Brolucizumab
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 41
, Nummer 10, PK1091
Redaktionsschluss: 20. April 2020
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2019.1091 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Zur altersbedingten Makuladegeneration erschien vor rund 15 Jahren in unserer Zeitschrift eine Übersicht. Während die darin beschriebenen allgemeinen Überlegungen zur Prävalenz und zur Klinik dieser Erkrankung weiterhin gültig sind,(1) hat sich seither die Behandlung weiterentwickelt. So stehen heute die Hemmstoffe des «Vascular Endothelial Growth Factor» (VEGF) als wichtigste Therapeutika im Vordergrund. Brolucizumab (Beovu®) ist ein neuer VEGF-Hemmer, der zur Behandlung der exsudativen (neovaskulären) altersbedingten Makuladegeneration zugelassen wurde.
Chemie/Pharmakologie
Brolucizumab ist ein einkettiges Fragment eines humanisierten monoklonalen Antikörpers gegen VEGF. Obwohl es wesentlich kleiner und leichter ist als andere VEGF-Hemmer wie z.B. Ranibizumab (Lucentis®) oder Aflibercept (Eylea®), enthält es alle für die Bindung an VEGF notwendigen Strukturen. Das Medikament bindet sich (wie die anderen VEGF-Hemmer) an mehrere Isoformen von VEGF-A und verhindert so, dass diese ihre Rezeptoren besetzen können. Dies unterdrückt die Bildung neuer Gefässe und hemmt die vaskuläre Permeabilität.(2)
Pharmakokinetik
Etwa einen Tag nach der Injektion von Brolucizumab in den Glaskörper können maximale Plasmaspiegel gemessen werden. Das Medikament wird mit einer scheinbaren Halbwertszeit von 4½ Tagen eliminiert. Es wird angenommen, dass es proteolytisch abgebaut und teilweise passiv renal ausgeschieden wird.
Klinische Studien
Zur klinischen Wirksamkeit von Brolucizumab sind bisher die Resultate einer Phase-2-Studie und von zwei Phase-3-Studien veröffentlicht. In diesen Studien wurde Brolucizumab bei neo-vaskulärer Makuladegeneration mit Aflibercept verglichen; die Studien waren so angelegt, dass die beurteilenden Fachpersonen keine Kenntnis vom verwendeten Medikament hatten («double-masked»). Die Sehkraft («best corrected visual acuity», BCVA) wurde in diesen Studien mit standardisierten Sehtafeln als «Buchstabenwerte» gemessen, wobei die beste Sehschärfe dem Wert von 100 entspricht.
In der Phase-2-Studie mit 89 Teilnehmenden («OSPREY») wurde Brolucizumab (6 mg/Injektion) über 56 Wochen zuerst in kürzeren und später in längeren Abständen injiziert. Während der Phase, in der sowohl Brolucizumab als auch Aflibercept (2 mg/Injektion) alle 8 Wochen verabreicht wurden, war Brolucizumab bezüglich BCVA der Vergleichssubstanz «nicht-unterlegen».(3)
Die beiden grossen Phase-3-Studien («HAWK» und «HARRIER»), in denen im Ganzen 1817 Personen behandelt wurden, folgten einem ähnlichen Protokoll und wurden gemeinsam publiziert. Die Vergleichssubstanz (Aflibercept) wurde generell in einer Dosis von 2 mg alle 8 Wochen injiziert. In beiden Studien wurde Brolucizumab in der Dosis von 6 mg pro Injektion getestet, in der HAWK-Studie zudem in einer Dosis von 3 mg/Injektion. Die Brolucizumab-Behandlung wurde initial alle 4 Wochen appliziert, nach der dritten Injektion noch alle 12 Wochen. Bei einer Verschlechterung des Visus konnte der Abstand der Brolucizumab-Injektionen auf 8 Wochen reduziert werden. Der primäre Endpunkt beider Studien war die durchschnittliche Veränderung der BCVA vom Studienbeginn bis zur Woche 48. Unter Verwendung der «least square me-ans»-Methode, die zusätzliche Kovarianten berücksichtigt, ergab sich ein «nicht-unterlegenes» Resultat für die verschiedenen Brolucizumab-Gruppen im Vergleich mit den Aflibercept-Gruppen. Ein 12-Wochen-Abstand zwischen den Brolucizumab-Injektionen konnte aber nur für etwas mehr als 50% der Behandelten aufrechterhalten werden.(4)
Weitere Brolucizumab-Studien, insbesondere auch bei diabetischem Makulaödem und beim Verschluss von Retina-Venen, sind noch nicht abgeschlossen. Mit Ranibizumab ist das neue Medikament bisher nicht direkt verglichen worden.
Unerwünschte Wirkungen
Wie andere in den Glaskörper injizierte VEGF-Hemmer verursacht Brolucizumab häufig Nebenwirkungen an den Augen. Oft – von etwa 10% der Behandelten – wird über verschwommenes Sehen berichtet. Beobachtet werden aber auch Katarakte, Bindehaut- und Netzhautblutungen, Mouches volantes, schmerzhafte und entzündliche Augenveränderungen, erhöhter Augendruck, Glaskörper- und Netzhautablösung und thromboembolische Ereignisse. Eine Erblindung ist selten. Gesamthaft waren die unerwünschten Wirkungen von Brolucizumab in den bisher durchgeführten klinischen Studien ähnlich häufig wie diejenigen von Aflibercept.4 Einzig entzündliche Komplikationen (Uveitis, Iritis, Konjunktivitis) fanden sich unter Brolucizumab deutlich häufiger (bei 2-3%) als unter Aflibercept (bei 0-1%). In seltenen Fällen kommt es – teilweise erst nach mehreren Wochen oder nach wiederholter Brolucizumab-Injektion – zu einer retinalen Vaskulitis, die mit einer möglicherweise bedrohlichen Visusabnahme verbunden ist.(5,6)
Gegen Brolucizumab gerichtete Antikörper lassen sich bei 53 bis 67% der Behandelten nachweisen; 6% dieser Individuen hatten entzündliche Augenkomplikationen.(2)
Entzündliche Komplikationen unter anderen VEGF-Hemmern
Neben Brolucizumab sind in der Schweiz aktuell Aflibercept und Ranibizumab (Lucentis®) zur Behandlung der neovaskulären Makuladegeneration zugelassen. Bevacizumab (Avastin®), dessen Wirksamkeit ebenfalls nachgewiesen ist, kann nur «off label» verschrieben werden. Alle diese VEGF-Hemmer kön-nen zu entzündlichen Augenveränderungen führen. Eine retrospektive Studie fand, dass solche Komplikationen mit Aflibercept in 1,06 Fällen und mit Ranibizumab in 0,64 Fällen auf 1000 Injektionen vorkommen.(7) Ranibizumab scheint auch gegenüber Bevacizumab seltener zu okulären Entzündungen zu führen.(8) Retinale Vaskulitiden wurden jedoch bisher unter diesen anderen VEGF-Hemmern nicht beobachtet.
Interaktionen
Es sind keine Interaktionen von Brolucizumab bekannt.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Brolucizumab (Beovu®) ist als Fertigspritze mit 6 mg in 0,05 ml Lösung erhältlich; die Injektion erfolgt am anästhesierten Auge in den Glaskörper. Es ist zur Behandlung der neovaskulären altersbedingten Makuladegeneration zugelassen. Initial sollen drei Injektionen im Abstand von jeweils 4 Wochen erfolgen, anschliessend eine Injektion alle 12 Wochen. Die Behandlungsfrequenz kann je nach Befund auf 8 Wochen verkürzt bzw. allgemein individuell festgelegt werden. Bei Personen mit fortgeschrittenen Nierenfunktionsstörungen oder mit Leberinsuffizienz wurde Brolucizumab nicht untersucht. Schwangere und stillende Frauen, Kinder und Jugendliche sollen wegen fehlender Daten nicht mit Brolucizumab behandelt werden. Der Preis einer Brolucizumab-Dosis wird aktuell mit etwa 1425 Franken angegeben (Einzeldosen von Aflibercept oder Ranibizumab kosten CHF 1063 bzw. CHF 1020).
Kommentar
Brolucizumab wurde in erster Linie im Hinblick auf eine gegenüber anderen VEGF-Hemmern weniger häufige Injektion entwickelt. Die bisherigen Daten lassen annehmen, dass es bei etwa der Hälfte der Behandelten seltener injiziert werden kann als Aflibercept und dennoch eine ungefähr gleich gute Verbesserung des Visus erreicht. Es ist zu vermuten, dass es auch seltener als Ranibizumab (oder Bevacizumab) angewandt werden muss – entsprechende Vergleiche liegen nicht vor. Dass das neue Medikament generell etwas mehr entzündliche Augenkomplikationen als Aflibercept verursacht, ist seit Abschluss der bisherigen Studien evident. Nun ist zusätzlich entdeckt geworden, dass es eine bisher für VEGF-Hemmer nicht bekannte Komplikation hervorrufen kann. Dabei handelt es sich um eine retinale Vaskulitis, die wohl sehr selten ist, aber zur Blindheit führen kann. Somit muss das Nutzen/Risiko-Verhältnis von Brolucizumab aktuell als unvorteilhaft eingeschätzt werden.
Literatur
- 1) Masche UP. pharma-kritik 2005; 27: 69-72 (pk142)
- 2) Markham AS. Drugs 2019; 79: 1997-2000
- 3) Dugel PU et al. Ophthalmology 2017; 124: 1296-1304
- 4) Dugel PU et al. Ophthalmology 2020; 127: 72-84
- 5) Jain A et al. Am J Ophthalmol Case Rep 2020 (online April 2):
- 6) Haug SJ et al. Am J Ophthalmol Case Rep 2020 (online March 30)
- 7) Souied EH et al. Ophthalm Epidemiol 2016; 23: 71-9
- 8) Zhang XY et al. In J Ophthalmol 2014; 7: 355-64
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