Silodosin

Mit Silodosin (Urorec®) ist seit Dezember 2016 neben Terazosin (Hytrin®), Alfuzosin (Xatral® und Generika) und Tamsulosin (Pradif®, Omix® und Generika) der vierte Alphablocker, der zur Behandlung von Miktionsbeschwerden («Lower Urinary Tract Symptoms», LUTS) bei älteren Männern empfohlen wird, auf dem Schweizer Markt erhältlich. Die Substanz ist in Japan bereits seit 2006, in den USA seit 2008 und in der EU seit 2010 zugelassen.

Chemie/Pharmakologie

Wie die übrigen Alpharezeptorblocker hemmt Silodosin die Alpha-1-Adrenorezeptoren in der glatten Muskulatur von Prostata, Blase und Urethra und vermag so durch eine Entspannung der glatten Muskulatur sowohl obstruktive als auch irritative Miktionsbeschwerden bei Männern zu lindern.  Von den Alpha-1-Adrenorezeptoren existieren die drei Untertypen Alpha-1a, Alpha-1b und Alpha-1d. Die Alpha-1a-Rezeptoren kommen hauptsächlich im Bereich der ableitenden Harnwege vor und scheinen in den Gefässen kaum eine Rolle zu spielen. Da Silodosin in vitro eine stärker ausgeprägte Selektivität für den Alpha-1a-Rezeptor als alle anderen Alpharezeptorblocker zeigt (Alpha-1a zu Alpha-1b: Bindungsverhältnis von 162:1), verspricht man sich davon ein besonders günstiges Verhältnis von erwünschten zu unerwünschten Wirkungen.(1,2)

Pharmakokinetik

Oral verabreichtes Silodosin wird gut resorbiert. Die maximale Plasmakonzentration wird nach nüchterner Gabe innerhalb von ½ bis 1 Stunde erreicht, die absolute Bioverfügbarkeit beträgt etwa 32% und wird durch gleichzeitige Nahrungsaufnahme um rund 30% reduziert. Silodosin wird zu 96% an Plasmaproteine gebunden und in hohem Masse durch Glukuronidierung (UGT2B7), Alkohol- und Aldehyddehydrogenase sowie Oxidation (hauptsächlich über das Zytochrom CYP3A4) metabolisiert. Sildosin ist auch ein Substrat des P-Glykoproteins. Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich in metabolisierter Form zu gut einem Drittel über die Niere und knapp zwei Dritteln mit dem Stuhl. Die terminale Halbwertszeit von Silodosin beläuft sich auf 13 Stunden, diejenige ihres Glukuronids (Hauptmetabolit) auf über 24 Stunden.(1)

Klinische Studien

Insgesamt wurde Silodosin in vier randomisierten Phase-3-Studien mit Placebo verglichen. Bei der ersten, in Japan durchgeführten Studie wurde Silodosin in einer Dosierung von 4 mg zweimal täglich bei 457 Männern untersucht.(3) Für die drei weiteren Studien (eine davon in Europa bei 955 Männern und zwei in den USA bei 923 Männern durchgeführt), auf welchen die europäische Zulassung hauptsächlich basiert, wurden 8 mg Silodosin einmal täglich verwendet.(4,5) Abgesehen von diesem Dosierungsunterschied wurden alle vier Studien nach einem vergleichbaren Schema durchgeführt. Es wurden Männer im Alter von mindestens 50 Jahren mit benigner Prostatahyperplasie (BPH) und LUTS untersucht, die Studien liefen über 12 Wochen und als primärer Endpunkt galt die Differenz im «International Prostate Symptome Score» (IPSS; 0-35 Punkte: je höher die Punktzahl, desto stärker die Beschwerden). In allen Studien verbesserte sich der IPSS nach 12 Wochen mit Silodosin stärker als mit Placebo. Unter Placebo verbesserte sich der IPSS vom Ausgangswert (19-22 Punkte) im Mittel um 3,4 bis 4,7 Punkte; die zusätzliche, durch Silodosin erreichte Verbesserung betrug 2,3 bis 3,0 Punkte. Diese Resultate sind mit denjenigen anderer Alphablocker vergleichbar.(3-5)

Sowohl bei der europäischen wie bei den beiden amerikanischen Studien nahm ein Teil der Männer im Anschluss an die doppelblinde Phase über weitere 40 Wochen Silodosin (8 mg/Tag) im Rahmen einer offenen, nicht vergleichenden Verlängerungsstudie. Die nach 12 Wochen erreichte Wirkung blieb dabei auch über die restliche Zeit erhalten oder verbesserte sich nochmals minimal.(6,7)

Im Rahmen eines weiteren Studienarms wurden Silodosin und Placebo in der japanischen Studie zusätzlich mit 0,2 mg Tamsulosin und in der europäischen Studie mit 0,4 mg Tamsulosin verglichen.(3,4) In der japanischen Studie war Silodosin dabei Tamsulosin hinsichtlich Verbesserung des IPSS knapp überlegen, in der europäischen Studie (mit der bei uns üblichen 0,4-mg-Dosis) waren die beiden Behandlungen hingegen gleichwertig. In der Folge wurde Silodosin in verschiedenen weiteren Studien mit Tamsulosin verglichen. In einer kürzlich veröffentlichten Meta-Analyse wurden zu Silodosin 10 Studien mit insgesamt 1’708 Teilnehmern zusammengefasst. Dabei fand sich zwischen den beiden Substanzen kein Unterschied hinsichtlich Verbesserung von IPSS und Lebensqualität. Die Qualität der Evidenz wurde allerdings als gering eingestuft.(8)

Für den Vergleich von Silodosin mit den beiden Alphablockern Alfuzosin und Naftodipil (in Europa nicht im Handel) liegen noch weniger aussagekräftige Daten vor, auch hier konnten keine relevanten Unterschiede bezüglich Wirksamkeit gezeigt werden.(8)

In Rahmen der europäischen Zulassungsstudie zeigte Silodosin im Vergleich zu Placebo einen besonders günstigen Einfluss auf Nykturie-Symptome (sekundärer Endpunkt), der für die Tamsulosingruppe nicht gezeigt werden konnte.(4) Deshalb sowie aufgrund einer nachträglichen zusammengefassten Auswertung aller drei Zulassungsstudien und der Resultate einiger Beobachtungsstudien wird teilweise propagiert, dass sich Silodosin besonders für die Behandlung von Männern mit ausgeprägter Nykturie eigne.(9,10) Diese Ergebnisse sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen, da es zu dieser Fragestellung keine direkten Vergleichsstudien zwischen den verschiedenen Alphablockern gibt.

Neben der Verwendung bei Männern mit BPH/LUTS wurde Silodosin in verschiedenen Studien für die medikamentöse Unterstützung der Ausscheidung von Uretersteinen untersucht. Gemäss zwei neueren Meta-Analysen scheint es für diese Indikation wirksam und dabei gar Tamsulosin überlegen zu sein.(11,12) Zu beachten dabei ist allerdings, dass Silodosin fast nur bei Männern untersucht worden und für diese Anwendung nicht offiziell zugelassen ist.

Unerwünschte Wirkungen

Die unerwünschten Wirkungen entsprechen weitgehend denjenigen anderer Alphablocker. Allerdings treten deutlich häufiger sexuelle Störungen auf, was vermutlich auf die ausgeprägte Selektivität für die Alpha-1a-Rezeptoren zurückzuführen ist. So wird über retrograde Ejakulation bei bis 23,6% (im direkten Vergleich mit Tamsulosin bei 14% gegenüber 2%) der Behandelten berichtet.(1,4) Dabei kommt es häufig zu einer Abnahme der Anzahl Spermien im Ejakulat, was die Fertilität vorübergehend beeinträchtigen kann. Auch Fälle von erektiler Dysfunktion und verminderter Libido sind beschrieben.

Dagegen scheinen unerwünschte Wirkungen auf den Kreislauf wie Schwindel (2,1%) und orthostatische Hypotonie (1,3%) unter Silodosin etwas seltener aufzutreten. In der gemeinsamen Auswertung der amerikanischen und europäischen Zulassungsstudien unterschied sich die Rate kardiovaskulärer unerwünschter Wirkungen gar kaum von Placebo.

Weitere mögliche unerwünschte Wirkungen sind Kopfschmerzen, verstopfte Nase oder Rhinorrhoe, Durchfall, Mundtrockenheit, Übelkeit, Hautausschläge, Leberfunktionsstörungen, Ikterus.(1) Da auch ein intraoperatives Floppy-Iris-Syndrom auftreten kann, sollten Augenärzte und -ärztinnen unbedingt über die vorgängige Silodosin-Einnahme informiert werden, da dieses Problem noch Wochen nach Absetzen des Medikamentes auftreten kann.(13)

Interaktionen

Durch die gleichzeitige Anwendung anderer vasoaktiver Substanzen wie Antihypertensiva oder PDE5-Hemmer kann die Hypotonieneigung unter Silodosin verstärkt werden.

Aufgrund der ausgeprägten hepatischen Metabolisierung mit Einbezug der Zytochrome ist mit diversen pharmakokinetischen Interaktionen zu rechnen. Die gleichzeitige Einnahme von potenten CYP3A4-Hemmern (z.B. Itraconazol (Sporanox® u.a.), Voriconazol (Vfend® u.a.), Clarithromycin (Klacid® u.a.), Ritonavir (Norvir®), Grapefruitsaft) ist kontraindiziert, da dabei von einer deutlich erhöhten Silodosin-Exposition auszugehen ist. So konnte im Rahmen von Interaktionsstudien bei Kombination mit 400 mg Ketoconazol ein 3,7-facher Anstieg der maximalen Plasmakonzentration von Silodosin dokumentiert werden. Auch die gleichzeitige Einnahme von starken P-Glykoprotein-Hemmern wie beispielsweise Ciclosporin ist mit einem Anstieg der Silodosin-Plasmaspiegel verbunden und deshalb nicht zu empfehlen.(1)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Silodosin (Urorec®) ist zur symptomatischen Behandlung der funktionellen Störungen einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) zugelassen und ist kassenzulässig. Es ist in Form von Hartkapseln zu 4 mg oder 8 mg erhältlich. Die empfohlene Dosis beträgt 8 mg Silodosin im Tag. Die Kapsel sollte mit einem Glas Wasser als Ganzes geschluckt und zu einer Mahlzeit eingenommen werden, vorzugsweise immer zur gleichen Tageszeit. Vor Therapiebeginn sollte ein Prostatakarzinom ausgeschlossen werden. Bei der Einnahme der ersten Dosis wird eine Überwachung hinsichtlich orthostatischer Hypotonie empfohlen. Bei leichter Leber- oder Nierenfunktionsstörung ist keine Dosisanpassung erforderlich, bei einer Niereninsuffizienz mässigen Ausmasses ist die Anwendung von Silodosin nicht empfohlen (falls trotzdem verwendet, sollte die Dosis auf maximal 4 mg pro Tag beschränkt werden), bei schwerer Leber- oder Niereninsuffizienz kontraindiziert.

Die Kosten für die Behandlung mit Silodosin betragen 18.55 CHF pro Monat bei Verwendung einer Grosspackung. Die Kosten für ein Tamsulosin- oder Alfuzosin-Generikum belaufen sich ebenfalls auf 18 bis 19 Franken.

Kommentar

Die Hoffnung, dass Silodosin aufgrund seiner stärkeren Uroselektivität eine bessere symptomatische Wirkung auf die LUTS oder ein günstigeres Verhältnis von erwünschten zu unerwünschten Wirkungen zeigen könnte, hat sich leider nicht erfüllt. Die stärkere Affinität zu den Alpha-1a-Rezeptoren scheint sich vor allem in der Art und Ausprägung von unerwünschten Wirkungen zu zeigen – so treten unter Silodosin viel häufiger sexuelle Nebenwirkungen auf. Dafür scheint die Substanz hinsichtlich Hypotonie-Neigung und Synkopen-Gefahr etwas besser verträglich zu sein als andere Alphablocker. Somit würde ich die Wahl des Alphablockers vor allem vom Risikoprofil des betroffenen Mannes bzw. von den zu erwartenden unerwünschten Wirkungen abhängig machen. Da sich die Substanzen preislich alle etwa in demselben Rahmen bewegen, wäre eine besonders ausgeprägte Nykturie auch einen Behandlungsversuch mit Silodosin wert, selbst wenn eindeutige Belege für diese spezifische Wirkung fehlen. Insgesamt scheint mir Silodosin jedoch nichts wirklich Neues zu bringen, das sich in relevanter Weise positiv von den am häufigsten verwendeten und bewährten Alphablockern Tamsulosin und Alfuzosin abheben würde, und dies bei einem Interaktionspotential, das zu Besorgnis Anlass gibt.


Standpunkte und Meinungen

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Silodosin (15. Februar 2018)
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pharma-kritik, 39/No. 10
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