Ein Lavendelöl-Extrakt

Der Lavendelöl-Extrakt Silexan (Laitea®) wird zur Behandlung von Ängstlichkeit und Unruhe empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Silexan – es handelt sich nicht um einen internationalen Freinamen (INN) – ist die Markenbezeichnung eines spezifischen Lavendelöl-Extrakts, der über eine Dampfdestillation aus den Blüten des Echten oder Schmalblättrigen Lavendels (Lavendula angustifolia) gewonnen wird. Lavendelöl enthält über hundert verschiedene Substanzen, wobei Linalool und dessen Karbonsäureester Linalylacetat als die beiden Hauptbestandteile 70 bis 80% der Gesamtmenge ausmachen. Lavendelöl wird schon seit Jahrhunderten genutzt wegen der beruhigenden Eigenschaften, die ihm zugeschrieben werden. Dass Lavendelöl (auch die Dämpfe, wenn sie inhaliert werden) gewisse sedierende und anxiolytische Wirkungen besitzt, hat man in Experimenten bei Tieren und bei gesunden Versuchspersonen bestätigen können. Der exakte Wirkungsmechanismus ist nicht entschlüsselt. Diskutiert wird, dass Lavendelöl die hemmende Wirkung von GABA verstärkt, den exzitatorischen Effekt von Glutamat bremst, die serotoninerge Übertragung moduliert oder präsynaptische Kalziumkanäle beeinflusst.(1-3)

Pharmakokinetik

Die Pharmakokinetik ist beim Menschen nicht vollständig analysiert. Linalool und Linalylacetat werden nach oraler Einnahme rasch aufgenommen; nach der Resorption wird Linalylacetat direkt zu Linalool umgewandelt. Der maximale Plasmaspiegel von Linalool ist in rund 1 Stunde erreicht. In-vitro-Daten lassen vermuten, dass Linalool zum Teil über Zytochrome zu mehreren Metaboliten abgebaut, zum Teil auch direkt glukuronidiert und azetyliert wird. Die Halbwertszeit von Linalool wird mit 1 bis 2 Stunden angegeben.(3-5)

Klinische Studien

In den klinischen Studien wurde Silexan bei verschiedenen Formen von Angststörungen geprüft; berücksichtigt wurden erwachsene Personen, deren Angstsymptome sich auf der von 0 bis 56 Punkte reichenden «Hamilton Anxiety Rating Scale» (HAM-A) im Durchschnitt auf über 25 Punkte summierten, was als mittelschwere bis schwere Symptomatik zu bewerten ist. Die Studien, die im Folgenden zitiert sind, waren doppelblind gehalten; den Placebokapseln war zur geschmacklichen Verblindung Lavendelöl in einer Konzentration von 0,1% beigemischt. Den primären Endpunkt bildete jeweils die Besserung der Symptome gemäss HAM-A.

Eine placebokontrollierte Untersuchung fand bei 212 Personen statt, die an einer nicht näher klassifizierbaren Angststörung (F41.9 nach ICD-10), verbunden mit einer Schlafstörung, litten. Mit Silexan (80 mg/Tag) sank die HAM-A-Punktezahl binnen 10 Wochen von 26,8 auf 10,8 und mit Placebo von 27,1 auf 17,6, was einem signifikanten Unterschied entsprach.(6)

77 Patientinnen und Patienten mit einer generalisierten Angststörung (F41.1) erhielten während 6 Wochen Silexan (80 mg pro Tag) oder Lorazepam (Temesta® u.a., 0,5 mg/Tag). In der Silexan-Gruppe reduzierte sich die HAM-A-Punktezahl von 25 auf 13,7 und in der Lorazepam-Gruppe von 25 auf 13,4, womit für Silexan das Nichtunterlegenheits-Kriterium erfüllt war.(7)

Bei 523 Personen, bei denen ebenfalls eine generalisierte Angststörung diagnostiziert worden war, verglich man Silexan (80 oder 160 mg/Tag) mit Paroxetin (Deroxat® u.a., 20 mg pro Tag) sowie mit Placebo. Nach 10 Wochen hatte sich die HAM-A-Punktezahl unter der niedrigeren Silexan-Dosis von 25,8 auf 13,0 vermindert, unter der höheren von 26,0 auf 11,9, unter Paroxetin von 25,8 auf 14,5 und unter Placebo von 25,1 auf 15,6; bei beiden Silexan-Dosen war der Unterschied gegenüber Placebo signifikant.(8) Bei Studienende wurde Silexan in den beiden damit behandelten Gruppen ohne Ausschleichen abgesetzt, was keine Entzugssymptome provozierte.(9)

315 Individuen mit einer gemischten Angst- und depressiven Störung (F41.2) behandelte man 10 Wochen lang mit Silexan (80 mg/Tag) oder Placebo. Die HAM-A-Punktezahl war bei Studienende in der Silexan-Gruppe signifikant kleiner als in der Placebo-Gruppe. Auch die Änderung der depressiven Symptome wurde – anhand der «Montgomery-Åsberg Depression Rating Scale» (MADRS) – erfasst. Die MADRS-Punktezahl nahm bei Silexan von 22,0 auf 12,8 ab, bei Placebo von 22,1 auf 16,0 (bei 20 Punkten zieht man die Grenze zwischen leichter und mittelschwerer depressiver Störung).(10)

Unerwünschte Wirkungen

Als häufigste Nebenwirkungen sind Aufstossen und Übelkeit zu erwarten. Auch Kopfschmerzen sowie Hautreaktionen wie Juckreiz, Ausschläge und Urtikaria sind beschrieben.

Interaktionen

Gemäss pharmakokinetischen Studien wird der Abbau von Kontrazeptiva sowie von Zytochrom-Substraten wie Coffein (CYP1A2), Tolbutamid (CYP2C9), Omeprazol (CYP2C19), Dextromethorphan (CYP2D6) und Midazolam (CYP3A4) durch Silexan nicht beeinflusst.(11,12)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Silexan (Laitea®) ist in Form von Gelatinekapseln mit 80 mg Lavendelöl-Extrakt erhältlich und wird einmal pro Tag eingenommen. Als Indikation wird die Behandlung von Ängstlichkeit und Unruhe genannt.

In der Erfahrungsmedizin ist Lavendelöl als Abortivum bekannt; es ist deshalb in der Schwangerschaft kontraindiziert. Zur Anwendung bei stillenden Frauen sowie bei Kindern und Jugendlichen existieren keine Daten. Silexan-Kapseln enthalten Sorbitol und sollen deshalb von Personen mit der seltenen hereditären Fruktoseintoleranz (die durch einen Aldolase-B-Mangel gekennzeichnet ist) gemieden werden.

Silexan ist rezeptfrei erhältlich und kassenzulässig für eine maximale Behandlungsdauer von 10 Wochen. Es kostet CHF 24.25 pro Monat.

Kommentar

Es ist anzunehmen, dass der Lavendelöl-Extrakt Silexan als leicht verfügbares und «harmloses» pflanzliches Mittel gegen Angsterkrankungen positioniert werden soll, ähnlich wie Johanniskraut bei Depressionen. Obschon bislang keine gravierenden Nebenwirkungen dokumentiert sind, sind Einwände zu bedenken.

In den klinischen Studien wurde Silexan bei Personen geprüft, die an einer definierten Angsterkrankung litten oder zumindest eine mittelgradige bis schwere Angstsymptomatik aufwiesen. Zugelassen ist Silexan bei «Ängstlichkeit» oder «Unruhe»: diese zwei vagen Begriffe erlauben es zwar, das Medikament ohne Rezeptpflicht auf den Markt zu bringen, decken jedoch nur partiell das Kollektiv ab, das in den Studien untersucht worden ist. Es besteht die Gefahr, dass auf Silexan auch bei Befindlichkeitsstörungen zurückgegriffen wird, wenn eine medikamentöse Therapie kaum gerechtfertigt ist.(13) Generell sollen Medikamente jedoch bei Angststörungen nur ein Teil der Behandlung sein, der sich allenfalls als Ergänzung zu psychotherapeutischen Massnahmen anbietet.

Standpunkte und Meinungen

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Ein Lavendelöl-Extrakt (27. Juli 2018)
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pharma-kritik, 40/No. 4
PK1050
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