Brexpiprazol
- Autor(en): Andreas Frei
- pharma-kritik-Jahrgang 41
, Nummer 8, PK1081
Redaktionsschluss: 12. März 2020
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2019.1081 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Brexpiprazol (Rexulti®) ist ein neues Neuroleptikum, das in der Schweiz zur Behandlung der Schizophrenie zugelassen wurde.
Chemie/Pharmakologie
Die chemische Struktur von Brexpiprazol unterscheidet sich von derjenigen von Aripiprazol (Abilify® u.a.) nur minimal. Wie bei anderen Neuroleptika ist der Wirkungsmechanismus der neuen Verbindung nicht vollständig geklärt, beruht jedoch wahrscheinlich auf der Interaktion mit verschiedenen Neurotransmittern. Brexpiprazol wird in erster Linie als partieller Dopamin-D2-Agonist bezeichnet und gleicht damit Aripiprazol und Cariprazin (Reagila®). Von Bedeutung ist auch die Wirkung als partieller Agonist am Serotonin-5-HT1A- und als Antagonist am Serotonin 5-HT2A-Rezeptor. Die letztere Wirkung ist im Vergleich mit Aripiprazol etwas stärker ausgeprägt,(1) woraus sich möglicherweise klinische Vorteile ergeben könnten.
Pharmakokinetik
Die orale Bioverfügbarkeit beträgt 95%. Maximale Plasmaspiegel werden 4 Stunden nach oraler Einnahme erreicht. Brexpiprazol wird hauptsächlich durch die Zytochrome CYP3A4 und CYP2D6 metabolisiert. Der dabei entstehende Hauptmetabolit DM-3411 soll nicht nennenswert zur Brexpiprazol-Wirkung beitragen. Die Plasmahalbwertszeit beträgt rund 90 Stunden; das Medikament und seine Metaboliten werden zu etwa 25% mit dem Urin und zu 46 % mit dem Stuhl ausgeschieden.(2)
Klinische Studien
Brexpiprazol wurde bei Schizophrenie und als Adjuvans bei Depressionen in mehreren Doppelblindstudien mit einer Dauer von 6 Wochen untersucht. Auch einige Langzeituntersuchungen liegen vor. Die Studien, die sich mit der Schizophrenie als Indikation befassten, wurden bei Erwachsenen mit einer chronischen Schizophrenie durchgeführt, bei denen es zu einer akuten Zunahme der psychotischen Symptome gekommen war. Die Beurteilung erfolgte anhand der üblichen psychometrischen Skalen (Abkürzungen siehe Tabelle 1). Wie in anderen Studien mit Neuroleptika brachen immer etwa ein Drittel der Teilnehmenden die Studie vorzeitig ab.
In der VECTOR-Studie wurden bei insgesamt 636 Kranken Brexpiprazol-Tagesdosen von 0,25, 2 und 4 mg mit Placebo verglichen. Der primäre Endpunkt entsprach der Änderung der Punktezahl auf der PANSS-Gesamtskala nach 6 Wochen doppelblinder Therapie. Im Vergleich mit Placebo wurde mit den Dosen von 2 und von 4 mg/Tag eine signifikante Senkung der PANSS-Punktzahl erreicht. Psychosoziale Funktionen wurden gemäss der PSP-Skala nur in der Gruppe mit der 2-mg-Tagesdosis signifikant verbessert. In der Gruppe, die nur 0,25 mg/Tag erhielt, fanden sich nur geringfügige Änderungen gegenüber den Ausgangswerten.(3)
In der BEACON-Studie erfolgte ein doppelblinder Vergleich zwischen Brexpiprazol in der Dosierung von 1, 2 und 4 mg/Tag und Placebo, bei insgesamt 670 Personen. Auch in dieser Studie ergab sich unter der Tagesdosis von 4 mg Brexpiprazol nach sechs Wochen eine signifikante Verbesserung auf der PANSS-Skala; auch ein wichtiger sekundärer Endpunkt – eine signifikante Abnahme der Punktezahl auf der CGI-S-Skala – wurde so erreicht. Für die kleineren Dosen (1 und 2 mg/Tag) konnte dagegen kein signifikantes Resultat gezeigt werden.(4)
Die LIGHTHOUSE-Studie (mit 459 Kranken) diente dem doppelblinden Vergleich zwischen Placebo und individuell angepassten Tagesdosen von Brexpiprazol und Quetiapin (Seroquel® u.a.). Dabei wurden Brexpiprazol-Dosen zwischen 2 und 4 mg/Tag und Quetiapin-Dosen zwischen 400 und 800 mg/Tag verwendet. Nach sechs Wochen wurde der wie in den anderen Studien definierte primäre Endpunkt – eine signifikante Senkung der PANSS-Punktezahl – nur in der Quetiapin-Gruppe erreicht. Brexpiprazol war zwar etwas besser als Placebo, aber nicht signifikant.(5)
Auch zur Anwendung von Brexpiprazol als adjuvante Ergänzung zu Antidepressiva wurden Kurzzeitstudien durchgeführt, mit teilweise signifikanten Resultaten.
Eine Doppelblindstudie (die EQUATOR-Studie) wurde zur Prüfung der längerfristigen Wirksamkeit von Brexpiprazol durchgeführt. Initial wurden 524 Personen aufgenommen, die eine akute Verschlechterung der Symptome einer chronischen Schizophrenie hatten. Nach der Umstellung auf Brexpiprazol wurde die eigentliche Studie mit einer 12 bis 36 Wochen dauernden offenen Stabilisierungsphase begonnen. Mittels einer Titration der Tagesdosis auf 1 bis 4 mg wurde insbesondere angestrebt, den PANSS-Wert unter 70 zu halten sowie suizidales oder aggressives Verhalten zu minimieren. Nur Teilnehmende, die während 12 Wochen stabil blieben, nahmen schliesslich an der Doppelblindphase teil: 97 erhielten Brexpiprazol, 105 Placebo. Als primärer Endpunkt der Studie war die Zeitspanne von der Randomisierung bis zum Auftreten einer offensichtlichen Rückfallgefahr definiert. Die für eine Dauer von 52 Wochen geplante Doppelblindstudie wurde vorzeitig abgebrochen, weil Brexpiprazol den Verlauf hinsichtlich des primären Endpunkts schon früh signifikant günstiger beeinflusste.(6)
Mit Aripiprazol wurde Brexpiprazol nur in einer kleinen offenen Studie verglichen, die eine ähnliche Wirksamkeit der beiden Medikamente vermuten lässt.
Unerwünschte Wirkungen
Allgemein gleichen die unerwünschten Wirkungen von Brexpiprazol denjenigen anderer partieller Dopamin-D2-Agonisten (Aripiprazol, Cariprazin). Besonders zu Beginn einer Brexpiprazol-Behandlung kann häufig eine Akathisie auftreten; andere extrapyramidale Symptome sind dagegen seltener. Weitere häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Sedation oder Schlafstörungen, gastrointestinale Beschwerden (z.B. Durchfall) und Gewichtszunahme. Unter Brexpiprazol kann es zu einer Symptomzunahme der Schizophrenie kommen. Veränderungen des Lipidprofils (bes. eine Zunahme der Triglyzeride) sind möglich.
Die Verträglichkeit ist in mehreren Langzeitstudien untersucht worden. Eine davon, eine offene 52-Wochen-Verlängerung der oben erwähnten LIGHTHOUSE-Studie, umfasste 210 Personen, die eine durchschnittliche Tagesdosis von etwa 3 mg Brexpiprazol einnahmen. Rund 17% der Behandelten brachen die Studie wegen unerwünschten Wirkungen ab. Bei 11,5% kam es zu einer Verschlechterung der Grundkrankheit. Im Durchschnitt nahmen die Teilnehmenden innerhalb von 52 Wochen 2,6 kg zu; etwa 20% hatten eine Gewichtszunahme von mehr als 7%. Lipid- und Glukosewerte, EKG und Prolaktinwerte änderten sich nicht nennenswert.(7)
Interaktionen
Starke CYP3A4-Hemmer wie z.B. Itraconazol (Sporanox® u.a.), Clarithromycin (Klacid® u.a.) oder auch Grapefruitsaft sowie CYP2D6-Hemmer (viele Psychopharmaka!) können zu einem deutlichen Anstieg der Brexpiprazol-Spiegel führen. CYP3A4-Induktoren (z.B. Johanniskraut) senken die Spiegel. Gesamthaft entsprechen die Interaktions-Risiken denjenigen von Aripiprazol und erfordern analoge Dosisanpassungen.
Dosierung, Verabreichung und Kosten
Brexpiprazol (Rexulti®) ist in der Schweiz zur Behandlung einer Schizophrenie bei Erwachsenen zugelassen und als Filmtabletten zu 0,5, 1, 2, 3 und 4 mg erhältlich (kassenzulässig). Das Medikament wird einmal täglich eingenommen. Die Behandlung soll mit einer Tagesdosis von 1 mg begonnen und vorsichtig langsam auf maximal 4 mg/Tag titriert werden. Bei Personen mit einer mittelschweren bis schweren Leber- oder Niereninsuffizienz soll die Dosis auf 3 mg/Tag beschränkt bleiben. Kinder, Jugendliche, schwangere und stillende Frauen sollen mangels entsprechender Daten nicht mit Brexpiprazol behandelt werden. Ob das Medikament auch bei Personen über 65 angewendet werden kann, ist ungenügend dokumentiert. Die monatlichen Kosten einer Therapie mit 4 mg Brexpiprazol betragen CHF 288.60. Ein kostengünstiges Aripiprazol-Generikum in Maximaldosierung (30 mg/Tag) kostet nur CHF 117.25 pro Monat.
Kommentar
Bisher ist nicht nachgewiesen, dass sich Brexpiprazol in klinisch relevanter Weise von Aripiprazol unterscheidet. Sofern überhaupt ein partieller Dopamin-D2-Agonist indiziert ist, sprechen die weit bessere Dokumentation und der günstigere Preis eindeutig für Aripiprazol. Insbesondere ist von der Anwendung ausserhalb des anerkannten Indikationsbereichs («off label») abzuraten, erst recht bei älteren Personen. Aktuell lassen sich keine überzeugenden Gründe sehen, Brexpiprazol als Behandlungsoption zu empfehlen.
Literatur
- 1) Maeda K et al. J Pharmacol Exp Ther 2014; 350: 589-604
- 2) Ishigooka J et al. J Clin Pharmacol 2018; 58: 74-80
- 3) Correll CU et al. Am J Psychiatry 2015; 172: 870-80
- 4) Kane JM et al. Schizophr Res 2015; 164: 127-35
- 5) Frampton J. Drugs 2019; 79: 189-200
- 6) Fleischhacker WW et al. Int J Neuropsychopharmacol 2017; 20: 11-21
- 7) Hakala M et al. Schizophr Bull 2018; 44 (Suppl 1): S945-5/6777
Standpunkte und Meinungen
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