Desloratadin und Levocetirizin: Zwei neue Antihistaminika

Synopsis

Desloratadin (Aerius®) und Levocetirizin (Xyzal®) sind zwei neue Antihistaminika, die zur Behandlung der allergischen Rhinitis und chronischen Urtikaria empfohlen werden.

Desloratadin

Chemie/Pharmakologie

Desloratadin ist der Hauptmetabolit von Loratadin (Claritine®), das zur Gruppe der neueren, nicht-sedierenden Antihistaminika gerechnet wird.(1) Desloratadin hat im Tierversuch eine bis 4mal höhere Affinität zu Histamin-H1-Rezeptoren als Loratadin. Desloratadin bindet sich auch ganz schwach an Histamin-H2-Rezeptoren sowie an muskarinische Rezeptoren. Ferner scheint Desloratadin die Freisetzung von Entzündungsmediatoren wie zum Beispiel Zytokinen zu hemmen. Bei gesunden Freiwilligen konnten unter Desloratadin weder zentralnervöse Wirkungen (Sedation.a.) noch EKG-Veränderungen (Verlängerung der QT-Zeit) oder andere kardiovaskuläre Effekte nachgewiesen werden.(lit)

Pharmakokinetik

Zwei bis sechs Stunden nach oraler Einnahme von Desloratadin misst man maximale Plasmaspiegel. Die Resorption wird durch die Einnahme mit dem Essen nicht beeinflusst. Die biologische Verfügbarkeit ist nicht bekannt. In der Leber wird Desloratadin hauptsächlich in das ebenfalls pharmakologisch aktive 3-Hydroxy-Desloratadin umgewandelt, wobei die beteiligten Enzyme nicht identifiziert sind. 3-Hydroxy-Desloratadin wird an Glukuronsäure gekoppelt und über Urin und Stuhl ausgeschieden. Ein kleiner Prozentsatz von Desloratadin wird unverändert oder in Form von anderen hydroxylierten Metaboliten eliminiert. Die Plasmahalbwertszeit beträgt 2030. Bei Personen mit schwerer Leber- oder Niereninsuffizienz kann die Plasmakonzentration bis auf etwa das 2,5fache ansteigen.(lit)

Klinische Studien

In den bisher durchgeführten klinischen Studien wurden über 2300mit allergischer Rhinitis und über 200mit chronischer Urtikaria behandelt; die meisten dieser Studien wurden bisher nicht in vollem Umfang veröffentlicht. Publikationen zu Vergleichen mit anderen Antihistaminika liegen nicht vor.

Allergische Rhinitis

In einer Dosisfindungsstudie, über die nur in einer Zusammenfassung berichtet wird, erhielten 1026während zwei Wochen Placebo oder eine von fünf verschiedenen Desloratadin-Dosen (einmal täglich 2,5, 5, 7,5, 10 oder 20). Ausser in der niedrigsten Dosis linderte Desloratadin die Rhinitis-Symptome signifikant besser als Placebo. Aufgrund dieser Studie wurden 5. 7,5/Tag - die sich als gleichwertig gezeigt hatten - als die optimalen Dosen definiert.(3)

Die einzige detaillierte Publikation betrifft zwei Doppelblindstudien: In einer im Frühling durchgeführten Studie behandelte man 172 mit Desloratadin (einmal täglich 5), 174 Placebo. Nach zwei Wochen wurde bestimmt, wie sich Rhinorrhoe, verstopfte Nase, Juckreiz, Augenrötung und Tränenfluss gebessert hatten. Unter Desloratadin fiel der Durchschnittswert auf der Symptomenskala von 14,3 auf 9,9, unter Placebo von 13,7 auf 11,2. An der anderen, im Herbst durchgeführten Studie nahmen in beiden Gruppen 164 teil. Hier war nach zwei Wochen der Wert auf der Symptomenskala unter Desloratadin von 17,0 auf 11,9, unter Placebo von 17,1 auf 13,3 gesunken. In beiden Studien war der Unterschied signifikant und bereits nach der ersten Dosis zu erkennen.(4) In der Dokumentation der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA sind die Resultate von vier grossen Studien zusammengenommen, ein ähnliches Bild ergebend: mit einer zweiwöchigen Desloratadin-Therapie (einmal täglich 5) nimmt die Summe aller Symptome um 28%, mit Placebo um 19% ab. Diese Resultate lassen annehmen, dass 5 mg Desloratadin ähnlich wirksam sind wie 10 mg Loratadin.(lit)
Chronische Urtikaria

Zu einer von zwei kontrollierten Studien liegen genauere Angaben vor: 190 Personen mit einer chronischen Urtikaria wurden mit Desloratadin (einmal täglich 5) oder Placebo behandelt. Auf einer Vierpunkteskala reduzierte Desloratadin die Stärke des Juckreizes nach einer Woche um 56%, nach sechs Wochen um 74%; unter Placebo betrugen diese Zahlen 22% bzw. 49%. Auch die Zahl der Quaddeln nahm unter Desloratadin in der ersten Woche signifikant stärker ab als unter Placebo.(5)

Unerwünschte Wirkungen

Die häufigsten Nebenwirkungen, die unter Desloratadin beobachtet werden, sind Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Schwindel, Müdigkeit und Schläfrigkeit. Abgesehen von einer Person, bei der eine Verlängerung des QTc-Intervalls von 431465 festgestellt wurde, rief Desloratadin in den klinischen Studien keine nennenswerten EKG-Veränderungen hervor.(3)

Interaktionen: Bislang wurden keine Interaktionen nachgewiesen. Das Risiko von pharmakokinetischen Interaktionen wird als gering eingestuft, da Desloratadin wahrscheinlich nicht über Zytochrom-Isoenzyme abgebaut wird; es ist auch kein Hemmer von Zytochromen oder des Transportproteins P-Glykoprotein.(lit)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Desloratadin (Aerius®) ist kassenzulässig und als Tabletten zu 5 erhältlich. Es wird einmal pro Tag eingenommen. In der Schweiz ist die saisonale allergische Rhinitis (Heuschnupfen) die einzige offizielle Indikation; in anderen Ländern gilt auch die chronische Urtikaria als Indikation. Bei Leber- und Niereninsuffizienz ist Vorsicht geboten, da mit einem Anstieg der Plasmaspiegel zu rechnen ist. Zur Anwendung bei Kindern und bei schwangeren und stillenden Frauen gibt es keine Daten; bei Jugendlichen sind die klinischen Erfahrungen sehr limitiert.

Die Tageskosten von Desloratadin betragen, je nach Packungsgrösse, 1.20 bis 1.55. Andere neuere Antihistaminika sind ähnlich teuer. Am wenigsten kostet Loratadin (Claritine®): vergleicht man jeweils die kleinste bzw. die grösste Packung miteinander, ist es etwa 20% billiger als Desloratadin.




Levocetirizin

Chemie/Pharmakologie

Levocetirizin ist das R-Enantiomer von Cetirizin (Zyrtec®), das als Razemat aus einem links- und einem rechtsdrehenden Stereoisomer besteht. Cetirizin ist der Hauptmetabolit von Hydroxyzin (Atarax®) und gehört wie das oben erwähnte Loratadin zu den sogenannten Zweitgenerations-Antihistaminika.(8) Von den beiden Cetirizin-Stereoisomeren bindet sich Levocetirizin stärker an die H1-Rezeptoren als Dextrocetirizin und scheint im Wesentlichen für die Wirkung von Cetirizin verantwortlich zu sein.

In pharmakologischen Studien bei gesunden Freiwilligen wurde gezeigt, dass eine Einmaldosis von 5 Levocetirizin histamininduzierte Haut- und Nasenschleimhautreaktionen gleich gut blockiert wie 10 Cetirizin und besser als 10 Loratadin.(lit)

Pharmakokinetik

Levocetirizin wird nach oraler Einnahme rasch resorbiert, maximale Plasmaspiegel sind nach weniger als einer Stunde erreicht. Die biologische Verfügbarkeit ist nicht genau bestimmt, scheint aber relativ hoch zu sein. Levocetirizin wird zum Grossteil unverändert renal ausgeschieden, der Rest in der Leber über CYP3A4 und andere Zytochrom-Isoenzyme zu mindestens 13 Metaboliten abgebaut. Die Plasmahalbwertszeit liegt zwischen 78.(lit)

Klinische Studien

Zu klinischen Erfahrungen mit Levocetirizin sind bisher nur zwei Untersuchungen veröffentlicht. Eine davon ist eine Doppelblindstudie, die 467 mit Heuschnupfen umfasste. Zwei Wochen lang nahmen sie Placebo oder eine von drei verschiedenen Levocetirizin-Dosen (einmal täglich 2,5, 5 oder 10). Gemäss einer Symptomenskala half Levocetirizin gegen Niesen, Rhinorrhoe sowie Juckreiz in Nase und Augen signifikant besser als Placebo: auf der Neunpunkteskala sank der Wert mit der 2,5-mg-Dosis von 7,8 auf 4,3, mit der 5-mg-Dosis von 7,5 auf 4,1, mit der 10-mg-Dosis von 7,2 auf 3,6 und mit Placebo von 7,9 auf 5,2; dabei liess sich für Levocetirizin eine dosisabhängige Wirkung errechnen. Nach dem Urteil der Untersuchenden ergab sich mit 2,5 Levocetirizin bei 39%, mit 5 bei 35% und mit 10 bei 42% der Behandelten eine gute bis ausgezeichnete Wirkung; unter Placebo waren es 22%.(13)

Die andere Publikation betrifft eine offene Beobachtungsstudie bei rund 17'300 Personen mit Rhinitis allergica, chronischer Urtikaria oder anderen allergischen Erkrankungen. Die Zahl der Patienten und Patientinnen, die von mittelschweren bis schweren Nasen-, Augen- oder Hautsymptomen betroffen waren, reduzierte sich unter einer durchschnittlich einmonatigen Levocetirizin-Behandlung (einmal täglich 5) um 80 bis 90%.(lit)

Unerwünschte Wirkungen

Somnolenz wird als häufigste Nebenwirkung von Levocetirizin angegeben; dies entspricht den Erfahrungen mit Cetirizin, dessen sedierende Effekte vermutlich etwas stärker sind als bei anderen neuen Antihistaminika.(15) Ferner können unter Levocetirizin Kopfschmerzen, Mundtrockenheit, Schwindel oder gastrointestinale Beschwerden vorkommen. Bei Cetirizin, dem Razemat, sind auch einzelne Fälle von schweren Nebenwirkungen wie zum Beispiel Konvulsionen, Leberschädigungen oder anaphylaktische Reaktionen beobachtet worden.

Interaktionen: Wegen der möglichen sedierenden Wirkungen ist in Kombination mit anderen zentral dämpfenden Substanzen (z.B. Alkohol) zu Vorsicht geraten. Ansonsten ist nicht mit relevanten Interaktionen zu rechnen.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Levocetirizin (Xyzal®) wird als Tabletten zu 5 angeboten und soll einmal pro Tag eingenommen werden. Das Medikament ist kassenzulässig. Indikationen sind die allergische Rhinokonjunktivitis und die chronische Urtikaria. Bei einer Leberfunktionsstörung ist keine Dosisanpassung nötig; dagegen soll bei einer Niereninsuffizienz das Dosierungsintervall verlängert werden, wenn die Kreatininclearance unter 50/min liegt. Bei Kindern unter zwölf Jahren sowie bei schwangeren und stillenden Frauen soll Levocetirizin nicht verschrieben werden. Levocetirizin kostet je nach Packung 1.20 - 1.35, gleich viel wie Cetirizin (Zyrtec®).


Kommentar

Zwar mögen Desloratadin und Levocetirizin gleich wirksam sein wie ihre Muttersubstanzen Loratadin (Claritine®) und Cetirizin (Zyrtec®); gleichwohl muss man Desloratadin und Levocetirizin aus den Rängen fallen lassen - einfach weil sie zu wenig dokumentiert sind. Für keines der beiden "neuen" Mittel sind Vergleiche mit anderen Antihistaminika publiziert. Die Einführung von Desloratadin und Levocetirizin hat wenig mit medizinischen Gründen zu tun. Momentan dominieren Loratadin und Cetirizin den Antihistaminika-Markt - Loratadin ist weltweit eines der umsatzträchtigsten Medikamente überhaupt - und sind in den kleinsten Packungsgrössen rezeptfrei erhältlich. Doch sie werden bald überall den Patentschutz verloren haben, so dass den Originalpräparaten Konkurrenz von Generika droht, die sich unter Umständen auch mit Publikumswerbung in Position bringen werden. Deshalb sollen Desloratadin und Levocetirizin helfen, Marktanteile zu erhalten. Nun lässt sich auch entschlüsseln, wie der Begriff der neuen Ära zu verstehen ist, der in der Werbebroschüre einer der beiden Herstellerfirmen auftaucht - als ein neckischer Hinweis auf ein goldenes Zeitalter, das ein zweites Mal hereinbrechen möge.

Standpunkte und Meinungen

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Desloratadin und Levocetirizin: Zwei neue Antihistaminika (5. April 2002)
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pharma-kritik, 23/No. 17
PK280
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