Sitagliptin

Synopsis

Sitagliptin (Januvia®) wird zur Behandlung des Typ-2-Diabetes empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Unter den Hormonen, die in endokrinen Zellen des Darms gebildet werden, finden sich die sogenannten Inkretine, deren Hauptvertreter das Glukagon-ähnliche Peptid des Typs 1 («Glucagon- like-peptide 1», GLP-1) und das glukoseabhängige insulinotrope Polypeptid (GIP) sind. Diese zwei Peptide werden nach Nahrungsaufnahme vermehrt ausgeschüttet und helfen über eine Wirkung im Pankreas und in anderen Organen bei der Blutzuckerregulation. Sie stimulieren die Insulinproduktion und -sekretion; das GLP-1 hemmt zudem die Glukagonfreisetzung, verlangsamt die Magenentleerung und fördert das Sättigungsgefühl.

Sitagliptin ist ein selektiver Hemmer des Enzyms Dipeptidylpeptidase- 4 (DPP-4), das den raschen Abbau der Inkretine katalysiert. Durch die DPP-4-Hemmung verlängert sich die Inkretinwirkung, was mit einem verstärkten Insulin- und verminderten Glukagoneffekt einhergeht und bei Typ-2-Diabetes zur Verbesserung der Blutzuckerspiegel beiträgt. Die DPP-4 beeinflusst nicht nur Inkretine, sondern zeigt eine weitverbreitete enzymatische Aktivität und spielt unter anderem auch im Immunsystem eine Rolle.(1,2)

Über den im Prinzip gleichen Mechanismus wie die DPP-4- Hemmer wirken die – nur parenteral verabreichbaren – GLP-1- Analoga (Inkretinmimetika), eine andere neue Medikamentengruppe, zu der zum Beispiel Exenatid (Byetta®, zur Zeit in der Schweiz nicht erhältlich) gehört.

Pharmakokinetik

Nach oraler Verabreichung von Sitagliptin vergehen 1 bis 4 Stunden, bis der höchste Plasmaspiegel erreicht ist. Die biologische Verfügbarkeit wird mit 87% angegeben, wobei eine gewisse Dosisabhängigkeit besteht: Sitagliptin ist ein Substrat des P-Glykoproteins, und unter höheren Dosen tritt vermutlich eine Sättigung dieses als Effluxpumpe wirkenden Transportproteins auf, was eine verstärkte Resorption bedeutet. Sitagliptin wird zu knapp 80% unverändert renal eliminiert. Der Rest wird metabolisiert, in erster Linie über CYP3A4, zum Teil auch über CYP2C8. Die Halbwertszeit beträgt rund 12 Stunden. Bei Niereninsuffizienz kann die Plasmakonzentration abhängig vom Schweregrad um das 2- bis 5-fache ansteigen, während bei Leberinsuffizienz keine erheblichen Veränderungen zu erwarten sind.(3)

Klinische Studien

Sitagliptin wurde in etlichen Doppelblindstudien geprüft, wobei es sich mehrheitlich um Vergleiche mit Placebo handelte. Rekrutiert wurden Personen mit einem Typ-2-Diabetes im Alter zwischen 18 und 78 Jahren, bei denen die untere HbA1c- Grenze je nach Studie auf einen Wert zwischen 6,5 und 7,5% und die obere auf einen zwischen 10 und 11% festgelegt war. Als primärer Endpunkt galt in der Regel die Abnahme des HbA1c-Wertes.

In zwei 12-wöchigen Dosisfindungsstudien wurde 1-mal 100 mg/Tag als optimale Sitagliptin-Dosierung ermittelt.(4,5) In einer dieser beiden Studien wurde Sitagliptin nicht nur mit Placebo, sondern auch mit Glipizid (Glibenese®, 5 bis 20 mg pro Tag) verglichen, das hinsichtlich Blutzuckersenkung das beste Ergebnis lieferte.(5)

In zwei placebokontrollierten Studien wurde die Monotherapie mit Sitagliptin (1-mal 100 oder 200 mg/Tag) untersucht. In beiden konnte eine gegenüber Placebo signifikante HbA1c- Reduktion erzielt werden. In der einen Untersuchung erwies sich die niedrigere Sitagliptin-Dosis nach 18 Wochen als etwas wirksamer als die höhere;(6) in der anderen, die 24 Wochen dauerte, war es umgekehrt.(7)

In drei 24-wöchigen Studien erhielten Personen, deren Blutzucker unter herkömmlichen oralen Antidiabetika ungenügend eingestellt war, während 24 Wochen zusätzlich Sitagliptin (1-mal 100 mg/Tag) oder Placebo. In der ersten Studie bestand die Basisbehandlung aus Metformin (Glucophage® u.a., mindestens 1500 mg/Tag),(8) in der zweiten aus Pioglitazon (Actos®, 30 oder 45 mg/Tag)(9) und in der dritten aus Glimepirid (Amaryl® u.a., 4 bis 8 mg/Tag) bzw. der Kombination von Glimepirid und Metformin (1500 bis 3000 mg/Tag).(10) In allen drei Fallen bewirkte die Zugabe von Sitagliptin eine signifikante Abnahme des HbA1c-Wertes.

Die Möglichkeit, Sitagliptin im Vergleich mit anderen oralen Antidiabetika zu sehen, bieten hauptsächlich folgende Untersuchungen: 1056 Personen behandelte man 24 Wochen lang mit der Kombination von Sitagliptin plus Metformin, mit Sitagliptin oder mit Metformin allein oder mit Placebo; Sitagliptin wurde in einer Dosis (1-mal 100 mg/Tag), Metformin jeweils in zwei verschiedenen Dosen (2-mal 500 oder 1000 mg/Tag) verwendet, so dass insgesamt sechs Gruppen entstanden. Erwartungsgemäss ergab sich mit den Kombinationen die stärkste Wirkung auf den HbA1c-Wert; bei den Monotherapien sank er mit der höheren Metformin-Dosis um 1,1%, mit der niedrigeren um 0,8% und mit Sitagliptin um 0,7%.(11) Bei 793 Personen, die Metformin (mindestens 1500 mg/Tag) nahmen, wurde ein Jahr lang zusätzlich Sitagliptin (1-mal 100 mg/Tag) oder Glipizid (durchschnittlich 10,3 mg/Tag) verordnet. Zwischen den beiden Kombinationen ergab sich kein signifikanter Unterschied. Mit Sitagliptin plus Metformin sank der HbA1c-Wert um 0,6% und der Nüchtern-Blutzuckerspiegel um 0,7 mmol/l; mit Glipizid plus Metformin betrugen diese Werte 0,7% und 0,6 mmol/l.(12)

Ein Grossteil dieser Studien ist auch in einer Metaanalyse zusammengefasst. Sie zeigt, dass zwischen Sitagliptin- und Placebogruppen eine mittlere HbA1c-Differenz von 0,7% resultiert.(13)

Unerwünschte Wirkungen

Nebenwirkungen, die man unter Sitagliptin häufiger beobachtete als in den Kontrollgruppen, waren gastrointestinale Symptome (Oberbauch- und Refluxbeschwerden, Dyspepsie, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation), Infekte der oberen Luftwege (Nasopharyngitis, Bronchitis, Sinusitis), Muskel- und Gelenkschmerzen, Schwindel, Kopfschmerzen, Somnolenz sowie Hautausschläge. Ein erhöhtes Hypoglykämierisiko konnte bislang nicht festgestellt werden. In den Studien zählte man unter Sitagliptin 4 Fälle von Suizidalität, in den Kontrollgruppen nur bei 1 Person; ob dieser Unterschied Bedeutung hat, ist einstweilen offen.(3)

Ferner können – weil die DPP-4 auch bei anderen physiologischen Vorgängen involviert ist – spezifische, bisher nicht identifizierte Probleme momentan nicht vollständig ausgeschlossen werden.(14)

Interaktionen

Hemmer des P-Glykoproteins wie zum Beispiel Ciclosporin (Sandimmun® u.a.) können zu einem Anstieg der Sitagliptin- Konzentration führen (wobei aber keine Dosisanpassung empfohlen wird). Umgekehrt vermag Sitagliptin den Digoxin- Spiegel geringgradig zu erhöhen. Bei Niereninsuffizienten, bei denen der hepatische Metabolismus mehr Gewicht erhält, wird die Sitagliptin-Elimination durch potente CYP3A4-Hemmer eventuell zusätzlich verlangsamt.(3)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Sitagliptin (Januvia®) ist zugelassen bei Typ-2-Diabetes, sowohl zur Mono- als auch zur Kombinationstherapie mit anderen oralen Antidiabetika (in der Schweizer Fachinformation wird nur Metformin genannt, in anderen Ländern sind es auch Glitazone). Es wird als Tabletten zu 25, 50 und 100 mg angeboten. Die übliche Dosis beträgt 1-mal 100 mg pro Tag; die beiden niedrigeren Dosen sind gedacht für Personen mit Niereninsuffizienz, bei denen die Dosis entsprechend der Kreatinin-Clearance reduziert werden soll. Noch lässt sich allerdings die Gabe bei Niereninsuffizienz nicht als abgesichert und unbedenklich freigeben.

Die Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern und Jugendlichen ist nicht untersucht, so dass Sitagliptin in diesen Fällen nicht verschrieben werden soll.

Die Kosten für Sitagliptin betragen 87.35 Franken pro Monat (alle drei Dosen sind gleich teuer) und werden von den Krankenkassen übernommen. Dieser Preis liegt in einer ähnlichen Grössenordnung wie bei anderen neuen Antidiabetika. Viel günstiger sind Metformin und die billigsten Sulfonylharnstoffe (Glibenclamid, Glimepirid), von denen es auch Generika gibt, die in üblichen Dosen zwischen 10 und 15 Franken pro Monat kosten.

Kommentar

Glinide, Glitazone und nun Gliptine – das Rüstzeug im sogenannten Kampf gegen den Typ-2-Diabetes wächst fortlaufend, so dass es zur Kunst gerät, den Überblick zu behalten. Ob dank dieser bunten Mischung an Substanzen die Behandlung und Prognose beim Typ-2-Diabetes wesentlich verbessert worden wäre, darf man in den Raum stellen. Auch bei Sitagliptin vermag man noch keine entscheidenden Vorteile entdecken; am ehesten wird es als Zusatzmittel zu erwägen sein, wenn sich die Blutzuckerwerte mit anderen Medikamenten nicht genügend kontrollieren lassen.

Dass man sicher nicht schlecht fährt, wenn man auf die altbewährten Substanzen wie Metformin und Sulfonylharnstoffe setzt, zeigt das aktuelle Beispiel von Rosiglitazon (Avandia®): schnell zum Kassenschlager avanciert, steht dieses Glitazon nun wegen eines möglicherweise erhöhten Herzinfarktrisikos am Pranger.

Man kann nur einmal mehr betonen, dass es auch bei Antidiabetika umfassende Langzeitdaten braucht, damit sich ein günstiges Gesamtbild ergeben kann. Für Sitagliptin, bei dem ein neuer Wirkmechanismus ins Spiel kommt, dessen Konsequenzen noch nicht bis ins letzte Detail durchleuchtet scheinen, gilt das umso mehr.

Standpunkte und Meinungen

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Sitagliptin (2. August 2007)
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pharma-kritik, 29/No. 5
PK176
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