Medikamente gegen Alzheimer-Krankheit

Übersicht

Die Alzheimer-Krankheit stellt in unserer älter werdenden Bevölkerung ein immer grösseres Problem dar: Gemäss der Framingham-Studie hat eine 65jährige Frau ein Risiko von 12%, im weiteren Verlauf ihres Lebens eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln; für einen 65jährigen Mann beträgt das Risiko 6%.(1) In einer holländischen Studie erkrankten von 100 85jährigen oder älteren Personen jedes Jahr 7 Personen neu an einer Demenz.(2) Dabei kann angenommen werden, dass die Alzheimer-Krankheit für mehr als die Hälfte dieser Fälle verantwortlich ist.
Histopathologische Veränderungen finden sich hauptsächlich im Hippocampus und im parietotemporalen Kortex. Charakteristisch sind extrazelluläre Ablagerungen von Beta-Amyloid, einem krankhaften, neurotoxischen Abbauprodukt des Amyloidvorläuferproteins (senile Plaques), und intrazelluläre, aus helikalen Proteinfilamenten bestehende Bündel (Alzheimer-Fibrillen). Tierversuche lassen vermuten, dass Amyloidablagerungen und neurofibrilläre Bündel früh eine Zerstörung cholinerger Neuronen und damit eine Verminderung des zerebralen Acetylcholingehaltes verursachen können. In späteren Krankheitsstadien degenerieren auch nicht-cholinerge Nervensysteme. Bei Personen mit einer besonderen Form des Apolipoproteins E, dem Allel Epsilon 4, weisen Beta-Amyloide eine erhöhte Neurotoxizität auf. Dieses auf dem Chromosom 19 lokalisierte Allel findet sich bei 15% der Bevölkerung und bei 45% der Alzheimer-Kranken. Homozygote Träger des Apolipoproteins Epsilon 4 haben ein erhöhtes Risiko, bereits im Alter von unter 70 Jahren an der Alzheimer-Demenz zu erkranken. Die Alzheimer-Krankheit ist charakterisiert durch einen kontinuierlich progredienten Verlust von Fähigkeiten, die für alltägliche Handlungen benötigt werden. Betroffen sind in erster Linie Kurzzeitgedächtnis, sprachliches Verständnis, räumliche Orientierung, visuelles Erkennen und andere kognitive Fähigkeiten (Rechnen, Abstraktion) sowie Affekt und Verhalten. Apraktische Störungen können in allen Krankheitsstadien auftreten, Gangstörungen und Inkontinenz gehören meistens zur Symptomatik in fortgeschrittenen Stadien der Demenz. Fokale neurologische Ausfälle können auf zusätzliche vaskuläre Läsionen hindeuten. Die durchschnittliche Überlebenszeit beträgt 10 Jahre.
Die Diagnose einer Alzheimer-Krankheit kann selten mit letzter Sicherheit gestellt werden. Nicht einmal das Krankheitsbild einer Demenz im allgemeinen ist so klar festgelegt, dass es in verschiedenen Klassierungen einheitlich beurteilt würde. So ergaben sich bei einem kanadischen Kollektiv von älteren Leuten je nach den in verschiedenen Klassierungen verwendeten Demenz-Kriterien Prävalenzen zwischen 3 und 29%!(3)
Das ungefähre Ausmass einer Demenz lässt sich primär mittels «Mini Mental State Examination» (MMSE) erfassen. Durch sorgfältige Befragung der Kranken und ihrer Angehörigen und die Anwendung spezifischer neuropsychologischer Tests gelingt es sodann in der grossen Mehrzahl der Fälle, die Diagnose einer Demenz festzulegen.
Ergänzende Untersuchungen dienen in erster Linie dazu, reversible Komponenten der kognitiven Beeinträchtigung zu erfassen. Diese können im Bereich des Metabolismus (Hormon- oder Vitamindefizite) oder psychischer Erkrankungen (Depression, Alkoholismus) liegen oder auch auf Arzneimittel (Benzodiazepine, Medikamente mit zentraler anticholinergischer Wirkung) zurückgehen. Je nach individueller Situation sind zusätzliche Abklärungen (Neuroradiologie, Liquordiagnostik, Suche nach seltenen endokrinen und metabolischen Krankheiten) indiziert. Neben ausschliesslich Alzheimer-bedingten Demenzen finden sich oft Mischformen, bei denen die Schäden teilweise vaskulär bedingt sind. Die Genotypisierung des Apolipoproteins E gestattet im Einzelfall keine sichere Aussage über die Wahrscheinlichkeit, dass eine demente Person an der Alzheimer-Krankheit leidet. Diese aufwendige und teure Untersuchung sollte deshalb nicht routinemässig durchgeführt werden.(4)

Allgemeine Massnahmen

Von grosser Bedeutung sind die Anpassung der Umgebung an die Leistungsdefizite der Betroffenen und die Schulung, Betreuung und Entlastung der pflegenden Angehörigen. Neben der Familie sollten weitere Personen einbezogen werden, um demente Personen u.a. mittels Spaziergängen, Gesprächen und Besuchen von kulturellen Veranstaltungen zu aktivieren. Auf eine sichere Umgebung (gute Beleuchtung, stabile Teppiche, Entfernung gefährlicher Objekte und Substanzen) und auf einen strukturierten Tagesablauf mit schriftlichen Gedächtnisstützen sollte besonders geachtet werden. Die optimale Betreuung eines dementen Individuums und seiner Angehörigen kann die Heimeinweisung hinauszögern.(5)
Nächtliche Unruhe, Aggressivität und psychische Störungen werden von Angehörigen schlechter toleriert als mnestische und kognitive Defizite. Die Verabreichung geeigneter Psychopharmaka kann deshalb eine wichtige therapeutische Massnahme darstellen. Medikamente mit starker anticholinerger Wirkung sollten jedoch möglichst gemieden werden, da sie die Demenz verstärken können. In Frage kommen kurz- bis mittellangwirkende Benzodiazepine wie Oxazepam (z.B. Seresta®), neuere Antidepressiva (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und MAO-Hemmer) und Neuroleptika mit geringer anticholinerger Aktivität (Butyrophenone wie Haloperidol [Haldol® u.a.]), alle Medikamente initial in sehr zurückhaltender Dosierung. Wirksamkeit und Verträglichkeit müssen sorgfältig individuell überprüft werden.

Acetylcholinesterasehemmer

Zentral wirksame Hemmstoffe der Acetylcholinesterase fördern die cholinerge Neurotransmission durch eine Verlangsamung des Abbaus jener Acetylcholin-Moleküle, die von noch intakten cholinergen Neuronen in den synaptischen Spalt freigesetzt werden. Die degenerativen Prozesse der Alzheimer-Krankheit werden jedoch von Cholinesterasehemmern nicht beeinflusst. Heute sind in der Schweiz drei Cholinesterasehemmer zur Behandlung der Alzheimer-Demenz erhältlich.

Tacrin

Tacrin(Cognex®)wurde1995 in pharma-kritik ausführlich besprochen.(6)Gegenüber den damals vorliegenden Daten kann festgestellt werden, dass seither keine grösseren neuen Studien veröffentlicht worden sind. Ein Teil der Personen, die an einer 30wöchigen Doppelblindstudie(7) teilgenommen hatten, wurden anschliessend offen mit Tacrin behandelt und während mindestens zwei Jahren beobachtet.(8) Aus dieser Beobachtung wurde abgeleitet, bei Personen unter Tacrin-Tagesdosen von 120 bis 160 mg könne der Pflegeheimeintritt verzögert werden. Da es sich nicht mehr um eine kontrollierte Studie handelte, kann diese Schlussfolgerung angezweifelt werden. Tacrin hat oft eine hepatotoxische Wirkung. Viele Fachleute halten Tacrin heute für obsolet, da besser verträgliche Acetylcholinesterasehemmer zur Verfügung stehen.

Donepezil

Donepezil (Aricept ® ) ist in der Schweiz seit dem Sommer 1997 erhältlich und wird ebenfalls bei Alzheimer-Demenz eingesetzt.

Pharmakologie
Donepezilhydrochlorid, ein Piperidinderivat, hemmt die Acetylcholinesterase gut 1000mal stärker als die Butyrilcholinesterase und wird deshalb als selektiver Acetylcholinesterasehemmer bezeichnet. Die Bindung an das Enzym ist reversibel.

Pharmakokinetik
Donepezil wird gastrointestinal rasch resorbiert und erreicht nach 3 bis 5 Stunden maximale Plasmaspiegel. Die biologische Verfügbarkeit ist nicht bekannt. Die Einnahme zu den Mahlzeiten scheint die Resorption nicht zu beeinträchtigen. Donepezil wird in der Leber durch die Zytochrom-Isoenzyme CYP2D6 und CYP3A4 metabolisiert und mit einer Halbwertszeit von 70 bis 100 Stunden vorwiegend renal ausgeschieden. Einzelne Metaboliten sind biologisch aktiv. Bei regelmässiger täglicher Einnahme wird nach etwa drei Wochen ein Fliessgleichgewicht der Plasmaspiegel erreicht.

Klinische Studien
Die Wirksamkeit von Donepezil ist namentlich in folgenden drei Studien nachgewiesen worden:
Eine 12 Wochen dauernde Dosisfindungsstudie umfasste 161 Personen mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Krankheit. Sie erhielten doppelblind in vier parallelen Gruppen 1, 3 oder 5 mg Donepezil täglich oder Placebo. Bei 141 Personen konnte die Studie zu Ende geführt werden. Unter Donepezil wurden dosisabhängige Trends zur Besserung beobachtet.(9)
In zwei weiteren multizentrischen Doppelblindstudien wurde Donepezil in Tagesdosen von 5 bzw. 10 mg mit Placebo verglichen. Die eine davon dauerte 24 Wochen, 473 Personen mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Krankheit waren beteiligt, 367 beendeten die Studie. Die ADAS-cog- und die CIBIC-plus-Bewertung (Abkürzungen siehe Tabelle 1) ergaben für die mit Donepezil Behandelten statistisch signifikante Vorteile gegenüber Placebo. Eine praktisch bedeutsame Besserung (um mindestens 4 ADAS-cog-Punkte) erreichten 27% unter Placebo, 38% unter 5 mg Donepezil und 53% unter 10 mg Donepezil. Die Lebensqualität wurde von Donepezil nicht beeinflusst.(10) Die andere Studie dauerte nur 12 Wochen und umfasste 468 Alzheimerkranke, von denen nur 56 vorzeitig ausschieden. Die Resultate stimmen weitgehend mit denjenigen der längeren Studie überein: hier stiegen die ADAS-cog-Werte unter Placebo bei 29%, jedoch bei 48 bis 57% der mit Donepezil Behandelten um mindestens 4 Punkte an, Lebensqualität und «Clinical Dementia Rating» wurden nicht beeinflusst.(11)
133 der an der letzteren Studie beteiligten Kranken erhielten anschliessend Donepezil (5 bis 10 mg/Tag) offen noch weiter. Gemäss dieser Beobachtung hielt die Verbesserung der kognitiven Funktion für durchschnittlich 38 Wochen an und die Autoren vermuten, die nachfolgende Verschlechterung wäre gegenüber historischen Kontrollen verlangsamt erfolgt.(12)

Unerwünschte Wirkungen
Obschon Donepezil die Butyrilcholinesterase in weitaus geringerem Ausmass hemmt als Tacrin, sind cholinerge Nebenwirkungen ebenfalls relativ häufig. Dosisabhängig werden bei bis zu 13% der Behandelten gastrointestinale Symptome (Brechreiz, Erbrechen, Durchfall) und Schlaflosigkeit beobachtet. Muskelkrämpfe und vermehrte Müdigkeit sind selten. Einzelfälle verschiedener kardiovaskulärer, neuropsychiatrischer und respiratorischer Probleme sind beobachtet worden,(13) bei denen jedoch der Zusammenhang mit Donepezil nicht gesichert ist. Bisher ergaben sich keine Hinweise auf Hepatotoxizität. Wechselwirkungen mit Medikamenten, die ebenfalls durch das CYP2D6- oder CYP3A4-System metabolisiert werden oder welche diese Systeme beeinflussen, wurden bisher kaum untersucht und nur sporadisch dokumentiert.

Verabreichung, Dosierung, Kosten
Donepezil (Aricept®) ist als Tabletten zu 5 und 10 mg erhältlich. Der Hersteller empfiehlt, Donepezil in einer abendlichen Dosis von zunächst 5 mg zu verabreichen und diese nach 4 bis 6 Wochen wenn möglich zu verdoppeln. Die monatlichen Behandlungskosten betragen 195 Franken.


Rivastigmin

Rivastigmin (Exelon®) ist ebenfalls seit dem Sommer 1997 zur Behandlung der Alzheimer-Demenz zugelassen.

Pharmakologie
Rivastigmin (SDZENA713, Rivastigminhydrogentartrat) geht mit der Acetylcholinesterase eine scheinbar stabile, kovalente Bindung ein, die dann allmählich durch Hydrolyse gelöst wird (pseudo-irreversible Hemmung der Cholinesterase). Damit ist das Enzym nach etwa 10 Stunden wieder fähig, seine Wirkung zu entfalten.

Pharmakokinetik
Rivastigmin erreicht bereits eine Stunde nach oraler Verbreichung maximale Plasmakonzentrationen. Die Bioverfügbarkeit wird durch einen Abbau bei der ersten Leberpassage reduziert. Sie beträgt durchschnittlich 36%, die interindividuellen Unterschiede sind aber gross. Rivastigmin wird an seiner Bindungsstelle im Gehirn zu wenig aktiven Metaboliten hydrolysiert. Diese werden über die Nieren ausgeschieden. Die Plasmahalbwertszeit von Rivastigmin beträgt ein bis zwei Stunden.

Klinische Studien
Nach Angaben der Herstellerfirma wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von Rivastigmin bei über 3000 Alzheimer-Kranken placebokontrolliert untersucht.
Bisher wurde eine Studie in den Einzelheiten veröffentlicht: In einer Doppelblindstudie erhielten 699 Personen mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz während 26 Wochen Rivastigmin entweder in relativ niedriger Dosis (1-4 mg/Tag) oder in höherer Dosis (6 bis 12 mg/Tag) oder Placebo. Mit höheren Rivastigmindosen Behandelte erreichten auf den Skalen ADAS-cog, CIBIC plus und PDS gegenüber Placebo signifikant bessere Resultate. Die niedrigeren Rivastigmindosen unterschieden sich nur teilweise von Placebo; so wurde z.B. kein Unterschied auf der «Progressive Deterioration Scale» erreicht.(14)
Gemäss Zusammenfassungen der Herstellerfirma ergibt die ADAS-cog-Bewertung bei 21% der mit 6 bis 12 mg Rivastigmin und bei 11% der mit Placebo Behandelten eine Besserung um mindestens 4 Punkte. Nach einer (bisher nur als Abstract veröffentlichten) Untersuchung soll Rivastigmin bis zu einem Jahr anhaltende Verbesserungen der Alzheimer-Symptomatik ermöglichen.

Unerwünschte Wirkungen
Unerwünschte Wirkungen sind besonders unter höheren Dosen häufig. In der Gruppe mit Tagesdosen zwischen 6 und 12 mg hatten in der erwähnten Studie zeitweise fast 50% der Behandelten Brechreiz, gegen 30% Erbrechen, 24% Schwindel und 20% Appetitlosigkeit. Auch Müdigkeit, Somnolenz, Asthenie, Gewichtsverlust und Dyspepsie waren häufiger als unter Placebo. Bei rund einem Drittel dieser Gruppe musste die Studie wegen Nebenwirkungen vorzeitig abgebrochen werden.(14)
Hinweise auf Hepatotoxizität sind jedoch nicht vorhanden. Über Interaktionen mit anderen Medikamenten ist bisher wenig bekannt.

Verabreichung, Dosierung, Kosten
Rivastigmin (Exelon®) ist als Kapseln zu 1, 1,5, 3, 4,5 und 6 mg verfügbar. Als Anfangsdosis werden 3 mg/Tag empfohlen. Bei guter Verträglichkeit kann die Tagesdosis alle 2 Wochen um 3 mg auf ein Maximum von 12 mg gesteigert werden. Rivastigmin soll zweimal täglich (morgens und abends) mit den Mahlzeiten eingenommen werden. Die Behandlung mit Rivastigmin kostet (für eine Tagesdosis von 6 bis 12 mg) 203 Franken pro Monat.

Kassenzulässigkeit der Cholinesterasehemmer

Die Kosten der Acetylcholinesterasehemmer werden seit 1. August 1998 unter folgenden Bedingungen von den Krankenkassen übernommen:
Initiale Dokumentation der Demenz z.B. mittels MMSE; Zwischenevaluationen nach den ersten drei und später jeweils nach sechs Monaten; Abbruch der Therapie bei MMSE-Werten unter 10; nur ein Präparat zur Therapie zugelassen. Eine zeitliche Limitation entfällt.

Ginkgo biloba

Aus getrockneten Blättern des Ginkgo-Baumes werden verschiedene Extrakte hergestellt. Diese enthalten insbesondere Ginkgoflavonglykoside und Terpenlaktone, deren pharmakologische Eigenschaften jedoch nicht geklärt sind. Ginkgo-Präparate werden seit langem in verschiedenen europäischen Ländern als Nootropika eingesetzt.
Einer dieser Extrakte (EGb 761, Tebonin®, in der Schweiz bisher nicht erhältlich) wurde in einer Doppelblindstudie mit Placebo verglichen. Die Untersuchung umfasste initial 327 Personen, von denen 251 an einer leichten bis schweren Alzheimer-Demenz und 76 an einer Multiinfarkt-Demenz litten. Nach einem Jahr Behandlungszeit konnten die Resultate von nur 202 Kranken (wovon 150 Alzheimer-Kranke) ausgewertet werden. Unter Ginkgo (3mal täglich 40 mg) erzielten 22 von 75 Personen eine Besserung um mindestens 4 ADAS-cog-Punkte. Unter Placebo wurde dasselbe Resultat nur bei 10 von 75 Personen erreicht.(15)
Da ein Ginkgo-Terpenoid plättchenhemmende Eigenschaften hat, kann Ginkgo wahrscheinlich auch Blutungen verursachen.

Weitere Medikamente

Da der MAO-Hemmer Selegilin (Jumexal ® ) und das Vitamin Alpha-Tocopherol (Vitamin E, z.B. Ephynal ® ) antioxidative und deshalb neuroprotektive Eigenschaften aufweisen sollen, wurde mit diesen beiden Substanzen eine Doppelblindstudie durchgeführt: 341 Personen mit mittelschwerer Alzheimer-Krankheit erhielten während zwei Jahren entweder täglich 10 mg Selegilin, 2000 E Alpha-Tocopherol, beide Medikamente kombiniert oder Placebo. Der mittels verschiedenen Tests (z.B. ADAS-cog, MMSE) geprüfte Schweregrad der Demenz nahm in allen Behandlungsgruppen gleichermassen zu. Aus der Alpha-Tocopherol-Gruppe mussten weniger Personen in ein Heim eingewiesen werden als aus den anderen Gruppen. Die mittlere Überlebenszeit betrug unter Placebo 526 Tage und war unter aktiver Therapie nicht-signifikant länger.(16)
Kohortenstudien lassen vermuten, dass die mehrjährige Einnahme von Östrogenen oder von nicht-steroidalen Entzündungshemmern das Risiko einer Alzheimer-Krankheit vermindern könnte. Entsprechende kontrollierte Studien fehlen aber bisher.

Beurteilung

Die Alzheimer-Krankheit ist ein chronisch-progredientes Leiden, das sich nicht anhand von biologischen Markern messen lässt. Deshalb ist auch die Beurteilung von möglichen Therapien methodisch schwierig.
Mit den Cholinesterasehemmern ist jedenfalls der Durchbruch in der Alzheimer-Behandlung noch nicht geglückt. Von den verfügbaren Präparaten lassen sich bei einem Teil der Kranken symptomatische, aber relativ geringgradige Verbesserungen erwarten. Was diese Verbesserungen praktisch für die Betroffenen selbst und für die Betreuerinnen und Betreuer bedeuten, ist nicht genügend klar.
Donepezil und Rivastigmin sind beide im Schnellverfahren eingeführt worden. Ausführlichere Daten zu den Studien wurden aber erst Monate nach der Zulassung veröffentlicht. Es ist offensichtlich, dass die legitimen Ansprüche der Ärzteschaft auf eine rasche, umfassende Information mit diesem Verfahren missachtet wurden. Ein Versuch, die Qualitäten der verschiedenen heute verfügbaren Medikamente gegeneinander abzuwägen, ist deshalb a priori mit grosser Unsicherheit verbunden. Im Hinblick auf die Cholinesterasehemmer scheint es, dass Donepezil -- ähnlich wirksam wie Tacrin oder Rivastigmin -- einfacher zu verabreichen und vielleicht besser verträglich ist. Die drei Cholinesterasehemmer sind bisher nicht direkt miteinander verglichen worden. Zudem sind Daten, die uns Informationen zu Wirksamkeit und Verträglichkeit während längerer Zeit vermitteln würden, bisher äusserst spärlich. Praktisch muss heute angenommen werden, dass die Cholinesterasehemmer bei guter Wirkung den Krankheitsverlauf im Vergleich mit Placebo vielleicht um ein halbes, vielleicht um ein ganzes Jahr verzögern.
Was die in unseren Nachbarländern so beliebten Ginkgo-Präparate anbelangt, kann die eine, vergleichsweise kleine Doppelblindstudie kaum genügen, um eine breite Anwendung bei Alzheimerkranken zu begründen. Da Ginkgo-Extrakte nicht allgemein standardisiert sind, muss vor einer Verallgemeinerung der vorliegenden Resultate gewarnt werden.
Eine Behandlung mit einem Cholinesterasehemmer kann erwogen werden, wenn ein leichtes bis mittelschweres dementielles Syndrom seit mindestens sechs Monaten besteht und mit grosser Wahrscheinlichkeit durch die Alzheimer-Krankheit verursacht wird. Die Behandlung sollte abgebrochen werden, sobald störende Nebenwirkungen auftreten oder falls eine schlechte Compliance vermutet wird. Als Abbruchkriterium gilt auch ein ungenügendes Ansprechen auf die Therapie nach 3 bis 6 Monaten,(17) d.h. weiter bedeutende Verschlechterung trotz Behandlung. Auch beim definitiven Eintritt in ein Pflegeheim sind die Medikamente in der Regel abzusetzen.

Kommentar

Die Therapie bei Demenz basiert auf mehreren Ansatzpunkten. Die Acetylcholinesterasehemmer haben eine beschränkte Wirksamkeit, da zum Zeitpunkt der Diagnose einer Demenz schon 50 bis 75% der Neuronen irreversibel zerstört sind. Oft bestehen jedoch partiell iatrogene Gedächtnisstörungen, z.B. infolge Benzodiazepinen oder Anticholinergika. Patienten mit Demenz werden zudem oft suboptimal medizinisch betreut und haben behandlungsbedürftige, nicht erkannte Begleiterkrankungen. Es ist wahrscheinlich, dass sich auch die symptomatische Östrogenbehandlung etablieren wird. Die regelmässige Begleitung bietet Gelegenheit für eine strukturierte psychosoziale Betreuung.
Nach der Verordnung von Acetylcholinesterasehemmern ist eine Dreiphasenevaluatiuon des Therapieeffekts notwendig. In der Frühphase ist eine engmaschige Beobachtung wegen Nebenwirkungen erforderlich. Nach drei Monaten muss der Arzt entscheiden, ob die Therapie wirksam ist (anhand von erneutem Mentalstatus und individuellen vordefinierten Leitsymptomen). Langfristig sind sechsmonatliche Reevaluationen erforderlich.

Literatur

  1. 1) Seshadri S et al. Neurology 1997; 49: 1498-1504
  2. 2) Gussekloo J et al. J Neurol Neurosurg Psychiatry 1995; 59: 507-10
  3. 3) Erkinjuntti T et al. N Engl J Med 1997; 337: 1667-74
  4. 4) Saunders AM et al. Lancet 1996; 348: 90-3
  5. 5) Mittelman MS et al. JAMA 1996; 276: 1725-31
  6. 6) Knierim C. pharma-kritik 1995; 17: 33-5
  7. 7) Knapp MJ et al. JAMA 1994; 271: 985-91
  8. 8) Knopman D et al. Neurology 1996; 47: 166-77
  9. 9) Rogers SL et al. Dementia 1996; 7: 293-303
  10. 10) Rogers SL et al. Neurology 1998; 50: 136-45
  11. 11) Rogers SL et al. Arch Intern Med 1998; 158: 1021-31
  12. 12) Rogers SL, Friedhoff LT. Eur Neuropsychopharmacol 1998; 8: 67-75
  13. 13) Anon. Can Med Assoc J 1998; 159: 81
  14. 14) Corey-Bloom J et al. Int J Geriatr Psychopharmacol 1998; 1: 55-65
  15. 15) LeBass PL et al. JAMA 1997; 278: 1327-32
  16. 16) Sano M et al. N Engl J Med 1997; 336: 1116-22
  17. 17) Lovestone S et al. Lancet 1997; 350: 232-3

Standpunkte und Meinungen

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Medikamente gegen Alzheimer-Krankheit (15. August 1998)
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