Wochenbettdepression

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In der Zeitschrift «Australian Prescriber» ist im April 2008 ein Text zu den Wochenbettdepressionen erschienen.(1) Eine Depression nach der Geburt eines Kindes wird oft auch als Postpartum- oder postnatale Depression bzw. als «baby blues» bezeichnet. Die Autorin des vorliegenden Textes schlägt vor, besser von einer perinatalen Depression zu sprechen, da die Störung oft schon vor der Geburt beginnt. Das Wichtigste aus diesem Text ist in den folgenden Abschnitten zusammengefasst und mit einigen Hinweisen ergänzt.

Diagnose

Wochenbettdepressionen sind nicht selten: etwa 30% aller Frauen haben nach einer Geburt Probleme mit der Anpassung an die neue Situation, bei rund 15% tritt eine eigentliche (oft ängstlich gefärbte) Depression auf. Für viele Frauen handelt es sich um die erste depressive Phase ihres Lebens; oft sorgen sie sich viel mehr um das Wohl des Kindes als um ihr eigenes Befinden und möchten das Stigma einer depressiven oder «schlechten» Mutter vermeiden.

Damit die Depression erkannt wird, ist auf mögliche Risikofaktoren zu achten. Diese umfassen insbesondere eine De-pression während der Schwangerschaft, eine psychiatrische Anamnese oder Familienanamnese, eine ungenügende Unterstützung seitens des Partners oder der Familie und das Vorhandensein multipler psychosozialer Stressfaktoren. Solche Risikofaktoren sollten möglichst schon während der Schwangerschaft – allenfalls anhand von psychometrischen Skalen wie die «Edinburgh Postnatal Depression Scale»(2) – erfasst und eventuell eine Betreuung oder Behandlung ver-anlasst werden.

Adaptationsstörungen nach der Geburt können ähnliche Symptome verursachen wie eine eigentliche Depression, sind jedoch weniger ausgeprägt und anhaltend. Solche Beschwerden verschwinden meistens innerhalb von 3 Monaten.

Depressive Frauen weinen oft, fühlen sich überfordert, schlafen schlecht und sind inappetent. Es ist wichtig, dass Mütter, die auffällig häufig wegen ihres Säuglings in die Sprechstunde kommen, immer wieder auch nach ihrem eigenen Befinden befragt werden.

Sehr viel seltener sind postpartale Psychosen, die sich in den ersten Wochen nach der Geburt mit Konfusion, psychotischen Symptomen und schweren Befindlichkeitsstörungen äussern. In diesen Fällen ist im Interesse der Mutter und des Kindes eine rasche Intervention und eventuell auch eine Hospitalisation angezeigt. Solche Frauen sind im Gegensatz zu den Frauen mit perinataler Depression auch suizidgefährdet.

Behandlung

Viele Frauen mit einer Wochenbettdepression können – mindestens initial – ohne Medikamente behandelt werden. Ob eventuell Antidepressiva eingesetzt werden sollen, muss sorgfältig individuell erwogen werden.

Psychosoziale Unterstützung

Rücksichtnahme auf die besonderen Stressfaktoren bei der betroffenen Frau – eine schwierige Geburt, das Gefühl des Ungenügens, die Veränderungen der Lebensweise – ermöglicht es, Hilfestellung anzubieten. Gruppengespräche kön-nen helfen, wobei oft eine Teilnahme des Partners am Gespräch erwünscht ist. Wichtig ist, alle verfügbaren Organi-sationen, die Frauen mit Säuglingen helfen können, zu berücksichtigen. Oft genügt es schon, einer Frau regelmässig ein paar «ruhige Stunden» für sich selbst zu ermöglichen. Eine kognitive Verhaltenstherapie kann allenfalls hilfreich sein; über den Nutzen dieses Verfahrens bei Wochenbettdepressionen weiss man allerdings wenig Sicheres.

Antidepressiva

Obwohl Antidepressiva während der Schwangerschaft keineswegs ganz problemlos sind,(3) müssen im Einzelfall die Risiken einer schweren Depression mitberücksichtigt werden. Diese Medikamente sind deshalb in der Schwangerschaft nicht absolut kontraindiziert. Von der Anwendung von Paroxetin (Deroxat® u.a.) ist aber abzuraten.(4)

Ähnliche Überlegungen gelten bei stillenden Frauen. Unerwünschte Wirkungen der in der Muttermilch enthaltenen Anti-depressiva sind nicht genügend dokumentiert. Venlafaxin (Efexor®) erreicht besonders hohe Spiegel in der Muttermilch; Frauen, die stillen, sollen deshalb nicht mit Venlafaxin behandelt werden. Es ist auch wahrscheinlich, dass sich ungünstige Wirkungen besonders bei kleinen, frühgeborenen oder kranken Kindern manifestieren könnten.

Allgemein sollte an die Verordnung von Antidepressiva gedacht werden, wenn sich die Depression trotz psychosozialer Massnahmen als hartnäckig erweist, ausgeprägte Appetit- oder Schlafstörungen verursacht oder wenn die Frau bereits einmal gut auf Antidepressiva reagiert hat. Auch der Wunsch der Patientin soll und kann bei der Wahl der Therapie berücksichtigt werden.

Mutter-Kind-Beziehung

Eine Depression bei der Mutter ist mit nachteiligen psychischen Auswirkungen beim Kind assoziiert.(5) Worauf dieser Zusammenhang beruht, ist jedoch nicht ganz klar. Die Behandlung der Depression allein genügt aber nicht, um die Mutter-Kind-Beziehung zu verbessern. Dabei ist diese Beziehung im ersten Lebensjahr von Bedeutung für zwischenmenschliche Beziehungen, die dieses Individuum im späteren Leben eingeht. In der hausärztlichen und kinderärztlichen Praxis sollte deshalb die Mutter-Kind-Beziehung beachtet werden und allenfalls Hilfe angeboten werden. Im Internet offeriert der «circle of security» einfache Hilfsmittel;(6) auch ein deutschsprachiges Schema kann heruntergeladen werden.

Schlussfolgerungen

Viele Frauen mit einer Wochenbettdepression können in der hausärztlichen Praxis behandelt werden. Wichtig ist es, eine Depression zu erkennen und rasch auch eine (primär nicht-medikamentöse) Behandlung einzuleiten. Eine psychiatrische Intervention kann angezeigt sein, wenn Gefahren für Mutter oder Kind bestehen; ein entsprechendes Konsilium ist eventuell auch im Zusammenhang mit einer antidepressiven Medikation sinnvoll.

Standpunkte und Meinungen

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Wochenbettdepression (22. September 2008)
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pharma-kritik, 30/No. 6
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