Rezidivierende Harnwegsinfekte bei Kindern

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Bei Kindern sind Harnwegsinfekte nicht häufig. Wenn aber einmal eine solche Infektion vorhanden war, kommt es bei 30 bis 40% der Kinder zu einem Rezidiv. Es stellt sich die Frage, ob eine entsprechende antibiotische Prophylaxe sinn-voll ist.

Eine unabhängige Übersicht zum Thema

In der Zeitschrift «La Revue Prescrire» ist in der Ausgabe vom Februar 2008 eine gut dokumentierte Übersicht zum Thema der Harnwegsinfekte bei Kindern erschienen.(1) Dabei wurden auch die Untersuchungen verwendet, die vom britischen «National Institute for Health and Clinical Excellence» (NICE) und von der Cochrane Collaboration veröffentlicht wurden.(2,3)

Bei Säuglingen und Kleinkindern sollten die folgenden Symptome an einen Harnwegsinfekt denken lassen: Fieber über 38°, Erbrechen, Somnolenz, Reizbarkeit, Inappetenz, Stagnation des Körpergewichts. Ältere Kinder klagen über Schmerzen bei der Miktion; gelegentlich kommt es zum Bettnässen. Eine Hämaturie findet sich nur selten.

Zur Inzidenz der Harnwegsinfekte wird festgestellt, dass bis zum Alter von 2 Jahren etwa 2% der Kinder, bis zum Alter von 16 Jahren 11% der Mädchen und 4% der Knaben einen Harnwegsinfekt haben. Wenn die Erstinfektion bereits im ersten Lebensjahr erfolgt, so ist das Risiko eines Rezidivs sehr hoch (75%). In diesem Zusammenhang interessiert besonders, ob eine prophylaktische Antibiotikatherapie nicht nur Rückfälle, sondern auch eine Pyelonephritis verhüten kann.

Kinder, bei denen ein vesiko-ureteraler Reflux existiert, erkranken häufiger an einem Harnwegsinfekt. In verschiedenen Untersuchungen hatten 8 bis 40% der betroffenen Kinder einen vesiko-ureteralen Reflux – in der allgemeinen Bevölkerung sind es nur 1 bis 3%. Ein vesiko-ureteraler Reflux verschwindet jedoch in der Mehrzahl der Fälle spontan. Nur wenn ein beidseitiger und sehr ausgeprägter Reflux (bis zum Nierenparenchym) vorliegt, muss häufig mit Infektrezidiven gerechnet werden. 25 bis 40% der Kinder, die an einer akuten Pyelonephritis erkranken, haben einen vesiko-ureteralen Reflux.(4)

Kinder mit einer Stauung in den Harnwegen haben häufiger Harnwegsinfekte. Für eine Stauung können unvollständige Miktionen (z.B. infolge einer Obstipation), obstruktive Veränderungen der Harnwege (Missbildungen oder Konkremente) sowie eine zu geringe Zahl Miktionen (weniger als 4 pro Tag) verantwortlich sein.

Gemäss der erwähnten britischen Analyse besteht kein eindeutiger Zusammenhang zwischen rezidivierenden Harnwegsinfekten im Kindesalter und dem Auftreten von klinisch relevanten Nierenläsionen.2 Szintigraphisch nachweisbare narbige Veränderungen an den Nieren sind jedenfalls in der Regel nur dann von Komplikationen (Hypertonie, chronische Niereninsuffizienz) begleitet, wenn diese Nierenläsionen ausgeprägt und beidseitig sind.

Kinder im Alter über 6 Monate benötigen nach einem Harnwegsinfekt, der innerhalb von 48 Stunden auf die antibiotische Therapie angesprochen hat, keine zusätzliche Untersuchung mit einem bildgebenden Verfahren.2 Bei jüngeren Kindern dagegen soll nach einem solchen Harnwegsinfekt innerhalb von 6 Wochen eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt werden, um allfällige Missbildungen festzustellen. Dies kann auch bei Kindern im Alter über 6 Monate indiziert sein, wenn es sich um eine Rezidiv handelt.

Genauere Untersuchungen sind nur ausnahmsweise, d.h. in folgenden Situationen, indiziert:

– schwere Infekte mit einer Sepsis
– Infektion mit einem anderen Keim als mit E.coli
– fehlendes Ansprechen auf die Behandlung innerhalb von 48 Stunden
– ungenügende Urinmenge
– Tumor im Abdomen oder im kleinen Becken
– erhöhter Kreatinin-Plasmawert

Die britischen Autoren empfehlen, in diesen Fällen bei Kindern unter 3 Jahren zum Zeitpunkt des Infektes eine abdominale Ultraschalluntersuchung und innerhalb von 4 bis 6 Monaten eine Nierenszintigraphie durchzuführen. Zur Frage einer antibiotischen Prophylaxe lassen sich die folgenden Punkte festhalten:

– Kontrollierte Studien wurden mit Nitrofurantoin (Furadantin® u.a.), Cotrimoxazol (Bactrim® u.a.) und Trimethoprim durchgeführt. (Von Trimethoprim ist in der Schweiz kein Monopräparat erhältlich.)

Allgemein reduziert eine prophylaktische Gabe von Antibiotika zwar das Risiko einer Bakteriurie. Eine eindeutige Wirkung auf die Zahl symptomatischer Rezidive oder auf die Veränderungen des Nierenparenchyms kann aber nicht nachgewiesen werden. Dies ist das Resultat von vier randomisierten Studien, in denen eine Antibiotikaprophylaxe mit Placebo oder mit gar keiner Behandlung verglichen wurde.

– Bei Kindern mit einem vesiko-ureteralen Reflux (schwere Fälle ausgenommen) fand sich in zwei kontrollierten Studien keine Wirkung einer antibiotischen Prophylaxe: mit und ohne Prophylaxe traten in etwa 20% symptomatische Rezidive auf und narbige Nierenveränderungen waren ohne Prophylaxe nicht häufiger. In einer Studie kam es bei Kindern mit vesiko-ureteralem Reflux unter Antibiotika in 7 von 55 Fällen zu einer Pyelonephritis, ohne Antibiotika nur in 1 von 58 Fällen.(5)

– Gemäss einer Studie, in der Kinder mit rezidivierenden Harnwegsinfekten während etwa 6 Monaten Nitrofurantoin oder Trimethoprim erhielten, fand sich unter Trimethoprim ein sehr hoher Prozentsatz (76%) von resistenten Bakterien, während sich die Resistenz unter Nitrofurantoin nicht veränderte. Nitrofurantoin wurde allerdings signifikant weniger gut vertragen (Brechreiz/Erbrechen, Bauchbeschwerden).(6) Schlussfolgerungen Während bei Säuglingen bis zum Alter von 6 Monaten bei einem Harnwegsinfekt mit einer Ultraschalluntersuchung nach einer Anomalie der Harnwege gesucht werden soll, ist bei älteren Kindern mit einem «typischen» akuten Harnwegsinfekt in der Regel keine weitere Untersuchung notwendig. Wenn Verdacht auf einen erheblichen vesiko-ureteralen Reflux besteht oder ein Infektrezidiv auftritt, sind bis zum Alter von

Schlussfolgerungen

Während bei Säuglingen bis zum Alter von 6 Monaten bei einem Harnwegsinfekt mit einer Ultraschalluntersuchung nach einer Anomalie der Harnwege gesucht werden soll, ist bei älteren Kindern mit einem «typischen» akuten Harnwegsinfekt in der Regel keine weitere Untersuchung notwendig. Wenn Verdacht auf einen erheblichen vesiko-ureteralen Reflux besteht oder ein Infektrezidiv auftritt, sind bis zum Alter von 3 Jahren bildgebende Verfahren (Ultraschall, Szintigraphie) indiziert.

Bei einem ausgeprägten vesiko-ureteralen Reflux kann eine Antibiotikaprophylaxe sinnvoll sein, besonders wenn eine akute Pyelonephritis aufgetreten ist oder narbige Nierenveränderungen festgestellt werden. Dabei sind nur Cotrimoxazol, Trimethoprim und Nitrofurantoin gut dokumentiert. Lassen sich keine Anomalien der Harnwege nachweisen, so ist eine Antibiotikaprophylaxe nicht angezeigt.

Minidossier

Zu diesem Thema ist im Internet ein Minidossier verfügbar (www.infomed.org/minidossier/harnwegsinfekt.html)

Standpunkte und Meinungen

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Rezidivierende Harnwegsinfekte bei Kindern (5. März 2008)
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pharma-kritik, 29/No. 15
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