Fragen zu den adjuvantierten Grippeimpfstoffen

  • Autor(en): Etzel Gysling
  • pharma-kritik-Jahrgang , Nummer , PK256
    Redaktionsschluss: 25. November 2009

Ende November 2009 wird in der Schweiz der ganzen Bevölkerung – mit Ausnahme der Säuglinge bis zum Alter von 6 Monaten – empfohlen, sich gegen das «neue» A(H1N1)- Influenzavirus (sogen. Schweinegrippe) impfen zu lassen. In der Schweiz stehen jedoch zur selben Zeit ausschliesslich Impfstoffe zur Verfügung, die ein Squalen-haltiges Adjuvans enthalten. Der folgende, erstmals anfangs November im Internet publizierte Text soll erläutern, weshalb man das Nutzen/Risiko-Verhältnis der in der Schweiz zur Verfügung stehenden adjuvantierten Impfstoffe als ungünstig ansehen kann. Es ist aber klar festzuhalten, dass allgemein Impfungen, deren Nutzen klar erwiesen ist, zu befürworten sind.

Zum Nutzen der Grippeimpfstoffe

Mit den nach «konventionellen» Verfahren (ohne Adjuvans) hergestellten Impfstoffen gegen die sogenannte saisonale Grippe hat man jahrzehntelange Erfahrung. Da in dieser Zeit keinerlei nennenswerten Impfkomplikationen beobachtet worden sind, kann man annehmen, dass es sich um eine gut verträgliche Impfung handelt. Leider wurde verpasst, den klinischen Nutzen dieser Impfung mit guten randomisiert-kontrollierten Studien zu dokumentieren. Es bestehen deshalb Zweifel, ob der Nutzen der Impfung gegen die saisonale Grippe tatsächlich bedeutsam ist. Die Autoren einer entsprechenden Cochrane-Review weisen darauf hin, dass sich die vermeintlich guten Resultate der bisherigen Studien mindestens teilweise durch einen Selektions-Bias erklären lassen.(1) Solche – wissenschaftlich gut fundierte – Abweichungen von der «offiziellen» Meinung und der Ruf nach besseren Studien sind jedoch bisher bei Behörden und Firmen auf taube Ohren gestossen. In Anbetracht der guten Verträglichkeit ist es jedoch sinnvoll, weiterhin mit nicht-adjuvantierten Impfstoffen gegen die saisonale Grippe zu impfen.

Wie gut die zur Zeit erhältlichen Impfstoffe gegen die sogen. Schweinegrippe vor klinisch relevanten Ereignissen – ungünstigem Verlauf der Grippe, Pneumonien, Todesfällen – schützen, ist unbekannt.

Adjuvantierte Grippeimpfstoffe

In der Schweiz steht seit 2007/08 ein «adjuvantierter» Impfstoff (Fluad®) gegen die saisonale Grippe zur Verfügung. (2) (In Italien und Deutschland wurde dieser Impfstoff schon einige Jahre früher verkauft.) Dieser Impfstoff enthält ein Adjuvans (MF59.C1), welches unter anderem Squalen enthält.

Die heute in der Schweiz verfügbaren Impfstoffe gegen das «neue» H1N1-Influenzavirus (Celtura®, Focetria® und Pandemrix ®) werden ebenfalls mit Hilfe eines Adjuvans hergestellt, das Squalen enthält. Bei Celtura® und Focetria® handelt es sich wieder um MF59.C1; bei Pandemrix® heisst das Squalen-haltige Adjuvans AS03. Squalen ist in verschiedenen pflanzlichen und tierischen Geweben nachweisbar, z.B. in pflanzlichen Ölen oder in der Haileber. Letztere stellt offenbar die wichtigste Quelle für die kommerzielle Herstellung von Squalen dar.

Zur Frage, ob Squalen problemlos sei, gehen die Meinungen auseinander. Im Tierversuch kann Squalen zur Bildung von Lupus-assoziierten Auto-Antikörpern führen.(3,4) Dies könnte im Zusammenhang mit Impfungen beim Menschen relevant sein – genauere Untersuchungen wurden nicht durchgeführt. Die Tatsache, dass bei Personen, die mit Squalen-haltigen Impfstoffen geimpft wurden, keine Antikörper gegen Squalen nachweisbar sind, ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang (es geht ja nicht um Antikörper gegen Squalen).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt sich mit den Herstellerfirmen auf den Standpunkt, die Erfahrung mit dem Squalen-haltigen Impfstoff Fluad® - der etwa 22 Millionen Personen verabreicht worden ist – genüge zur Annahme, es handle sich um einen gutartigen Zusatz.(5) Dazu ist zu bemerken, dass die Erfahrungen mit nicht-adjuvantierten Impfstoffen wohl um das Hundert- bis Tausendfache grösser sind. Zudem liesse sich ein Zusammenhang mit der Impfung kaum festlegen, wenn der Squalen-haltige Zusatz allenfalls erst nach Jahren zu Autoimmunitäts-assoziierten Problemen führen würde. Auch wurde Fluad® fast ausschliesslich bei älteren Leuten verwendet. Ob diese Erfahrungen genügen, um auch bei jungen Leuten auf eine gefahrlose Anwendung schliessen zu können, ist fraglich. Im Gegensatz zur WHO hat jedenfalls die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA bisher keinen Impfstoff mit einem Squalen-haltigen Adjuvans zugelassen. Fachleute sind der Meinung, dass dies auch nicht in absehbarer Zukunft erfolgen werde.(6)

Weshalb es bisher unterlassen wurde, für die Schweiz (und mehrere andere europäische Länder) einen «Schweinegrippe»-Impfstoff ohne Adjuvans vorzubereiten, ist unverständlich. In den USA sind seit Wochen mehrere Adjuvans-freie Impfstoffe erhältlich. Auch in Frankreich ist neben einem adjuvantierten Impfstoff (Humenza®) auch einer ohne Adjuvans (Panenza®) verfügbar, beide von der Firma Sanofi Pasteur hergestellt.

Risikogruppen

Obwohl die «neue» A(H1N1)-Grippe bisher in den meisten Fällen verhältnismässig gutartig verlaufen ist, kann keineswegs ausgeschlossen werden, dass in Zukunft mit mehr Komplikationen zu rechnen ist. Bisher hat sich in erster Linie gezeigt, dass es bei jungen Leuten – besonders bei Frauen – häufiger zu einem ungünstigen Verlauf kommt.(7) Erfahrungen von früheren Epidemien lassen annehmen, dass besonders auch Frauen im zweiten und dritten Schwangerschaftstrimester einem erhöhten Risiko eines komplikationsreichen Verlaufes ausgesetzt sind. Gleichzeitig wird man jedoch gerade bei schwangeren Frauen am meisten zögern, einen adjuvantierten Impfstoff einzusetzen. In Deutschland wird zur Zeit empfohlen, bei schwangeren Frauen mit einem nicht-adjuvantierten Spalt-Impfstoff (also einem «konventionell» hergestellten) A(H1N1)-Impfstoff zu impfen. Auch der Adjuvans-freie Ganzvirus-Impfstoff (Celvapan®), der nächstens eingeführt werden soll, wird nicht empfohlen. Stattdessen ist auch in Deutschland der oben erwähnte Adjuvans-freie Impfstoff Panenza® im Gespräch (jedoch bisher nicht zugelassen).(8)

Aktuell ist in der Schweiz zu fordern, dass für Risikogruppen – insbesondere schwangere Frauen – raschestens ein nicht-adjuvantierter Spaltimpfstoff beschafft wird. Dabei könnte es sich um Panenza® oder einen der in den USA erhältlichen Impfstoffe handeln. Selbst wenn ein erhöhtes Risiko der adjuvantierten Impfstoffe nicht klar gegeben ist, besteht nicht der geringste Grund, weshalb ausgerechnet in der Schweiz die Option, mit einem nicht-adjuvantierten Impfstoff zu impfen, nicht zur Verfügung stehen soll.

Standpunkte und Meinungen

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Fragen zu den adjuvantierten Grippeimpfstoffen (25. November 2009)
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