Baricitinib

Baricitinib (Olumiant®) wird zur Basistherapie der rheumatoiden Arthritis empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Baricitinib gehört wie Tofacitinib (Xeljanz®) zu den Januskinase-Hemmern. Bei dieser Substanzgruppe handelt es sich um synthetisch hergestellte, oral verabreichbare Medikamente, was sie von den biotechnologisch produzierten Biologika unterscheidet.

Januskinasen sind zytoplasmatische Tyrosinkinasen, welche die sogenannten STAT-Proteine («Signal Transducers and Activators of Transcription») aktivieren. STAT-Proteine regulieren im Zellkern die Transkription von bestimmten Genen. Es sind vier Januskinasen bekannt, die mit den Kürzeln JAK1, JAK2, JAK3 und TYK2 bezeichnet werden. Baricitinib blockiert selektiv JAK1 und JAK2. Beide sind an der Bildung von Interleukinen (IL-6, IL-21 u.a.) und Interferonen beteiligt, die bei der Pathogenese der rheumatoiden Arthritis eine wichtige Rolle spielen.(1)

Pharmakokinetik

Nach Einnahme von Baricitinib vergeht durchschnittlich eine Stunde, bis die Höchstkonzentration im Plasma erreicht ist. Die biologische Verfügbarkeit beträgt knapp 80%. Baricitinib wird zu über 80% in unveränderter Form ausgeschieden, und zwar grösstenteils über die Nieren; die renale Exkretion erfolgt über glomeruläre Filtration und aktive Sekretion mit Hilfe von Transportproteinen wie dem «Organic Anion Transporter 3» (OAT3) oder dem P-Glykoprotein. Ein kleiner Rest von Baricitinib wird metabolisiert, wobei CYP3A4 das hauptverantwortliche Enzym ist. Die Halbwertszeit liegt bei rund 12 Stunden. Bei Niereninsuffizienz erhöht sich die Baricitinib-Exposition.(1)

Klinische Studien

In mehreren Doppelblindstudien wurde Baricitinib bei erwachsenen Personen mit rheumatoider Arthritis, bei denen eine hohe Krankheitsaktivität bestand, mit Placebo oder anderen aktiven Substanzen verglichen. Den primären Endpunkt bildete jeweils der Anteil der Erkrankten, bei denen nach 12 oder 24 Wochen eine mindestens 20-prozentige Besserung der Symptome nach den Kriterien des «American College of Rheumatology» erreicht wurde (ACR20-Wert). Als Hauptuntersuchungen liegen vier Phase-III-Studien vor.

In der RA-BEGIN-Studie (n=584; Dauer: 52 Wochen) untersuchte man Baricitinib bei der Erstlinientherapie, das heisst bei Personen, die bislang keine Basistherapie erhalten hatten. Es wurden drei Gruppen gebildet: die erste behandelte man mit Baricitinib (4 mg/Tag), die zweite mit Methotrexat (7,5 bis 20 mg/Woche) und die dritte mit beiden Medikamenten zusammen. Nach 24 Wochen betrug der ACR20-Wert in der Baricitinib-Gruppe 77%, in der Methotrexat-Gruppe 62% und in der Methotrexat/Baricitinib-Gruppe 78%.(2)

In zwei Studien evaluierte man Baricitinib bei der Zweitlinientherapie; in diese Kategorie fallen Personen, bei denen konventionelle Basismedikamente (Methotrexat u.a.) nicht genügend gewirkt haben oder nicht vertragen worden sind. In der RA-BUILD-Studie (n=684; Dauer: 24 Wochen) erhielten die Patientinnen und Patienten Baricitinib (2 oder 4 mg/Tag) oder Placebo, meist in Kombination mit der bisherigen Basistherapie. Nach 12 Wochen lag der ACR20-Wert mit der niedrigeren Baricitinib-Dosis bei 66%, mit der höheren bei 62% und mit Placebo bei 39%.3 In der RA-BEAM-Studie (n=1305; Dauer: 52 Wochen) bestand die Behandlung aus Baricitinib (4 mg/Tag), dem TNF-alpha-Blocker Adalimumab (Humira®, 40 mg/2 Wochen s.c.) oder Placebo; auch hier wurde die bestehende Basistherapie fortgeführt. Der ACR20-Wert, den man nach 12 Wochen erfasste, belief sich bei Baricitinib auf 70%, bei Adalimumab auf 61% und bei Placebo auf 40%.(4)

Die RA-BEACON-Studie (n=527; Dauer: 24 Wochen) befasste sich mit der Drittlinientherapie. Individuen, bei denen die Therapie mit TNF-alpha-Hemmern oder anderen biologischen Basismedikamenten nicht zielführend gewesen war, verordnete man Baricitinib (2 oder 4 mg/Tag) oder Placebo. Binnen 12 Wochen erreichte der ACR20-Wert unter der niedrigeren Bacitinib-Dosis 49%, unter der höheren 55% und unter Placebo 27%.(5)

In allen Studien wurden als sekundäre Endpunkte zusätzliche Messwerte erfasst: die körperliche Funktionsfähigkeit mit dem «Health Assessment Questionnaire Disability Index» (HAQ-DI), die Krankheitsaktivität mit dem «Disease Activity Score» (DAS28) und die Remissionsrate mit dem «Simplified Disease Activity Index» (SDAI). Bei diesen Parametern war das Ergebnis mit Baricitinib signifikant besser als mit Placebo oder Methotrexat. In der RA-BEAM- und der RA-BEGIN-Studie wurde nach 52 Wochen das Ausmass der Gelenkdestruktionen dokumentiert. Dabei zeigte sich, dass Baricitinib das Fortschreiten radiologischer Veränderungen gegenüber Placebo signifikant verlangsamt; dasselbe trifft auf die Methotrexat/Baricitinib-Kombination zu im Vergleich zur Monotherapie mit Methotrexat oder Baricitinib.(6)

Unerwünschte Wirkungen

Unter einer Behandlung mit Baricitinib ist mit vermehrten Infektionen zu rechnen (inkl. opportunistischen Infekten). In den klinischen Studien stellte man vor allem eine Zunahme von Atemwegsinfekten sowie von Herpes-zoster- und Herpes-simplex-Erkrankungen fest. Gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall zählen ebenfalls zu den häufigen Nebenwirkungen; es wurde auch über einzelne Fälle von gastrointestinalen Perforationen berichtet. Ferner sind Blutbildveränderungen (Neutropenie, Thrombozytose, Anämie) sowie Erhöhungen der Transaminasen- oder Kreatinkinase-Aktivität beschrieben.(6)

Baricitinib führt dosisabhängig zu einem Anstieg der Lipide. In einer Studie stieg die LDL-C-Konzentration mit der 4-mg-Dosis innerhalb von 12 Wochen um durchschnittlich 0,25 mmol/l, die HDL-C-Konzentration um 0,19 mmol/l und die Triglyzeridkonzentration um 0,1 mmol/l.(7) Eine Zunahme von kardiovaskulären Ereignissen ist bisher nicht aufgefallen; für eine zuverlässige Aussage reichen die vorhandenen Daten aber nicht aus.

Baricitinib kann offenbar auch venöse Thromboembolien auslösen – was in den europäischen Fachinformationen im Gegensatz zur FDA-Beurteilung nur am Rande vermerkt ist.(6,8)

Aufgrund des Wirkungsmechanismus ist zu vermuten, dass Baricitinib die Tumorabwehr schwächt, die über natürliche Killerzellen vermittelt wird. Zwar ist bislang keine erhöhte Inzidenz an Krebserkrankungen festgestellt worden; fundierte Langzeitdaten liegen aber noch nicht vor.

Interaktionen

Baricitinib ist ein Substrat von verschiedenen Transportproteinen. In Kombination mit Probenecid (Santuril®), einem starken Hemmer von OAT3, verdoppelt sich bei Baricitinib die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve.(1)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Baricitinib (Olumiant®) ist zugelassen zur Mono- oder Kombinationstherapie der rheumatoiden Arthritis, wenn Methotrexat oder andere Basismedikamente ungenügend wirksam sind oder nicht toleriert werden – wobei als Kombination nur diejenige von Baricitinib mit Methotrexat dokumentiert ist. Baricitinib ist in Form von Tabletten zu 2 und 4 mg erhältlich. Die empfohlene Dosis beträgt 4 mg/Tag. Bei Personen über 75 Jahre oder mit wiederkehrenden, chronischen Infekten soll man sich auf 2 mg/Tag beschränken; auch bei gutem Ansprechen ist eine Dosisreduktion auf 2 mg/Tag in Betracht zu ziehen.

Vor Therapiebeginn muss man eine Abklärung auf Tuberkulose sowie Hepatitis B und C durchführen; während einer Behandlung sollen keine Lebendimpfstoffe verabreicht werden. Bei Niereninsuffizienz ist die Dosis zu reduzieren, und bei einer Kreatininclearance unter 30 ml/min gilt das Mittel als kontraindiziert.

Da Tierversuche Hinweise auf teratogene Effekte ergeben haben, darf Baricitinib in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden; auch Stillen wird als nicht vereinbar mit einer Baricitinib-Behandlung bezeichnet. Bei Kindern und Jugendlichen ist das Medikament nicht geprüft.

Baricitinib ist limitiert kassenzulässig. Es kostet CHF 1482.60 pro Monat. Der Preis von Tofacitinib (Xeljanz®) beläuft sich auf CHF 1565.70 pro Monat.

Kommentar

Mit Januskinase-Hemmern verfügt man bei der rheumatoiden Arthritis über Substanzen, die als mindestens so wirksam einzustufen sind wie andere moderne Basismedikamente und über den Vorteil verfügen, dass sie oral verabreicht werden können. Ihr Hauptproblem liegt darin, dass sie bezüglich möglicher Langzeitnebenwirkungen noch nicht gut eingeschätzt werden können. Bei Baricitinib fällt ausserdem ins Gewicht, dass – als substanzspezifische Nebenwirkung – ein erhöhtes Thromboembolierisiko zu vermuten ist.

Die FDA hat Baricitinib konservativer beurteilt als die europäischen Arzneimittelbehörden. Erst nach längerer Diskussion erhielt Baricitinib im Spätfrühling 2018 das Plazet der FDA, wobei lediglich die 2-mg-Dosis zugelassen worden ist, weil das Nutzen-Risiko-Verhältnis der 4-mg-Dosis als zu wenig umrissen betrachtet wurde.

Am Beispiel von Baricitinib zeigt sich wieder einmal, wie unterschiedlich Arzneimittelbehörden ihre Daten zur Verfügung stellen: während vor allem die FDA, aber auch die europäische EMA dank umfangreicher Dossiers viel Transparenz schaffen, wird das stiefmütterliche Angebot von Swissmedic kaum Lorbeeren ernten.

Standpunkte und Meinungen

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Baricitinib (27. Juli 2018)
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pharma-kritik, 40/No. 4
PK1049
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