Azithromycin

Synopsis

Azithromycin (Zithromax®) ist ein neues Makrolidantibiotikum, das insbesondere zur Behandlung von Infektionen der Atemwege, von Haut- und Wundinfektionen sowie von urogenitalen Chlamydieninfekten empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Azithromycin unterscheidet sich von Erythromycin lediglich durch die Erweiterung des Laktonrings um eine tertiäre Aminogruppe. Es gilt als Prototyp einer neuen Klasse von fünfzehngliedrigen Makroliden, den Azaliden.(1) Wie andere Makrolide wirkt es antibakteriell, indem es durch Bindung an die 50S-Ribosomen-Einheit der Bakterienzelle die Proteinsynthese hemmt.
Sein antibakterielles Spektrum ist demjenigen anderer Makrolidantibiotika sehr ähnlich. In vitro ist Azithromycin gegen die meisten Gram-positiven Keime etwas weniger aktiv als Erythromycin; dagegen weist es eine gute Aktivität auf gegen verschiedene Gram-negative Erreger (z.B. Bordetella pertussis, Legionella pneumophila, Moraxella catarrhalis).(2) Auch die meisten Stämme von Haemophilus influenzae und von Neisseria gonorrhoeae sind auf Azithromycin empfindlich. Erreger, die auf Erythromycin resistent sind, sind aber in der Regel auch auf Azithromycin resistent. Sehr gut wirksam ist Azithromycin gegen die bakterienähnlichen Mykoplasmen und Chlamydien.

Pharmakokinetik

Dank seiner Säurestabilität wird Azithromycin durch den Magensaft nicht hydrolysiert. Nach oraler Einnahme wird das Medikament rasch resorbiert. Maximale Plasmakonzentrationen werden nach 2 bis 3 Stunden erreicht. Die biologische Verfügbarkeit beträgt etwa 37%.(3)Azithromycin verteilt sich rasch in den Geweben und erreicht unter anderem in den Tonsillen, in der Lunge und in der Cervix uteri Gewebekonzentrationen, die ein Mehrfaches über der Plasmakonzentration liegen. Auch im Sputum werden hohe Konzentrationen erreicht. Die terminale Plasmahalbwertzeit von 2 bis 4 Tagen entspricht der Gewebehalbwertzeit. Etwa 35% einer Dosis werden in der Leber zu inaktiven Verbindungen metabolisiert. Rund 50% werden mit Galle und Stuhl unverändert ausgeschieden, im Urin findet sich nur wenig unverändertes Azithromycin.

Klinische Studien

Sehr zahlreiche, vorwiegend offene Studien belegen die Wirksamkeit von Azithromycin bei verschiedenen Infektionen. Das Medikament hat sich besonders bei Infektionen der Atemwege, Mittelohrentzündungen, nicht-gonorrhoischen Infekten der Urogenitalorgane sowie bei Haut- und Weichteilinfekten als wirksam gezeigt. Azithromycin wurde mit anderen Makroliden, Penicillinen, oralen Cephalosporinen und weiteren Antibiotika verglichen.
Bei Pharyngitis, Sinusitis, Otitis media, Bronchitis und Pneumonie erhalten Erwachsene jeweils eine Gesamtdosis von 1500 mg Azithromycin. In frühen Studien wurde diese Dosis auf fünf Tage verteilt (initial 500 mg, dann an vier weiteren Tagen 250 mg/Tag); in neueren Studien wurde die Behandlung auf drei Tage (500 mg/Tag) beschränkt. Ein Beispiel: In einer Doppelblindstudie erhielten 275 Patienten mit akuter oder akut exazerbierter Bronchitis während drei Tagen Azithromycin oder während fünf Tagen Amoxicillin (z.B. Clamoxyl®, 3mal täglich 500 mg). Mit beiden Therapien liess sich bei etwa 90% eine klinische Besserung und bei rund 80% eine bakteriologische Heilung erreichen.(1) Durch Haemophilus influenzae verursachte Bronchitis-Exazerbationen wurden in einer Studie von Azithromycin ebenso gut wie von Amoxicillin beeinflusst, (4) in einer anderen Studie war das Medikament jedoch ungenügend wirksam gegen Haemophilus-Infekte.(5) Kinder können bis zum Alter von 12 Jahren während drei Tagen mit einer Dosis von 10 mg/kg/Tag behandelt werden. Diese Azithromycin-Dosierung wurde zum Beispiel in einer offenen, randomisierten Studie bei 389 Kindern mit akuter Otitis media mit Amoxicillin/Clavulansäure (Augmentin ®, 3mal täglich 13,3 mg/kg während 10 Tagen) verglichen. Bei 93% der mit Azithromycin behandelten und bei 97% der mit Amoxicillin/Clavulansäure behandelten Kinder wurde eine Besserung oder Heilung erreicht.(6)

Bei nicht-gonorrhoischen Infekten der Urogenitalorgane (Urethritis, Zervizitis) lässt sich mit einer einzigen Azithromycin- Dosis von 1 g ein ebenso gutes Resultat wie mit einer zehntägigen Doxycyclin-Behandlung (z.B. Vibramycin ®, 200 mg/Tag) erreichen. In der Regel können so Infekte mit Chlamydia trachomatis oder Ureaplasma urealyticum bei rund 90% der Betroffenen behoben werden.(1) Bei urogenitaler Gonorrhoe sind die Resultate weniger eindeutig. Immerhin wurde mit einer hohen Azithromycin- Einmaldosis (2 g) in einer Studie, die 724 Gonorrhoe- Patienten umfasste, ein gleich gutes Resultat wie mit einer Einmaldosis von Ceftriaxon (Rocephin®, 250 mg) erreicht. Mit beiden Medikamenten waren rund 98% der nachkontrollierten Patienten geheilt.(7) In der Schweiz wird jedoch zurzeit beim Vorhandensein einer Gonokokken-Infektion von Azithromycin abgeraten.
Azithromycin ist ausserdem bei Lyme-Borreliose, Mycobacterium- avium-Infekten und Toxoplasmose bei AIDSPatienten sowie zur Eradizierung von Helicobacter pylori eingesetzt worden.(1) Eine definitive Beurteilung dieser Indikationen ist noch nicht möglich.

Unerwünschte Wirkungen

Rund 12% aller mit Azithromycin behandelten Personen klagen über unerwünschte Wirkungen. Am häufigsten werden gastrointestinale Probleme (Brechreiz, Erbrechen,   Durchfall,   Bauchschmerzen),   Kopfschmerzen   und Schwindel beobachtet.(8) Vereinzelt steigen die Leberenzymwerte an; in seltenen Fällen ist eine cholestatische Hepatitis aufgetreten. Ototoxische Effekte und Exantheme sind sehr selten. Die in der erwähnten Studie verwendete hohe Einmaldosis von 2 g verursachte bei etwa 35% der Behandelten gastrointestinale Probleme.(7) Im ganzen kann angenommen werden, dass das neue Medikament ein ähnliches Nebenwirkungsprofil wie andere Makrolide aufweist. Ob es allenfalls weniger gastrointestinale Probleme verursacht als Erythromycin, ist noch ungenügend dokumentiert.

Interaktionen

Azithromycin verstärkt wahrscheinlich die Toxizität von Ergot-Alkaloiden und die Wirkung von Ciclosporin. Bei gleichzeitiger Einnahme von Azithromycin und Antazida wird die maximale Plasmakonzentration um bis zu 30% reduziert.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Azithromycin wird als Kapseln zu 250 mg, als Suspension zu 200 mg/5 ml und als Sachets zu 100, 200, 300, 400 und 500 mg angeboten. Das Medikament ist kassenzulässig. In der Schweiz wird heute für die meisten Indikationen nur noch die Dreitagesbehandlung empfohlen (Erwachsene: 500 mg/Tag, Kinder bis zu 12 Jahren: 10 mg/kg/Tag). Nichtgonorrhoische Urogenitalinfekte sollen mit einer Einmaldosis von 1 g behandelt werden.
Das Medikament ist eine Stunde vor oder zwei Stunden nach der Mahlzeit einzunehmen. Die Verabreichung von Azithromycin während der Schwangerschaft oder Stillzeit ist kaum dokumentiert; das Medikament sollte deshalb während diesen Zeiten vermieden werden. Auch bei Leberfunktionsstörungen und fortgeschrittenem Nierenversagen soll Azithromycin nicht verschrieben werden.
Die Kosten einer üblichen Dreitagesbehandlung eines Erwachsenen (1,5 g) betragen 62 Franken und unterscheiden sich somit kaum von denjenigen einer zehntägigen Behandlung mit Erythromycin.

Kommentar

Ein Medikament, das nur während drei Tagen einmal täglich (oder gar nur ein einziges Mal) eingenommen werden muss und dennoch eine zuverlässige antibakterielle Wirkung entfaltet, verdient zweifellos unser Interesse. Besonders bei Kindern, denen die Einnahme von Arzneimitteln oft Mühe macht, ist ein solches Antibiotikum attraktiv. Azithromycin ist zudem eine recht gut dokumentierte Substanz.

Dennoch sind ein paar Vorbehalte anzubringen: Ausser bei atypischen Pneumonien gelten Makrolide nicht als Mittel erster Wahl, sondern eher als mögliche Alternative bei den Indikationen, denen die mit Azithromycin durchgeführten Studien galten. Nicht selten sind die entsprechenden Medikamente erster Wahl heute als verhältnismässig preisgünstige Generika erhältlich (z.B. Amoxicillin). Es ist auch nicht gesichert, dass sich bei einer Streptokokken-Pharyngitis das rheumatische Fieber mit Azithromycin zuverlässig verhüten lässt. Ob es in Anbetracht der hohen Gewebsspiegel ganz bedeutungslos ist, dass die Azithromycin-Plasmaspiegel vergleichsweise niedrig sind, ist ebenfalls nicht restlos geklärt

Literatur

  1. 1) Peters D et al. Drugs 1992; 44: 750-99
  2. 2) Pechere JC. Int J Antimicrob Agents 1993; 3 (Suppl 1): 53-61
  3. 3) Lalak NJ, Morris DL. Clin Pharmacokin 1993; 25: 370-4
  4. 4) Mertens JCC et al. Antimicrob Agents Chemother 1992; 36: 1446-59
  5. 5) Davies BI et al. J Antimicrob Chemother 1989; 23: 743-51
  6. 6) Schaad UB. J Antimicrob Chemother 1993; 31 (Suppl E): 81-88
  7. 7) Handsfield HH et al. Sex Transm Dis 1994; 21: 107-11
  8. 8) Hopkins S. J Antimicrob Chemother 1993; 31 (Suppl E): 111-7

Standpunkte und Meinungen

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Azithromycin (14. April 1994)
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pharma-kritik, 16/No. 07
PK486
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