Influenza-Impfstoff mit MF59-Adjuvans

Synopsis

Unter dem Namen Fluad® ist in der Schweiz ein mit MF59C.1 «adjuvantierter» Influenza-Impfstoff eingeführt worden.

Eigenschaften

Der «adjuvantierte» Impfstoff enthält wie alle anderen Grippeimpfstoffe Oberflächenantigene von drei Influenzavirus-Stämmen. Die Zusammensetzung entspricht den von der WHO jährlich neu für die Impfung empfohlenen Stämmen (je 15 µg Hämagglutinin von zwei Influenza-A-Stämmen und einem Influenza-B-Stamm). In Fluad® sind die Antigene in eine Öl-in-Wasser-Emulsion eingebracht. Dieses Ad-juvans (MF59C.1), bestehend aus Squalen, Polysorbat, Sorbitantrioleat, Natriumcitrat und Citronensäure, soll die Immunogenität des Impfstoffes erhöhen.

Durch das Adjuvans unterscheidet sich Fluad® von anderen in der Schweiz erhältlichen Influenza-Impfstoffen, die als «konventionell» (Fluarix®, Influvac®, Mutagrip®) und als «virosomal» (Inflexal® V, Influvac® plus) bezeichnet werden können.(1)

Der mit MF59 «adjuvantierte» Impfstoff ist in Italien schon seit 1997 zugelassen und wurde seither in zahlreichen Ländern erhältlich; in Deutschland wird der Impfstoff sogar unter zwei verschiedenen Markennamen (Addigrip®, Fluad®) verkauft. In den USA und in Kanada ist dieser Impfstoff bisher nicht zugelassen

Studien

Die auf die Injektion des «adjuvantierten» Impfstoffes folgende Immunantwort wurde in zahlreichen Studien untersucht. Diese wurden – mit wenigen Ausnahmen – bei Personen im Alter von über 65 Jahren durchgeführt und dienten dem Vergleich von Fluad® mit anderen Influenza-Impfstoffen. Die immunologische Wirkung wurde in erster Linie anhand des geometrischen Mittels der Titerwerte («geometric mean titre», GMT), an der Seroprotektion (Titer von mindestens 1:40) und an der Serokonversion (mindestens 4-facher Titeranstieg) gemessen. (Die europäischen Zulassungsbehörden verlangen, dass das GMT um mindestens das 2,5-fache ansteigt und dass eine Seroprotektion bei mehr als 70% sowie eine Serokonversion bei mehr 40% der Geimpften nachweisbar ist.)

Gemäss einer bereits 2001 veröffentlichten Meta-Analyse, in der Daten von über 10'000 Geimpften berücksichtigt wurden, ergibt sich mit dem «adjuvantierten» Impfstoff im Vergleich mit «konventionellen» Impfstoffen ein stärkerer Anstieg des GMT sowie höhere Seroprotektions- und Serokonversionsraten. Dies konnte namentlich für die Viren der A/H3N2- und die B-Stämme festgestellt werden. Eine stärkere Immunantwort auf den «adjuvantierten» Impfstoff fand sich auch bei Zweit- oder Drittimpfungen.(2) Seither sind noch einige Studien veröffentlicht worden, die meistens auch eine gegenüber dem Vergleich deutlichere Immunantwort gezeigt haben. In einer ebenfalls bei älteren Personen durchgeführten randomisierten Studie wurde auch ein «virosomaler» Impfstoff in den Vergleich einbezogen. Hier fanden sich bezüglich GMT und Seroprotektion keine nen-nenswerten Unterschiede zwischen einem «konventionellen» Impfstoff (Influvac®), dem «adjuvantierten» Impfstoff (Fluad®) und dem «virosomalen» Impfstoff (entsprechend Influvac® plus).(3)

In einer Meta-Analyse wurden 13 Studien zusammengefasst, in denen ein Teil der (älteren) Geimpften eine vorbestehende Krankheit der Atemorgane, der Herz-Kreislauforgane oder einen Diabetes hatte. Bei Personen mit diesen Erkrankungen war der «adjuvantierte» Impfstoff bezüglich GMT nicht nur wirksamer als der «konventionelle» Impfstoff, sondern auch wirksamer als bei Gesunden. Signifikant war dieser Unterschied aber nur für eines der drei Antigene (für A/H3N2). Zudem ist offensichtlich, dass die Subgruppen (Kranke bzw. Gesunde) post hoc definiert wurden.(4)

Gemäss einer unabhängigen Analyse derselben Daten lässt sich jedenfalls für Personen mit vorbestehenden Krankheiten kein signifikanter Vorteil errechnen.(5)

Zur immunologischen Wirksamkeit bei Personen unter 60 Jahren liegen nur wenige Daten vor. In einer Studie bei 238 Erwachsenen, die an einer chronischen Krankheit litten, wurde der «adjuvantierte» mit einem «konventionellen» Impfstoff verglichen. In dieser Studie fand sich für den A/H3N2- und den B-Stamm eine signifikant deutlicher ausgeprägte Im-munantwort nach «adjuvantiertem» Impfstoff.(6)Bei gesunden Erwachsenen konnten in einer anderen Studie nur punktuelle Unterschiede zwischen «adjuvantiertem» und «konventionellem» Impfstoff festgestellt werden; 180 Tage nach der Impfung bestanden kaum mehr Unterschiede zwischen den beiden Gruppen.(7) Einzelheiten zu einer neueren Studie, die bei Kleinkindern durchgeführt wurde und die Vorteile des neuen Impfstoffs zeigen soll,(8) sind noch nicht publiziert.

Die Wirksamkeit des «adjuvantierten» Impfstoffes in Bezug auf klinische Endpunkte ist bisher nicht adäquat dokumentiert. Vorhanden ist eine Studie, in der Grippe-ähnliche Erkrankungen bei Personen erfasst wurden, die in 25 Pflegeheimen offen und nicht-randomisiert den «adjuvantierten» oder «konventionellen» Influenza-Impfstoff erhalten hatten. Die Resultate weisen auf einen möglicherweise besseren Schutz durch den «adjuvantierten» Impfstoff hin; für den Vergleich wurden aber nur 15 von 25 Pflegeheimen berücksichtigt.(9) Gemäss einer Fall-Kontroll-Studie, die ebenfalls als methodologisch fragwürdig bezeichnet werden muss, erkrankten Leute, die mit dem «adjuvantierten» Impfstoff geimpft worden waren, wesentlich seltener an Pneumonien, akuten koronaren Ereignissen oder Schlaganfällen als solche, die gar nicht geimpft waren.(10)

Unerwünschte Wirkungen

Im Vergleich mit anderen Influenza-Impfstoffen verursacht der «adjuvantierte» Impfstoff signifikant mehr unerwünschte Wir-kungen. Etwa bei einem Drittel der Geimpften – rund doppelt so häufig wie nach anderen Influenza-Impfstoffen – ist mit Lokalreaktionen (Schmerzen, Rötung, Schwellung, Induration) zu rechnen. Auch systemische Reaktionen wie Myalgien, Kopfschmerzen oder ein allgemeines Malaise sind nach Fluad® häufiger als nach anderen Influenza-Impfstoffen. Die Neben-wirkungen klingen in der Regel nach wenigen Tagen ab.

Da die unerwünschten Wirkungen in den Studien nur während weniger Wochen überwacht wurden, sind kaum Aussagen zur langfristigen Sicherheit dieses Impfstoffes möglich. Gemäss Untersuchungen der Herstellerfirma sind Antikörper gegen Squalen (das in MF59 enthalten ist) bei mit «adjuvantiertem» Impfstoff Behandelten nicht häufiger nachzuweisen als sonst bei gesunden Erwachsenen.(11) In Tierversuchen fanden sich jedoch nach der Injektion eines Squalenhaltigen Adjuvans Lupus-assoziierte Autoantikörper.(12) Damit bleibt grundsätzlich eine gewisse Unsicherheit bezüglich Langzeitsicherheit bestehen.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Der mit MF59 «adjuvantierte» Influenza-Impfstoff (Fluad®) ist in Fertigspritzen zu 0,5 ml erhältlich. Er ist zur aktiven Immunisierung von Personen ab 65 Jahren zugelassen. Wie andere Influenza-Impfstoffe soll er jedes Jahr im Spätherbst verabreicht werden. Fluad® ist kassenzulässig; der Publikumspreis beträgt CHF 20.05. «Virosomale» Impfstoffe sind etwas teurer, «konventionelle» rund 2 Franken billiger. Beim «adjuvantierten» Impfstoff sind in der Praxis gegenüber anderen Influenza-Impfstoffen folgende Unterschiede zu beachten:

– Der «adjuvantierte» Impfstoff ist offiziell nur zur Anwendung bei Personen im Alter ab 65 Jahren zugelassen – für Jüngere muss deshalb ein anderer Impfstoff verwendet werden. Entsprechend soll der neue Impfstoff selbstverständlich nicht in der Schwangerschaft oder während der Stillzeit angewandt werden.

– Der «adjuvantierte» Impfstoff muss intramuskulär verabreicht werden. Ob dies in Anbetracht der relativ grosskalibrigen Kanüle (25 mm) bei Antikoagulierten problemlos durchgeführt werden kann, ist nicht dokumentiert.

– Der «adjuvantierte» Impfstoff darf nur bei Zimmertemperatur gespritzt werden und muss vor der Injektion leicht geschüttelt werden.

Kommentar

Zahlreiche immunologische Untersuchungen lassen schliessen, dass das Adjuvans MF59 die Immunantwort auf Influenza-Oberflächenantigene verstärkt. Was die A/H1N1-Antigene anbelangt, ist allerdings nicht mit einem relevanten Unterschied zu nicht-adjuvantierten Impfstoffen zu rechnen. Was uns aber interessiert, sind die klinisch relevanten Folgen: Ein Influenza-Impfstoff sollte bewirken, dass weniger Grippefälle und weniger Pneumonien auftreten und dass die Mortalität der Geimpften geringer ist als diejenige der Nicht-Geimpften. Dass dies mit dem «adjuvantierten» Impfstoff der Fall wäre (oder dass er diese Ziele besser als ein anderer Impfstoff erreichen würde), ist bisher nicht gezeigt worden. Da der «adjuvantierte» Impfstoff in Italien schon seit mehr als 10 Jahren erhältlich ist, wäre die Zeit für bessere, aussagekräftigere Studien durchaus vorhanden gewesen. Dieser Mangel ist umso bedauerlicher, als heute der bis anhin hochgelobte Nutzen der Influenza-Impfung auch von Experten angezweifelt wird.(13,14)

So stehen vorderhand negative Aspekte des «adjuvantierten» Impfstoffes im Vordergrund, unter anderem die deutlich grös-sere Zahl unerwünschter Wirkungen, die Unsicherheit bezüglich Langzeitfolgen und die Notwendigkeit, den Impfstoff ein-deutig intramuskulär zu injizieren. Bis uns bessere Daten vorliegen, kann man wohl bedenkenlos auf den neuen Impfstoff verzichten

Standpunkte und Meinungen

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Influenza-Impfstoff mit MF59-Adjuvans (14. April 2008)
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pharma-kritik, 29/No. 16
PK196
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