Medikamente und Grapefruitsaft

Synopsis

Die Interaktion zwischen Grapefruitsaft und Medikamenten wurde zufällig entdeckt, als man in einer Studie nach einer Wechselwirkung zwischen Felodipin (Munobal®, Plendil®) und Alkohol suchte: wenn das Medikament mit Grapefruitsaft eingenommen wurde, fanden sich höhere Felodipin-Plasmaspiegel als erwartet.(1) Weitere Untersuchungen ergaben, dass Grapefruitsaft zum Anstieg der Plasmakonzentrationen verschiedener Medikamente führen kann.(2)
Wird statt Grapefruitsaft Wasser oder Orangensaft eingenommen, so ergibt sich keine Beeinflussung der Plasmaspiegel. Diese Interaktion ist von praktischer Bedeutung, da viele Patienten ihre Medikamente am Morgen zu einem Frühstück einnehmen, das auch Grapefruitsaft enthält.

Mechanismus der Interaktion

Grapefruits enthalten verschiedene Bioflavonoide, eine Gruppe von Verbindungen, die in zahlreichen Früchten und Gemüsen vorkommt. Einige Bioflavonoide können direkt die Aktivität von Enzymen der Zytochrom-P450-Gruppe beeinflussen.
In der Grapefruit findet sich vor allem Naringin, das der Frucht ihren charakteristischen Geschmack verleiht und in Orangen nicht vorkommt. Naringin liegt im Grapefruitsaft als Mischung von verschiedenen Isomeren vor, deren Gehalt stark vom Reifegrad der Früchte und von der Reinigungsmethode abhängt. Naringin selber hat keinen Einfluss auf die Kinetik von Medikamenten. Es wird im Darm durch bakterielle Enzyme hydrolysiert und zu Naringenin und -glukuroniden umgewandelt, die die Aktivität von verschiedenen Enzymsystemen vermindern können.(3) Beeinflusst werden in erster Linie die Zytochrome CYP3A4, CYP1A2 und CYP2A6 sowie eine Dehydrogenase. Möglicherweise sind noch weitere, bisher nicht identifizierte Substanzen an dieser Interaktion beteiligt. Andere im Grapefruitsaft enthaltene Bioflavonoide (Kaempferol, Quercetin) sind jedoch wahrscheinlich von untergeordneter Bedeutung.
In den meisten Studien fanden sich unter dem Einfluss von Grapefruitsaft eine erhöhte maximale Plasmakonzentration (Cmax) und eine vergrösserte Fläche unter der Konzentrations/Zeit-Kurve («Area under the Curve», AUC) der untersuchten Substanzen sowie teilweise eine verlängerte Zeit bis zum Erreichen der maximalen Plasmakonzentration (tmax). Diese Beeinflussung wurde nur bei oraler Verabreichung beobachtet. Wurde das geprüfte Arzneimittel parenteral verabreicht, so blieben die verschiedenen kinetischen Messwerte unbeeinflusst.
Dies bedeutet, dass die Bioverfügbarkeit der oral verabreichten Substanzen erhöht wurde. Grapefruitsaft hemmt somit den präsystemischen Metabolismus via das Zytochrom-P450-Enzymsystem. Das Ausmass dieser Interaktion ist äusserst variabel und nicht voraussehbar. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen: Die Art, die Menge und die Konzentration des eingenommenen Grapefruitsaftes ist in den verschiedenen Studien recht unterschiedlich. Wahrscheinlich gibt es interindividuelle Unterschiede in der Zusammensetzung der Darmflora hinsichtlich ihrer hydrolytischen Aktivität in der Umsetzung von Naringin zu Naringenin. Zudem ist der präsystemische Metabolismus von Mensch zu Mensch verschieden und betrifft auch nicht alle Medikamente im gleichen Ausmass.(3)

Auswirkungen auf Medikamente

Die Tabelle 1 gibt eine Übersicht über einige Medikamente, deren Kinetik von Grapefruitsaft beeinflusst wird.

Kalziumantagonisten

Die Kalziumantagonisten der Dihydropyridin-Gruppe werden nach oraler Verabreichung präsystemisch durch das CYP3A4-System zu inaktiven Dehydro-Derivaten oxidiert. Da die Aktivität der Zytochrome eine beträchtliche interindividuelle Variabilität aufweist, ergeben sich (auch ohne weitere Beeinflussung) grosse Unterschiede der systemischen Verfügbarkeit.
In einer Studie führte Grapefruitsaft (im Vergleich zur Verabreichung mit Wasser) zu einer Erhöhung der Fläche unter der Konzentrations/Zeit-Kurve (AUC) von Felodipin um fast 300% und – in geringerem Ausmass – auch von Nifedipin (Adalat® u.a.). Auch die AUC der Dehydrometaboliten der beiden Medikamente und die maximalen Plasmaspiegel von Felodipin waren unter Grapefruiteinwirkung signifikant erhöht. Orangensaft (nur mit Felodipin getestet) hatte keine solche Auswirkungen. Klinisch fand sich bei Kombination mit Grapefruitsaft eine etwas stärkere Senkung des Blutdrucks sowie ein deutlicherer Anstieg der Herzfrequenz. Unerwünschte Wirkungen wie Kopfschmerzen, Gesichtsrötung (Flush) und Benommenheit waren ebenfalls häufiger, wenn das Medikament mit Grapefruitsaft statt Wasser oder Orangensaft genommen wurde.(4) Die Interaktion zwischen diesen Dihydropyridinen und Grapefruitsaft wird sowohl mit nicht-retardierten als auch mit retardierten Präparaten beobachtet.
Auch Nisoldipin (Syscor®) und Nitrendipin (Baypress®) werden vermehrt systemisch verfügbar, wenn sie mit Grapefruitsaft zusammen verabreicht werden. Andere Dihydropyridine wurden offenbar bisher nicht geprüft; es ist sehr wohl möglich, dass nicht alle Vertreter dieser Gruppe von Grapefruitsaft beeinflusst werden.
Nicht-Dihydropyridin-Kalziumantagonisten werden von Grapefruitsaft wahrscheinlich viel weniger beeinflusst. Immerhin fand sich in einer Studie eine leichte Verlängerung der Halbwertszeit von Diltiazem (Dilzem® u.a.) und in einer anderen erhöhte Plasmaspiegel von Verapamil (Isoptin® u.a.).

Ciclosporin
Dass Ciclosporin (Sandimmun®) relativ wenig bioverfügbar ist, beruht teilweise auf einem präsystemischen Metabolismus. Bei Verabreichung mit Grapefruitsaft fand sich eine Zunahme der Fläche unter der Kurve (AUC) um 20 bis 60%. Wurde der Saft mehr als 90 Minuten vor oder nach der Ciclosporinverabreichung eingenommen, so wurde zwar die maximale Plasmakonzentration erhöht, die AUC jedoch nicht verändert.

Proteaseinhibitoren
Grapefruitsaft vermag offenbar auch die Bioverfügbarkeit von Saquinavir (Invirase®) zu verdoppeln oder gar zu verdreifachen. Saquinavir ist sonst nur zu etwa 4% systemisch verfügbar. Hier könnte der gezielte Einsatz von Grapefruitsaft grundsätzlich einen besonderen Vorteil bieten. (Die heute für Personen mit fortgeschrittener HIV-Infektion empfohlene Tagesdosis von 1800 mg Saquinavir kostet 710 Franken pro Monat).
Nach Angaben der Herstellerfirma führt dagegen die Verabreichung von Grapefruitsaft mit Indinavir (Crixivan®) zu einer leichten Abnahme der AUC.

Terfenadin
Terfenadin (Teldane® u.a.), ein Histamin-H1-Rezeptoren- Antagonist, kann in nicht-metabolisierter Form kardiale Rhythmusstörungen verursachen. Das Medikament wird durch das CYP3A4-System zum antihistaminisch aktiven Metaboliten umgewandelt; normalerweise ist der präsystemische Metabolismus so ausgeprägt, dass im Plasma keine nicht-metabolisierte Substanz gefunden werden kann.
Bei sechs gesunden Versuchspersonen führte die gleichzeitige Verabreichung von Grapefruitsaft und Terfenadin (2mal täglich eine gewöhnliche Tablette zu 60 mg, während einer Woche) zu messbaren Terfenadin-Plasmaspiegeln und zu einer durchschnittlichen Verlängerung des QT-Intervalls von 420 auf 434 msec. Sechs weiteren Individuen wurde der Grapefruitsaft jeweils erst zwei Stunden nach Terfenadin gegeben: bei dieser Gruppe konnte Terfenadin nur bei zwei Personen im Plasma nachgewiesen werden.(5)

Midazolam
Wird Midazolam (Dormicum®) mit Grapefruitsaft zusammen geschluckt, finden sich deutlich erhöhte maximale Plasmaspiegel und AUC-Werte. Die Kinetik von parenteral verabreichtem Midazolam wurde von Grapefruitsaft nicht beeinflusst.

Östrogene
In einer Studie, in der acht ovarektomierte Frauen oral verabreichtes Estradiol (z.B. als Valerat in Progynova®) mit Grapefruitsaft einnahmen, ergab sich eine erhöhte systemische Verfügbarkeit von Estradiol und seinem Metaboliten Estron.(6)

Coffein
Für den Metabolismus von Coffein ist nicht CYP3A4, sondern CYP1A2 wesentlich. Gemäss Studien in vitro hemmt Naringenin die von CYP1A2 abhängige Demethylierung von Coffein. Bei gesunden Versuchspersonen ergab das Trinken von Grapefruitsaft (im Vergleich zu Wasser) eine erhöhte Bioverfügbarkeit und eine verlängerte Plasmahalbwertszeit einer Coffein-Einzeldosis von 167 mg. Die Kinetik eines weiteren Substrats von CYP1A2, Theophyllin (z.B. Euphyllin®), wurde dagegen von Grapefruitsaft nicht beeinflusst.


Konsequenzen für die Praxis

Vorläufig ist es wohl am wichtigsten, an die mögliche Interaktion von Grapefruitsaft und Medikamenten überhaupt zu denken. Dies ist besonders deshalb von Bedeutung, weil sich die Interaktion mit Midazolam, Terfenadin und eventuell auch mit Dihydropyridinen negativ auswirken kann. In all diesen Fällen empfiehlt es sich, die gleichzeitige Einnahme von Grapefruitsaft und Arzneimittel zu vermeiden.
Denkbar ist allerdings auch eine positive Auswirkung, indem dank erhöhter Bioverfügbarkeit eine bessere Wirksamkeit oder eine Dosisreduktion (mit entsprechender Kostenverminderung) realisierbar erscheint. Beim heutigen Wissensstand muss jedoch aus verschiedenen Gründen von einer solchen Intervention abgeraten werden: 1. Die Wirkungen des Grapefruitsaftes sind noch nicht genügend bekannt. 2. Der im Handel erhältliche Saft ist keineswegs auf einen bestimmten Bioflavonoid-Gehalt standardisiert. 3. Selbst wenn die Naringin-Dosis bekannt wäre, fehlen bisher klare Beziehungen zwischen Naringin-Dosis und Hemmwirkung auf die Enzymsysteme. Weitere Studien sind wünschenswert. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass sich die Unklarheiten noch ausräumen lassen und so eine «natürliche» Massnahme zur Dosisreduktion verwirklicht werden kann.

Literatur

  1. 1) Bailey DG et al. Clin Invest Med 1989; 12: 357-62
  2. 2) Bailey DG et al. Clin Pharmacokinet 1994; 26: 91-8
  3. 3) Fuhr U, Kummert AL. Clin Pharmacol Ther 1995; 58: 365-73
  4. 4) Bailey DG et al. Lancet 1991; 337: 268-9
  5. 5) Benton RE et al. Clin Pharmacol Ther 1996; 59: 383-8
  6. 6) Schubert W et al. Maturitas 1994; 20: 155-63
  7. 7) Rodvold KA, Meyer J. Infect Med 1996; 13: 868-73

Standpunkte und Meinungen

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Medikamente und Grapefruitsaft (7. Januar 1997)
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pharma-kritik, 18/No. 7
PK417
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