Fremanezumab
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 41
, Nummer 10, PK1090
Redaktionsschluss: 20. April 2020
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2019.1090 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
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Epitinezumab (2023-06-21)
Fremanezumab (Ajovi®, Fremanezumab-vfrm) ist der dritte Hemmer des «Calcitonin Gene-Related Peptide» (CGRP), der in der Schweiz zur Prävention von Migräneanfällen verfügbar ist.
Chemie/Pharmakologie
Wie Galcanezumab (Emgality®) ist Fremanezumab ein spezifischer humaner monoklonaler Antikörper, der sich mit hoher Affinität an das «Calcitonin Gene-Related Peptide» (CGRP) bindet.(1) Diese beiden Medikamente unterscheiden sich somit etwas von Erenumab (Aimovig®), das sich direkt an die CGRP-Rezeptoren bindet. CGRP ist ein Neuropeptid, das an den verschiedensten Stellen im Nervensystem vorkommt, stark vasodilatierend wirkt und Schmerzsignale vermittelt.
Pharmakokinetik
Das Medikament wird – wie die anderen CGRP-Hemmer – subkutan injiziert. Etwa 6 Tage nach der Injektion werden maximale Plasmaspiegel erreicht. Die biologische Verfügbarkeit ist nicht genau bekannt. Die Plasma-Halbwertszeit von Fremanezumab beträgt durchschnittlich 33 Tage.(2) Wird das Medikament vorschriftsgemäss angewandt, so soll innerhalb von etwa 6 Monaten ein Fliessgleichgewicht erreicht sein. Wie endogene Immunglobuline wird Fremanezumab wahrscheinlich in kleinere Peptide und Aminosäuren abgebaut.
Klinische Studien
Fremanezumab ist bei episodischer und bei chronischer Migräne getestet worden. Nach internationaler Konvention ist eine episodische Migräne durch Kopfschmerzen definiert, die sich an 0 bis 14 Tagen monatlich manifestieren; von einer chronischen Migräne spricht man, wenn jemand an 15 oder mehr Tagen monatlich Kopfschmerzen hat und diese an mindestens 8 Tagen die Merkmale einer typischen Migräne aufweisen.(3,4) Wie bei anderen klinischen Studien bei Kopfschmerzen ist auch bei den Fremanezumab-Studien nicht völlig klar, wie konsequent diese Kriterien angewandt wurden – die Begriffe «Migränetag» und «Kopfschmerztag» werden in den Studienberichten teilweise wie Synonyme verwendet.
Je eine der relevanten Zulassungsstudien befasste sich mit episodischer bzw. chronischer Migräne. In einer weiteren Doppelblindstudie wurde das Medikament speziell Personen verabreicht, bei denen vorgängig zwei bis vier präventive Migränetherapien versagt hatten (siehe weiter unten). Die Studien dauerten 12 Wochen.
In diesen drei Studien wurde Fremanezumab jeden Monat (Dosis 225 mg/Monat) oder jeden dritten Monat (Dosis: 675 mg) verabreicht und mit entsprechenden Placebo-Injektionen doppelblind verglichen. Ebenfalls in allen drei Studien entsprach der primäre Endpunkt der Veränderung der durchschnittlichen Zahl monatlicher «Kopfschmerztage» (oder «Migränetage») während der dreimonatigen Doppelblindphase gegenüber dem Basiswert (vor der Studie). Die Analyse der Daten erfolgte nach dem «least square means»-Verfahren, bei dem im Vergleich mit arithmetischen Mittelwerten mögliche Kovarianten besser berücksichtigt werden. Auch die sekundären Endpunkte waren in diesen Studien dieselben und entsprachen weitgehend denjenigen, die auch in den Studien mit anderen CGRP-Hemmern untersucht worden sind. Insbesondere wurde errechnet, wie viele Probandinnen und Probanden eine mindestens 50-prozentige Reduktion der «Migränetage» hatten und an wie vielen Tagen Medikamente gegen Kopfschmerzen eingenommen wurden. Die Tabelle 1 bietet eine Übersicht zu diesen Endpunkten.
Die Studie bei episodischer Migräne (HALO EM) kann folgendermassen zusammengefasst werden: 875 Erwachsene, die vor der Studie durchschnittlich ungefähr 9 «Migränetage» monatlich hatten, wurden in drei gleich grossen Gruppen nach dem oben erwähnten Protokoll behandelt. 21% der an der Studie Beteiligten konnten eine vorgängig verwendete präventive Migränetherapie weiterführen. Personen, die auf eine oder zwei vorgängige präventive Therapien nicht angesprochen hatten, wurden nicht in die Studie aufgenommen. Mit beiden Fremanezumab-Dosierungen wurde eine gegenüber Placebo signifikante Reduktion der «Migränetage» um etwa 1½ Tage erreicht. Auch die sekundären Endpunkte wurden von Fremanezumab günstig beeinflusst, allerdings ebenfalls nur in moderatem Ausmass.(5)
In der Studie bei chronischer Migräne (HALO CM) wurden Erwachsene behandelt, die vor der Studie durchschnittlich etwa 13 «Kopfschmerztage» pro Monat hatten. Die drei in dieser Studie behandelten Gruppen umfassten je etwa 375 Personen. Auch bei dieser Studie war der vorgängige Misserfolg von zwei oder mehr präventiven Migränetherapien ein Ausschlusskriterium. Bis zu 30% der Untersuchten konnten mit den vor der Studie angewandten präventiven Therapien weiterfahren. Im Vergleich mit Placebo ergab sich mit den beiden Fremane-zumab-Dosierungen auch in dieser Studie eine signifikante Reduktion der «Kopfschmerztage» (um rund 2 Tage). Ebenso wurden auch die sekundären Endpunkte besser als von Placebo beeinflusst.(6)
In der FOCUS-Studie wurden 329 Personen mit episodischer und 509 mit chronischer Migräne behandelt. Bedingung für die Teilnahme war, dass in den 10 Jahren vor der Studie zwei bis vier präventive Therapien erfolglos geblieben bzw. als kontraindiziert oder individuell ungeeignet bezeichnet worden waren. Während der Studie waren keine anderen präventiven Therapien erlaubt. Die in den Fremanezumab-Gruppen beobachtete Reduktion der «Migränetage» war nominell ähnlich wie in den HALO-Studien, der Unterschied zu den Placebo-Gruppen aber ausgeprägter, da unter Placebo nur eine geringe Verbesserung erreicht wurde (siehe Tabelle 1).(7)
Die in den beiden HALO-Studien behandelten Personen konnten sich anschliessend an einer 12-Monats-Doppelblindstudie beteiligen, in der die monatliche mit der dreimonatlichen Fremanezumab-Gabe verglichen wurde. Gemäss vorläufigen Resultaten waren die beiden Behandlungsmodi bei episodischer Migräne ähnlich wirksam; bei chronischer Migräne ergaben sich bessere Resultate mit der monatlichen Verabreichung.(8)
Bisher liegen keine Studien vor, in denen Fremanezumab direkt mit anderen Medikamenten zur Migräneprävention verglichen worden wäre.
Unerwünschte Wirkungen
Schmerzhafte oder entzündliche Reaktionen an der Injektionsstelle sind sehr häufig, häufiger als nach Placeboinjektionen. Bei einzelnen Personen können gegen das Medikament gerichtete Antikörper nachgewiesen werden; die therapeutische Wirkung wird aber nach bisherigem Wissen dadurch nicht beeinträchtigt. Klinisch bedeutsame allergische Reaktionen sind offenbar bisher nicht beobachtet worden. Theoretisch besteht das Risiko, dass die CGRP-Hemmung das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse erhöhen könnte; bis anhin liegen jedoch keine entsprechenden klinischen Hinweise vor.
Interaktionen
Es sind bisher keine Interaktionen von klinischer Bedeutung bekannt.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Fremanezumab ist in Form einer Fertigspritze mit 225 mg erhältlich. Das Medikament ist zur präventiven Behandlung der Migräne – «sofern diese indiziert ist» – zugelassen. Sollen die Kosten von der Krankenkasse übernommen werden, ist eine Einwilligung des Vertrauensarztes der Kasse notwendig. Das Medikament soll jeden Monat in einer Dosis von 225 mg oder jeden dritten Monat (675 mg) subkutan injiziert werden.
Eine Dosisanpassung bei Leber- oder Niereninsuffizienz ist nicht notwendig. Mangels entsprechender Daten soll Fremanezumab in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren nicht verwendet werden. Zur Verabreichung bei Personen über 65 Jahren liegen nur wenig Daten vor.
Eine einzelne 225-mg-Dosis von Fremanezumab (Ajovi®) kostet CHF 589.15; Packungen mit 3 Fertigspritzen, die nur zur Dreimonatstherapie zugelassen sind, sind marginal günstiger; die beiden anderen CGRP-Hemmer sind etwas teurer. Aber auch so sind die jährlichen Kosten einer solchen Behandlung (6812 bis 7070 Franken) sehr viel höher als diejenigen anderer präventiver Migränetherapien.
Kommentar
Bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten bei der Definition von «Migränetagen» irritiert es doch sehr, dass diese in den Studien mit CGRP-Hemmern immer wieder etwas anders definiert sind. Teilweise werden die Begriffe «Migränetage» und «Kopfschmerztage» wechselweise verwendet. Infolgedessen fällt es schwer, den Folgerungen der verschiedenen Studien zu vertrauen.
Auch dass bisher keines dieser Medikamente direkt mit anderen präventiven Therapien (wie z.B. Amitriptylin oder Propra-nolol) verglichen wurde, reduziert die Glaubwürdigkeit eines möglichen Fortschritts. Interessant wäre ja zum Beispiel, ob CGRP-Hemmer bessere Resultate als Botulinum-Injektionen erbringen (letztere sollen, «off label» verwendet, bei chronischer Migräne die monatlichen «Migränetage» um etwa 2 vermindern). Gesamthaft erscheint es damit fraglich, ob Fremanezumab (oder ein anderer CGRP-Hemmer) ausserhalb von Studien sinnvoll eingesetzt werden kann.
Literatur
- 1) Hox SM. Drugs 2018; 78: 1829-34
- 2) Cohen-Barak O et al. Cephalalgia 2018; 38: 1960-71
- 3) May A, Schulte LH. Nature Rev Neurol 2016; 12: 455-64
- 4) Katsarava Z et al. Curr Pain Headache Rep 2012; 16: 86-92
- 5) Dodick DW et al. JAMA 2018; 319: 1999-2008
- 6) Silberstein SD et al. N Engl J Med 2017; 377: 2113-22
- 7) Ferrari MD et al. Lancet 2019; 394: 1030-40
- 8) Goadsby P et al. Headache 2018; 58 (Suppl 2): 166
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