Erdostein
- Autor(en): Alexandra Hennemann
- pharma-kritik-Jahrgang 20
, Nummer 01, PK346
Redaktionsschluss: 22. Oktober 1998 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Erdostein (Mucofor ® ) wird als Mukolytikum zur Behandlung der akuten und chronischen Bronchitis empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Erdostein ist ein neues Thiolderivat des Cysteins. Es wirkt ähnlich mukolytisch und expektorationsfördernd wie Acetylcystein (N-Acetylcystein, Fluimucil ® u.a.). In vitro lässt sich auch eine reduzierende Wirkung auf freie Radikale nachweisen.(1) Diese Mukolytika weisen Thiolgruppen auf, die vermutlich die Disulfidbrücken der Schleimmukoproteine reduzieren und sie so verflüssigen. Der mukolytische Effekt basiert somit auf der verminderten Viskosität und Adhäsivität der Schleimmukoproteine. Dabei erhöht sich die mukoziliäre Clearance. Wie Acetylcystein schützt Erdostein ausserdem das a1-Antitrypsin, den natürlichen Gegenspieler der Elastase, vor oxidativer Inaktivierung z.B. durch Zigarettenrauch.(1) Im Unterschied zu Acetylcystein werden bei Erdostein die freien Thiolgruppen erst durch enzymatische Spaltung in der Leber gebildet.
Pharmakokinetik
Erdostein wird rasch resorbiert und metabolisiert. In der Leber wird es in mindestens drei aktive Metaboliten, N-Thiodiylglycolylhomocystein, N-Acetylhomocystein und Homocystein, umgewandelt. Maximale Plasmakonzentrationen der aktiven Metaboliten werden innerhalb von 2 bis 3 Stunden erreicht. N-Acetylhomocystein ist wahrscheinlich der wichtigste Metabolit und weist eine Plasmahalbwertszeit von rund 2,5 Stunden auf.(2) Die Ausscheidung erfolgt über die Nieren und mit dem Stuhl in Form von anorganischen Sulfaten. Bei mittelschwerer Niereninsuffizienz bis zu einer Kreatinin-Clearance von 25-40 ml/min ergaben sich keine nennenswerten Änderungen der kinetischen Grössen. Bei Personen mit Leberfunktionsstörungen wurden höhere Plasmaspiegel als bei Lebergesunden gefunden.
Klinische Studien
Die vorliegenden Studien wurden fast immer bei Personen durchgeführt, die an einer Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Bronchitis litten. Meistens wurde gleichzeitig ein Antibiotikum verabreicht. Die Behandelten waren in der Regel zu 60 bis 80% Männer. Die Beurteilung des Therapieerfolgs erfolgte in erster Linie anhand der klinischen Symptome und aufgrund von spirometrischen Befunden. Die klinischen Symptome (Aussehen und Viskosität des Sputums, Husten, Auskultationsbefund, Dyspnoe und Schwierigkeiten bei der Expektoration) wurden numerisch gewertet, z.B. 0 = kein Husten, 3 = sehr häufiger Husten. Diese Zahlenwerte wurden sodann zu einem klinischen Index («Global Clinical Assessment») zusammengefasst.
Vergleiche mit Placebo
Die grösste bisher publizierte Doppelblindstudie umfasst 226 Personen, die alle an einer Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Bronchitis erkrankt waren. Sie erhielten für 7 bis 10 Tage Amoxicillin (Clamoxyl ® u.a., 3mal 500 mg/Tag) und dazu entweder Erdostein (2mal 300 mg/Tag) oder Placebo. Der Indexwert des «Global Clinical Assessment» konnte mit Erdostein bis zum Studienende um 60%, mit Placebo nur um 41% gesenkt werden. In bezug auf Sputumvolumen, Körpertemperatur und Spirometriemessungen ergaben sich keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Bei Studienende husteten noch 79% der mit Erdostein und 92% der mit Placebo Behandelten.(3)
Analog wurden auch 24 weitere Personen in einer Doppelblindstudie behandelt, in der auch die Antibiotikakonzentration im Sputum analysiert wurde: In der Erdosteingruppe fand sich eine höhere Amoxicillinkonzentration im Sputum. In der gleichen Gruppe nahm auch die Sputumviskosität im Vergleich zur Gruppe, die Amoxicillin+Placebo erhielt, rascher ab. Keine Unterschiede fanden sich in bezug auf Husten, Dyspnoe und Purulenz des Sputums.(4)
40 hospitalisierte Kranke mit akuter Bronchitis oder der Exazerbation einer chronischen Bronchitis wurden in einer Doppelblindstudie mit dreimal 300 mg Erdostein täglich oder Placebo behandelt. Alle erhielten ausserdem Cotrimoxazol (entsprechend 2 Forte-Tabletten Bactrim ® täglich). Auch hier erfolgte die Beurteilung nach einem klinischen Score mit den üblichen Kriterien. Die Symptome besserten sich in der Erdosteingruppe rascher; nach 6 Tagen beschränkten sich die Unterschiede zwischen den Gruppen jedoch auf Husten-häufigkeit, Sputummenge und Expektorationsprobleme.(5)
Zwei Studien wurden bei Personen durchgeführt, die sich in einem stabilen Stadium einer chronisch-obstruktiven Bronchitis befanden und entsprechend auch keine Antibiotika erhielten: In der einen (nicht veröffentlichten) Doppelblindstudie bei 134 Personen konnte gemäss den Angaben der Herstellerfirma der globale klinische Indexwert mit Erdostein um 27%, mit Placebo um 19% gesenkt werden.
Die zweite Doppelblindstudie wurde im Crossover-Verfahren durchgeführt: Hier erhielten 100 Personen (77 Männer, 23 Frauen während je vier Wochen Erdostein (2mal 300 mg/Tag) und Placebo. Zur Beurteilung wurden wiederum mehrere Symptome (Husten, Auswurf, Dyspnoe) und der Gesamtzustand evaluiert sowie spirometrische Messungen vorgenommen. Im veröffentlichten Bericht werden jedoch keine eigentlichen Resultate, sondern praktisch nur statistische Signifikanzen rapportiert. Gemäss diesen statistischen Berechnungen wäre Erdostein dem Placebo in bezug auf alle untersuchten Kriterien signifkant überlegen.(lit)Vergleich mit anderen Mukolytika
Von besonderem Interesse ist der Vergleich mit Acetylcystein. Dazu liegt jedoch nur eine Studie vor. In dieser wurden 31 Männer und 19 Frauen mit der Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Bronchitis für 7 bis 10 Tage mit Erdostein (3mal 225 mg/Tag) bzw. Acetylcystein (Fluimucil ® u.a., 3mal 200 mg/Tag) behandelt. Beide Medikamente wirkten sich vorteilhaft auf alle untersuchten Symptome aus, Erdostein beeinflusste aber die Sputumviskosität und die Hustenfrequenz rascher. Die Aussagekraft dieser Studie ist durch mehrere Mängel beeinträchtigt: alle Behandelten erhielten gleichzeitig parenterale Antibiotika unbekannter Natur; eine Placebokontrolle fehlt; beide Mukolytika wurden als Pulver verabreicht und konnten deshalb wahrscheinlich geschmacklich unterschieden werden.(7)
In zwei Studien, die je ungefähr 30 Kranke umfassten, wurde Erdostein auch mit Ambroxol (Mucosolvon ® u.a., 3mal 30 mg/Tag) verglichen. Es ergaben sich praktisch identische Resultate mit den beiden Mukolytika.(1,9) Auch diese beiden Studien waren aber nicht placebokontrolliert,eine davon gar nur einfachblind (8) und in der anderen fehlt die Beschreibung der gleichzeitig verabreichten Antibiotika.(9)
Langzeitstudie
In einer ungewöhnlich lang dauernden Doppelblindstudie, in der 184 Personen mit chronischer Bronchitis während sechs Monaten mit Erdostein oder Placebo behandelt werden sollten, beendeten annähernd die Hälfte der mit Placebo Behandelten die Studie vorzeitig. Die Autoren gelangen zum Schluss, dass unter Erdostein signifikant weniger Exazerbationen auftraten. Da jedoch Daten fehlen, die eine «Intention-to-treat»-Analyse erlauben würden, ist nicht gesichert, dass tatsächlich ein signifikanter Unterschied bestand.(lit)
Unerwünschte Wirkungen
Nach Einnahme von Erdostein treten gelegentlich gastrointestinale Beschwerden in Form von Magenschmerzen, Magenbrennen und Brechreiz auf; Durchfall ist selten. Die vorliegenden Daten lassen keine eindeutigen Schlüsse auf Unterschiede in der Verträglichkeit verschiedener Mukolytika zu. Im Vergleich mit Acetylcystein (in Pulverform) soll Erdostein geschmacklich besser toleriert werden.
Interaktionen
Systematische Interaktionsstudien liegen nicht vor. Die vorhandenen Studien ergeben keine Hinweise auf klinisch relevante Interaktionen.
Dosierung/Verabreichung/Kosten
Erdostein (Mucofor ® ) ist als Kapseln zu 150 und zu 300 mg im Handel. Das Präparat ist in der Schweiz rezeptpflichtig und kassenzulässig. Erwachsenen wird empfohlen, 2mal täglich 1 Kapsel zu 300 mg einzunehmen. Kinder ab 10 Jahren können 2-3mal täglich eine Kapsel zu 150 mg nehmen. Die maximal empfohlene Behandlungsdauer beträgt 7-10 Tage. Kinder bis zum Alter von 10 Jahren sowie schwangere und stillende Frauen sollten kein Erdostein einnehmen, da das Medikament für diese Personengruppen nicht dokumentiert ist. Kontraindikationen sind bekannte Überempfindlichkeit gegenüber Erdostein, ein aktives peptisches Ulkus, Niereninsuffizienz (Kreatininclearance unter 25 ml/min) und schwere Leberinsuffizienz. Die Kosten für 20 Kapseln zu 300 mg (entsprechend einer Behand-lungsdauer von 10 Tagen) belaufen sich auf CHF 19.60. Zum Vergleich: eine gleich lange Behandlung mit Acetylcystein (600 mg/Tag) kostet je nach Präparat zwischen 12 und 19 Franken.
Kommentar
Obwohl der Nutzen der Mukolytika nach Ansicht der meisten Pneumologen verhältnismässig bescheiden ist, handelt es sich doch um eine sehr beliebte Gruppe von Medikamenten. Besonders Acetylcystein wird oft auch ohne ärztliche Verordnung eingenommen. Erdostein ist das neueste Mitglied dieser Gruppe, die im Laufe der Jahre immer grösser geworden worden ist. Erdostein scheint grosso modo ähnlich wirksam zu sein wie Acetylcystein. Die vorhandenen Publikationen zu Erdostein weisen aber teilweise erhebliche Mängel auf, so dass es recht schwierig erscheint, dem neuen Medikament einen Platz zuzuweisen. Die Tatsache, dass Erdostein keinen Schwefelgeschmack aufweist, ist wohl eher von untergeordneter Bedeutung. Es gibt ja heute auch von Acetylcystein Formen, die geschmacklich unauffällig sind.
Literatur
- 1) Dechant KL, Noble S. Drugs 1996; 52: 875-81
- 2) Papalia D et al. Med Prax 1992; 13: 99-107
- 3) Marchioni CF et al. Int J Clin Pharmacol Ther 1995; 33: 612-8
- 4) Ricevuti G et al. Thorax 1988; 43: 585-90
- 5) Hötzinger H. Med Prax 1991; 12: 171-81
- 6) Ghiringhelli G, Mancini C. Arch Med Interna 1995; 47: 113-20
- 7) Zanasi A, Menarini A. Med Prax 1991; 12: 207-17
- 8) Tellings JC. Med Prax 1991; 12: 183-95
- 9) Fumagalli G et al. G Ital Mal Torace 1988; 42: 299-308
- 10) Franco M, Mancini C. Arch Med Interna 1995; 47: 101-11
- 11) Fioretti M, Bandera M. Med Prax 1991; 12: 219-27
Standpunkte und Meinungen
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