Theophyllin-Retardpräparate
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 10
, Nummer 03, PK642
Redaktionsschluss: 14. Februar 1988 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Update
In der Akutbehandlung von Asthma-Anfällen hat Theophyllin einen wichtigen, festen Platz. Viele Pneumologen beurteilen dagegen den Nutzen einer chronischen Theophyllin- Verabreichung bei obstruktiven Lungenkrankheiten recht zurückhaltend. Das Medikament verursacht häufig unerwünschte Wirkungen -- von relativ harmlosen Magenbeschwerden bis zu lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen -- und muss sorgfältig individuell dosiert werden, da grosse interindividuelle Unterschiede der Pharmakokinetik bestehen.(1)
Bei Asthma bronchiale steht heute die Aerosoltherapie (Beta- Sympathikomimetika, nach Bedarf ergänzt durch Steroide oder Cromoglicinsäure) im Vordergrund.(2) Bei Patienten, die trotz dieser Behandlung noch symptomatisch sind, kann Theophyllin eingesetzt werden. Besonders für Asthmatiker mit nächtlichen Anfällen gilt das Medikament als sehr nützlich. Retardierte Präparate haben es leichter gemacht, den als therapeutisch wirksam und sicher betrachteten Plasmaspiegel von 10 bis 20 mg/l einzuhalten.
Ob sich der Einsatz von Theophyllin bei chronischer Bronchitis lohnt, ist dagegen nach wie vor nicht gesichert.(3)
Neue Präparate
Seit der 1982 in pharma-kritik veröffentlichten Theophyllin- Übersicht hat sich die Zahl der Theophyllin-Retardpräparate verdoppelt. In Tabelle 1 sind die 1988 erhältlichen Präparate zusammengestellt. Eine wesentliche Änderung der zurückhaltenden Einstellung gegenüber einer Theophyllinbehandlung hat sich aus den neuen Präparaten nicht ergeben.
Ein Präparat (Unifyl® retard) soll sich für eine einmal tägliche Einnahme eignen (siehe unten). Für alle anderen wird empfohlen, das Medikament zweimal, eventuell dreimal täglich einzunehmen, um Plasmaspiegel im therapeutischen Bereich zu gewährleisten. Da nur wenige vergleichende Studien ausgeführt worden sind, fällt es schwer, einem dieser Präparate den Vorzug zu geben. Sicher bestehen Unterschiedeim kinetischen Verhalten verschiedener Präparate; vor einem unbedachten Präparatewechsel muss deshalb gewarnt werden.
Theophyllin einmal täglich?
Unifyl® retard soll «eine entscheidend vereinfachte, bedarfsangepasste » Therapie für Asthmapatienten darstellen. Dieser Aussage liegt die Überlegung zugrunde, dass Asthmatiker nachts und frühmorgens besonders häufig an Atemnot leiden. Wird Unifyl® einmal täglich, am Abend, eingenommen, so ergeben sich etwa 10 Stunden später maximale Plasmakonzentrationen. In einer Studie hat eine als Unifyl® verabreichte Theophyllin-Dosis von 800 mg morgendliche Plasmaspiegel von durchschnittlich 19,8 mg/l, also annähernd toxische Konzentrationen, er-zeugt.(4) Da Theophyllin in der Nacht langsamer resorbiert wird als am Tag,(5) resultiert allerdings mit anderen Retardpräparaten in der Nacht eine ganz ähnliche Verzögerung der Konzentrationsspitzen im Plasma.(4) Studien, bei denen Unifyl® und ein anderes Retardpräparat in gleich hoher Einmaldosis verglichen worden wären, liegen nicht vor.
Werden Retardpräparate nur einmal täglich eingenommen, so ergeben sich viel stärkere Schwankungen der Plasmaspiegel als mit mehreren täglichen Dosen. Wie erwähnt, besteht bei Einzeldosen von mehr als 600 mg das Risiko, dass zu hohe Plasmaspitzenwerte erreicht werden. Anderseits genügt eine Einmaldosis nicht, um die Plasmaspiegel während 24 Stunden im therapeutischen Bereich zu halten. Dies gilt auch für Unifyl®.
Die mit Unifyl® erreichten Verbesserungen der Atemfunktion bleiben beim Erwachsenen im allgemeinen auch tagsüber nachweisbar.(4,6) Bei Kindern ist dieser Nachweis bisher nicht gelungen;(7) deshalb rät auch die Herstellerfirma bei Kindern zu zwei täglichen Dosen.
Unifyl® unterscheidet sich also nach heutigem Wissen nicht so entscheidend von anderen Theophyllin-Retardpräparaten, dass ihm eine besondere Stellung zugesprochen werden könnte.
Unerwünschte Wirkungen
Adäquat dosierte Theophyllin-Retardpräparate ermöglichen, toxische Plasmakonzentrationen und die damit verbundenen Gefahren (Konvulsionen, Hypotonie, Arrhythmien) zu vermeiden. Andere unerwünschte Wirkungen (Schlafstörungen, Nervosität, Kopfschmerzen, Herzklopfen, Brechreiz/Erbrechen, Bauchbeschwerden) scheinen weniger vom Plasmaspiegel abzuhängen. In einer retrospektiven Untersuchung mit Unifyl® hatten jedenfalls nur knapp über 50% der Patienten keine Nebenwirkungen.(8)
Praktische Hinweise
Die folgenden Hinweise sollen dazu beitragen, eine Theophyllin- Behandlung erfolgreich und gefahrlos zu gestalten.
-- Die Anfangsdosis soll ganz niedrig gehalten und -- sofern vertragen -- langsam (alle 3 bis 7 Tage) schrittweise gesteigert werden, bei Kindern bis zu 8 Jahren bis zu 20 mg/kg/Tag, bei älteren Kindern und bei erwachsenen Rauchern bis zu 17 mg/kg/Tag und bei erwachsenen Nichtrauchern bis zu 10 mg/kg/Tag.
-- Besondere Vorsicht ist bei Kranken mit Cor pulmonale, mit schwerer Herzinsuffizienz oder mit Leberinsuffizienz angezeigt. In der letzteren Gruppe erzeugen Tagesdosen von 2 bis 3 mg/kg bereits Plasmakonzentrationen im therapeutischen Bereich.
-- Etwa vier Stunden nach der Einnahme eines Retardpräparates am Tag kann mit maximalen Plasmakonzentrationen gerechnet werden. Wird nur eine abendliche Dosis eingenommen, so empfiehlt sich eine Kontrolle am frühen Morgen. Eine Bestimmung soll erfolgen, wenn während mindestens drei Tagen regelmässig die gleiche Tagesdosis (entsprechend den oben erwähnten Richtlinien) eingenommen worden ist. Weitere Bestimmungen sind notwendig, wenn die Dosis erhöht wird, toxische Wirkungen vermutet werden oder wenn sich die klinische Situation geändert hat (febrile Infekte, emzymhemmende Medikamente!).
-- Bei Patienten, die mit oralen Theophyllinpräparaten behandelt werden, ist in Notfällen höchste Vorsicht angezeigt: eine intravenöse Aminophyllin-Injektion kann akut zu einer gefährlichen Überdosierung führen. (Vorher Plasmaspiegel bestimmen!)
-- Einzelne Retardtabletten können halbiert werden. Retardpräparate sollen aber nicht zerdrückt, zerkaut oder aufgelöst werden, da ihre Retardierung sonst aufgehoben würde.
-- Patienten, die wegen nächtlichen oder frühmorgendlichen Asthma-Anfällen eine hohe Abenddosis einnehmen müssen, erhalten diese mit Vorteil kurz vor dem Zubettgehen. Dies reduziert subjektiv störende Nebenwirkungen und sichert einen hohen Plasmaspiegel in den frühen Morgenstunden.
Literatur
- 1) R. Platzer: pharma-kritik 4: 41, 1982
- 2) A. Frei: pharma-kritik 9: 49, 1987
- 3) G.M. Cochrane: Br. Med. J. 289: 1643, 1984
- 4) R.D. Fairshter et al.: Am. J. Med. 79: Suppl. 6A, 48, 1985
- 5) T. Uematsu et al.: Eur. J. Clin. Pharmacol. 30: 309, 1986
- 6) H. Neuenkirchen et al.: Eur. J. Respir. Dis. 66: 196, 1985
- 7) S. Levene und S. McKenzie: Br. J. Dis. Chest 80: 66, 1986
- 8) D. Nolte und B. Dusik: Fortschr. Med. 101: 1203, 19
Standpunkte und Meinungen
- Es gibt zu diesem Artikel keine Leserkommentare.
Copyright © 2024 Infomed-Verlags-AG
PK642
Gratisbuch bei einem Neuabo!
pharma-kritik abonnieren
-
Jahrgang 45 / 2023
Jahrgang 44 / 2022
Jahrgang 43 / 2021
Jahrgang 42 / 2020
Jahrgang 41 / 2019
Jahrgang 40 / 2018
Jahrgang 39 / 2017
Jahrgang 38 / 2016
Jahrgang 37 / 2015
Jahrgang 36 / 2014
Jahrgang 35 / 2013
Jahrgang 34 / 2012
Jahrgang 33 / 2011
Jahrgang 32 / 2010
Jahrgang 31 / 2009
Jahrgang 30 / 2008
Jahrgang 29 / 2007
Jahrgang 28 / 2006
Jahrgang 27 / 2005
Jahrgang 26 / 2004
Jahrgang 25 / 2003
Jahrgang 24 / 2002
Jahrgang 23 / 2001
Jahrgang 22 / 2000
Jahrgang 21 / 1999
Jahrgang 20 / 1998
Jahrgang 19 / 1997
Jahrgang 18 / 1996
Jahrgang 17 / 1995
Jahrgang 16 / 1994
Jahrgang 15 / 1993
Jahrgang 14 / 1992
Jahrgang 13 / 1991
Jahrgang 12 / 1990
Jahrgang 11 / 1989
Jahrgang 10 / 1988
Kennen Sie "100 wichtige Medikamente" schon?
Die Liste der 100 Medikamente sehen Sie auf der Startseite von 100 Medikamente.