analyse aller vorhandenen Daten liefert Klarheit und weist in den ersten drei Therapiejahren eine signifikante Wachstumseinbusse von rund 1 cm pro Jahr nach. Die Auswirkungen auf die Endgrösse bleiben unklar. (20) Kinder mit einer Epilepsie können mit Methylphenidat behandelt werden; es wird jedoch geraten, die Anfallshäufigkeit zu überwachen.

Missbrauch und Drogenmissbrauch

Die euphorisierende, Cocain-ähnliche Wirkung von Methylphenidat ist umso stärker, je rascher die Dopamintransporter blockiert werden. Die dazu nötige Geschwindigkeit lässt sich praktisch nur mit einer intranasalen oder intravenösen Verabreichung erreichen. Auf das Missbrauchspotential von «Vitamin R» weist z.B. eine Befragung von Schulkindern in den USA hin, in der 16% angaben, zum Handel mit Stimulanzien gefragt oder aufgefordert worden zu sein. Auch im näheren Umfeld, z.B. in der Familie der behandelten Kinder, wird über den Missbrauch von Methylphenidat berichtet.(21)

HKS und ADHS gelten vor allem dann als Risikofaktoren für eine Suchterkrankung, wenn die Betroffenen an komorbiden Verhaltensstörungen leiden. Gemäss einer Metaanalyse sollen jedoch junge Leute, die mit Stimulanzien behandelt wurden, seltener Alkohol oder Drogen missbrauchen.(6)


Dosierung und Wahl des Präparates

Anfangs sollten möglichst niedrige Dosen von nicht-retardiertem Methylphenidat verwendet werden. Die Dosis soll sodann über einige Wochen sorgfältig austitriert werden und darf maximal 1 mg/kg/Tag erreichen. Falls die morgendliche Gabe nicht reicht, können die Tabletten 2- bis 3-mal eingenommen werden. Die Entscheidung, ob auf ein retardiertes Präparat gewechselt werden soll, richtet sich nach dem Bedürfnis der Behandelten. Ist die Beeinträchtigung besonders am Morgen störend, aber auch nachmittags anhaltend, hat Ritalin® LA mit dem 50%-Anteil an «schnellem» Wirkstoff Vorteile. Sind die Probleme nachmittags schlimmer als am Morgen, sind Concerta ®- oder Ritalin® SR-Tabletten empfehlenswert. Concerta®- Tabletten sind relativ gross und nicht einfach zu schlucken. Ritalin® LA-Kapseln lassen sich öffnen und z.B. in kaltem Wasser oder Joghurt einnehmen. Die Wahl des Präparates muss auch den Nebenwirkungen angepasst werden (z.B. bei Schlafstörungen). Kinder im Alter von weniger als 6 Jahren sollten nicht mit Methylphenidat behandelt werden.

Über die notwendige Therapiedauer muss individuell entschieden werden. Die Medikation kann für Therapiepausen oder zur Überprüfung der Notwendigkeit jederzeit abgesetzt werden. Zur Behandlung der Tagesschläfrigkeit bei Narkolepsie werden Tagesdosen von 20 bis 60 mg, Einnahme zum Frühstück und zum Mittagessen, empfohlen.(22)

Kommentar

Die heute vorliegenden Studien lassen erkennen, dass Methylphenidat bei Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen von Kindern und Jugendlichen – in der Regel im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts – sinnvoll eingesetzt werden kann. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass die Diagnose einer ADHS oder eines HKS klinisch adäquat gesichert wurde. Mindestens ein Teil der Kinder ist unter Methylphenidat aufmerksamer und ruhiger.

Schwieriger ist die Beurteilung der langfristigen Auswirkung auf das Lern-, Sozial- und Freizeitverhalten. Um den weiterhin bestehenden Zweifeln, die eine psychopharmakologische Behandlung von Kindern mit sich bringt, Rechnung zu tragen, sind systematische Untersuchungen nötig, die die Auswirkungen auf die berufliche und persönliche Zukunft, insbesondere auch im Vergleich mit psychotherapeutischen Verfahren, klären.

Nach aktuellem Wissen darf angenommen werden, dass Methylphenidat nicht zu Drogenmissbrauch führt. Über die Auswirkungen auf die Entwicklung des kindlichen Zentralnervensystems weiss man aber noch immer zu wenig. Die steigenden Verkaufszahlen und die Besorgnis, dass die Diagnose zu häufig gestellt wird, sind vor diesem Hintergrund ernst zu nehmen.

Standpunkte und Meinungen

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Methylphenidat (30. August 2006)
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pharma-kritik, 28/No. 2
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