Vildagliptin

Synopsis

Vildagliptin (Galvus®) wird zur Behandlung des Typ-2- Diabetes empfohlen. 

Chemie/Pharmakologie

Vildagliptin ist wie Sitagliptin (Januvia®), das im letzten Jahr in der «pharma-kritik» vorgestellt wurde,(1) ein Hemmer der Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4). Dieses Enzym inaktiviert unter anderem zwei (auch als Inkretine bezeichnete) gastrointestinale Hormone, das Glukagon-ähnliche Peptid des Typs 1 («Glucagon- like-peptide 1», GLP-1) und das glukoseabhängige insulinotrope Polypeptid (GIP). Beide fördern die Insulinfreisetzung, die als Antwort auf eine Nahrungsaufnahme stattfindet. Dazu kommen beim GLP-1 noch andere Effekte – zum Beispiel eine Verminderung der Glukagonsekretion –, welche die Blutzuckerregulation unterstützen.

DPP-4-Hemmer führen bei Typ-2-Diabetes, den Abbau der Inkretine verzögernd, zu einer verstärkten Insulin- und einer verminderten Glukagonwirkung und damit zu einer Senkung des Blutzuckerspiegels.(2)

Pharmakokinetik

Vildagliptin wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert, so dass die Plasma-Spitzenkonzentration nach 1 bis 2 Stunden gemessen wird. Die biologische Verfügbarkeit liegt bei 85%. Vildagliptin wird zu ungefähr zwei Dritteln metabolisiert, der Rest wird unverändert ausgeschieden. Für die Metabolisierung ist in erster Linie eine Hydrolyse verantwortlich; Oxidation via Zytochrome und Glukuronidierung spielen eine unwesentliche Rolle. Der Hauptmetabolit ist nicht pharmakologisch aktiv. Die endgültige Elimination findet zu 85% über den Urin und zu 15% über den Stuhl statt. Die Halbwertszeit beträgt 2 bis 3 Stunden; die biologische Halbwertszeit dauert länger, da sich die Aktivität der DPP-4 weniger rasch normalisiert. Sowohl bei Nieren- als auch bei Leberinsuffizienz vergrössert sich die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC) abhängig vom Ausmass der Funktionseinschränkung.(2,3)

Klinische Studien

Vildagliptin ist in rund einem Dutzend klinischen Studien bei Personen mit einem Typ-2-Diabetes getestet worden, deren HbA1c-Spiegel sich zwischen 7,5% und 11% bewegte. Alle im Folgenden erwähnten Studien wurden doppelblind geführt, dauerten – sofern nicht anders erwähnt – 24 Wochen und hatten als primären Endpunkt die Senkung der HbA1c-Konzentration im Fokus.

Das Ergebnis von zwei placebokontrollierten Dosisfindungsstudien präsentierte sich nicht ganz einheitlich: während sich in der einen zwischen den drei verwendeten Vildagliptin-Dosen (einmal 50 mg, zweimal 50 mg und einmal 100 mg pro Tag) praktisch kein Unterschied ausmachen liess,(4) erwiesen sich in der anderen die beiden hohen Dosierungen der niedrigen als leicht überlegen.(5)

In drei «non-inferiority»-Studien wurde eine Monotherapie mit Vildagliptin (zweimal 50 mg/Tag) mit anderen Antidiabetika verglichen. 760 Personen behandelte man ein Jahr lang mit Vildagliptin oder Metformin (Glucophage® u.a., zweimal 1000 mg/Tag). In der Vildagliptin-Gruppe sank der durchschnittliche HbA1c-Spiegel um 1,0%, in der Metformin-Gruppe um 1,4%. Diese Differenz erlaubte keine sichere Bestätigung der Ausgangshypothese, dass Vildagliptin nicht weniger wirksam sei als Metformin.(6) Rund die Hälfte des Kollektivs konnte ein zweites Jahr lang weiter beobachtet werden, wobei das Resultat nahezu dasselbe war wie nach dem ersten Jahr.(3) In einer zweiten Untersuchung reduzierte sich der HbA1c-Wert mit Vildagliptin um 1,1%, mit Rosiglitazon (Avandia®, einmal 8 mg/Tag) um 1,3%.(7) Gegenüber Acarbose (Glucobay®, dreimal 100 mg/Tag) fiel die Abnahme des HbA1c-Spiegels zu Gunsten von Vildagliptin aus (1,4% gegenüber 1,3%).(8)

In vier Untersuchungen verabreichte man Personen, bei denen die Blutzuckerkontrolle unter der bestehenden antidiabetischen Behandlung nicht befriedigend war, zusatzlich Vildagliptin oder Placebo. In der ersten Studie hatte es sich bei der vorgangigen Therapie um Metformin (≥1500 mg/Tag) gehandelt,(9) in der zweiten um Pioglitazon (Actos®, 45 mg/Tag),(10) in der dritten um einen der Sulfonylharnstoffe Glibenclamid (Daonil® u.a., ≥7,5 mg/Tag), Glipizid (Glibenese®, ≥7,5 mg/Tag) oder Glimepirid (Amaryl ® u.a., ≥2 mg/Tag)(11) und in der vierten um Insulin (≥30 E/Tag).(12) Mit allen vier Vildagliptin-Kombinationen liess sich eine signifikant starkere Abnahme der HbA1c-Konzentration erzielen. In der Sulfonylharnstoff-Studie fiel der Unterschied zwischen den beiden verwendeten Vildagliptin- Dosen (50 und 100 mg/Tag) wenig, in der Metformin- und Pioglitazon-Studie dagegen mehr auf.

In einer weiteren Studie verteilte man 607 Personen mit bisher unbehandeltem Typ-2-Diabetes auf vier Gruppen: die erste erhielt Vildagliptin (100 mg/Tag), die zweite Pioglitazon (30 mg/Tag), die übrigen beiden Vildaglitpin und Pioglitazon zusammen (entweder die niedrigere Dosis von 50/15 mg/Tag oder die höhere von 100/30 mg/Tag). Mit Vildagliptin nahm der HbA1c-Wert um 1,1% ab, mit Pioglitazon um 1,4%, mit der niedriger dosierten Kombination um 1,7% und mit der höher dosierten um 1,9%.(13) Allerdings entspricht eine Kombinationstherapie, wie in dieser Studie angewandt, nicht den Richtlinien für die Anfangsbehandlung eines Typ-2-Diabetes.

Unerwünschte Wirkungen

Probleme, die unter Vildagliptin häufiger auftraten als unter Placebo, waren Schwindel, Kopfschmerzen, periphere Ödeme, Verstopfung, Arthralgien und Infekte der oberen Luftwege. Hypoglykämien kamen nur in Einzelfällen vor.

Eine Transaminasen-Erhöhung ist selten; hepatotoxische Wirkungen werden jedoch tendenziell häufiger unter einer Tagesdosis von 100 mg beobachtet. Während in Tierversuchen unter hohen Vildagliptin-Dosen letale Herzrhythmusstörungen aufgetreten sind, wurde in den klinischen Studien lediglich festgestellt, dass die Inzidenz eines AV-Blocks ersten Grades unter Vildagliptin höher war als in den Kontrollgruppen. Ob es sich um einen kausalen Zusammenhang handelt, bleibt einstweilen offen.

In Tierversuchen wurden unter Vildagliptin ausserdem nekrotische Hautläsionen sowie eine Beeinträchtigung der Nierenfunktion beobachtet. Beim Menschen liegen bisher keine entsprechenden Beobachtungen vor. Die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) hat aber die Zulassung aufgeschoben, solange die gute Verträglichkeit beim Menschen nicht gesichert ist.

Interaktionen

Bis jetzt sind keine Interaktionen nachgewiesen worden. Weil Vildagliptin kaum mit Zytochromen interferiert, ist diesbezüglich nicht mit relevanten Wechselwirkungen zu rechnen.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Vildagliptin (Galvus®) gibt es als Tabletten zu 50 mg. Das Medikament ist in der Schweiz zur Behandlung eines Typ-2- Diabetes bei Erwachsenen zugelassen und limitiert kassenzulässig. Die Tagesdosis – als Monotherapie oder in Kombination mit Metformin, einem Sulfonylharnstoff oder einem Glitazon – soll 50 mg nicht übersteigen. Die Zulassung in der Schweiz weicht damit deutlich von derjenigen in der EU ab, wo einerseits keine Vildagliptin-Monotherapie, anderseits jedoch in Kombination mit Metformin oder einem Glitazon eine Dosis von zweimal täglich 50 mg erlaubt ist.

Vor einer Vildagliptin-Therapie und dann alle drei Monate im ersten Jahr sollen die Transaminasen kontrolliert werden.

Bei einer Nierenfunktionsstörung mit einer Kreatinin- Clearance unter 50 ml/min, bei schwerer Leberinsuffizienz und bei deutlich erhöhten Transaminasenwerten (wenn die obere Normgrenze um mehr als 2½-mal überschritten wird) sollte Vildagliptin nicht verschrieben werden. Vorsicht geboten ist auch bei fortgeschrittener Herzinsuffizienz (NYHA III und IV), da Vildagliptin hier ungenügend untersucht ist. Zur Anwendung in der Schwangerschaft, Stillzeit und bei Personen, die unter 18 Jahren alt sind, existieren keine Daten.

Der Preis von Vildagliptin (50 mg/Tag) beträgt 45.40 Franken pro Monat. Sitagliptin (Januvia®, 100 mg/Tag), der andere DPP-4-Hemmer, ist mit 86.90 Franken fast doppelt so teuer; mangels eines direkten Vergleichs weiss man jedoch nicht, ob die beiden Mittel in diesen Dosierungen äquivalent sind. Dass eine Behandlung mit Metformin oder Sulfonylharnstoffen selbst bei höchster Dosierung auf weniger als 20 Franken pro Monat kommt, kann nur wiederholt werden. Eine kurze Übersicht zu den neueren oralen Antidiabetika findet sich in Tabelle 1.

Kommentar

Es ist frappant, wie divergent die Beurteilungen der verschiedenen Arzneimittelbehörden zu Vildagliptin ausgefallen sind. Während die amerikanische FDA wegen ungelöster Fragen in Bezug auf die Verträglichkeit noch keine Zulassung erteilt hat, in den EU-Ländern dagegen die Anwendung auch in der höheren Dosis (zweimal 50 mg pro Tag) erlaubt ist, hat man sich in der Schweiz für einen Mittelweg entschieden und die empfohlene Tagesdosis auf 50 mg beschränkt. Die Frage, ob die Tagesdosis von 50 mg wirklich einen relevanten Nutzen bringt bzw. die doppelte Menge als riskant einzustufen ist, bleibt somit offen. Jedenfalls ist festzuhalten, dass selbst die höhere, in der Schweiz nicht zugelassene Dosis eine weniger starke HbA1c- Senkung erwarten lässt als beispielsweise Metformin. Umso mehr ist bei der Anwendung der teuren DPP-4-Hemmer äusserste Zurückhaltung geboten – eine Sicht, die im Einklang steht mit aktuellen Richtlinien, die der medikamentösen Behandlung des Typ-2-Diabetes gewidmet sind.(14)

Standpunkte und Meinungen

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Vildagliptin (18. Dezember 2008)
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pharma-kritik, 30/No. 10
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