Drospirenon

Synopsis

Drospirenon ist ein neues Gestagen, das in Kombination mit Ethinylestradiol unter dem Namen Yasmin® als orales Kontrazeptivum empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Die Struktur von Drospirenon gleicht derjenigen von Spironolacton (Aldactone® u.a.). Drospirenon hat deshalb neben der gestagenen Wirkung auch eine antimineralokortikoide und eine antiandrogene Wirkung.(1) Die Gestagene, die sonst in kombinierten Kontrazeptiva verwendet werden, haben keine antimineralokortikoide Wirkung.
Wie bei anderen kombinierten Kontrazeptiva beruht die kontrazeptive Wirkung der Ethinylestradiol/Drospirenon- Kombination in erster Linie auf der Ovulationshemmung und auf Veränderungen der Zusammensetzung des Zervikalschleims; diese Medikamente führen ausserdem zu gewissen Veränderungen des Endometriums.(2)

Pharmakokinetik

Nach oraler Verabreichung wird Drospirenon rasch gastrointestinal resorbiert; nach 1 bis 2 Stunden sind maximale Plasmaspiegel erreicht.(3) Die biologische Verfügbarkeit beträgt etwa 80%. Die Substanz wird weitgehend hepatisch metabolisiert. Die (inaktiven) Hauptmetaboliten – die Säureform von Drospirenon und ein Sulfat – werden unabhängig von Zytochromen gebildet. Die Entstehung weiterer Metaboliten geschieht dagegen unter Mitwirkung von CYP3A4. Die Plasmahalbwertszeit von Drospirenon beträgt 30 bis 40 Stunden. Die Metaboliten werden etwa zur Hälfte mit dem Stuhl und zur Hälfte mit dem Urin ausgeschieden.

Klinische Studien

Die kontrazeptive Wirksamkeit der Kombination von Ethinylestradiol (30 µg) und Drospirenon (3 mg) wurde in einer offenen Studie bei 326 Frauen dokumentiert. Im Zeitraum eines Jahres kam es unter dieser Behandlung zu einer Schwangerschaft. (4)
In zwei randomisierten Studien wurde das Präparat auch mit der Ethinylestradiol/Desogestrel-Kombination (Marvelon®) verglichen: 887 Frauen nahmen an einer zweijährigen, 2069 an einer einjährigen Vergleichsstudie teil, wobei sich unter beiden Präparaten eine ähnlich niedrige Schwangerschaftsrate (weniger als 1 Schwangerschaft auf 100 Frauenjahre) ergab.(5,6) In diesen beiden Studien fand sich ein statistisch zwar signifikanter, praktisch jedoch geringfügiger Unterschied in Bezug auf das Körpergewicht. So hatten z.B. am Ende der einjährigen Studie die Frauen unter Ethinylestradiol/Drospirenon durchschnittlich 460 g, unter Ethinylestradiol/Desogestrel nur 190 g abgenommen.(6)
Die Auswirkungen der antiandrogenen Wirkung von Drospirenon auf die Haut wurden in einer Doppelblindstudie im Vergleich mit einem Cyproteron-haltigen Medikament (Diane-35®) untersucht: 128 Frauen mit Akne wurden mit dem einen oder anderen dieser Kontrazeptiva behandelt. Nach 9 Behandlungszyklen fand sich eine ähnlich vorteilhafte Auswirkung beider Antiandrogene auf die Akne und die Talgproduktion der Haut.(7) Im oben erwähnten Vergleich mit einem Desogestrel-haltigen Kontrazeptivum fand sich kein nennenswerter Unterschied hinsichtlich der Auswirkungen auf die Haut.(6) Ein Vergleich mit anderen kombinierten Kontrazeptiva liegt nicht vor.

Gemäss einer offenen Studie bei 326 Frauen könnte die Ethinylestradiol/ Drospirenon-Kombination auch bei prämenstruellem Syndrom wirksam sein.(8) In einer kleineren Doppelblindstudie, in der das Präparat mit Placebo verglichen wurde, ergab sich bei 82 Frauen mit ausgeprägter prämenstrueller Dysphorie jedoch gesamthaft lediglich ein Trend zu geringeren prämenstruellen Symptomen.(9) Mit anderen kombinierten Kontrazeptiva ist das neue Präparat in dieser Hinsicht bisher nicht gezielt verglichen worden, wenn auch in der oben erwähnten offenen Zweijahresstudie unter Drospirenon eine Abnahme von prämenstruellen Beschwerden beobachtet wurde.(5)

Unerwünschte Wirkungen

Die in den Studien mit dem neuen Präparat beobachteten Nebenwirkungen entsprechen weitgehend denjenigen, die unter anderen kombinierten Kontrazeptiva festgestellt werden. Zu erwähnen sind in erster Linie Zwischenblutungen und weitere Zyklusstörungen, Migräne und andere Kopfschmerzen, Spannungsgefühl oder Schmerzen in der Brust, Brechreiz und Bauchbeschwerden.
Wegen seiner antimineralokortikoiden Wirkung hat Drospirenon das Potential, eine Hyperkaliämie zu verursachen. Die in einer Yasmin®-Pille enthaltene Drospirenon-Dosis soll eine ähnlich kaliumretinierende Wirkung wie 25 mg Spironolacton haben. Diese Wirkung dürfte hauptsächlich bei Interaktionen (siehe unten) und bei einer eingeschränkten Nierenfunktion von Bedeutung sein.
Unter der Ethinylestradiol/Drospirenon-Kombination sind bis im Frühjahr 2002 40 Fälle venöser Thrombosen, mit 2 Todesfällen, beobachtet worden. Das niederländische Kollegium für Allgemeinmedizin hat deshalb davon abgeraten, Yasmin® zu verschreiben.(10) Die Herstellerfirma hält dem gegenüber, dass sich das neue Präparat bezüglich der Inzidenz von venösen Thromboembolien nicht von anderen kombinierten Kontrazeptiva unterscheide.
Die langfristige Einnahme von Kontrazeptiva ist mit dem Auftreten von Zervix- und Mammakarzinomen in Verbindung gebracht worden. Berichte, wonach Spironolacton (Aldactone® u.a.) eine kanzerogene Wirkung aufweise, sind bisher weder bestätigt noch definitiv widerlegt worden. Gemäss den Berichten, die der amerikanischen Arzneimittelbehörde vorgelegt wurden, liegen jedoch für Drospirenon keine Daten vor, die auf ein gegenüber anderen Kontrazeptiva erhöhtes Tumorrisiko schliessen lassen.

Interaktionen
Mit einem Anstieg der Kaliumspiegel ist insbesondere bei Frauen zu rechnen, die neben Ethinylestradiol/Drospirenon kaliumsparende Diuretika, ACE-Hemmer oder nicht-steroidale Entzündungshemmer einnehmen. In einer kleinen Studie bei 24 Frauen, die wegen einer Hypertonie mit Enalapril (20 mg pro Tag, z.B. Reniten®) behandelt wurden, lag der Kaliumspiegel unter Drospirenon gegenüber dem Ausgangswert um 0,22 mmol/l höher als unter Placebo. Es wurden jedoch keine Kaliumwerte über 5,2 mmol/l gemessen.(11)
Drospirenon hemmt in vitro verschiedene Zytochrome, insbesondere CYP3A4 und CYP2C9; es ist unklar, ob dieser Tatsache praktische Bedeutung zukommt. Dagegen ist zu beachten, dass die kontrazeptive Wirksamkeit von Ethinylestradiol durch CYP3A4-Induktoren beeinträchtigt werden kann; dies muss besonders bei gleichzeitiger Verabreichung verschiedener Antiepileptika oder von Rifampicin (z.B. Rimactan®) berücksichtigt werden.

Dosierung/Verabreichung/Kosten

Yasmin® ist als Filmtabletten mit 30 µg Ethinylestradiol und 3 mg Drospirenon in Kalenderpackungen für 21 Tage erhältlich. Wie andere kombinierte Kontrazeptiva soll das Präparat für 3 Wochen vom ersten Tag einer Monatsblutung an alle Tage etwa zur selben Zeit eingenommen werden.
Kontraindikationen für dieses Präparat sind insbesondere: Schwangerschaft, Niereninsuffizienz, Nebenniereninsuffizienz, klinisch relevante Lebererkrankungen, Anamnese einer venösen oder arteriellen thromboembolischen Erkrankung, Diabetes mellitus mit Gefässveränderungen, schwerwiegende Störungen des Lipidstoffwechsels, hormonabhängige Tumoren der Brüste oder im Genitalbereich. Frauen, die orale Kontrazeptiva einnehmen, sollten nicht rauchen. Ausserdem sind die oben erwähnten Interaktionen zu beachten.
Die Einnahme von Yasmin® während eines Zyklus kostet zwischen CHF 22.35 und 23.55. Präparate der zweiten Kontrazeptiva- Generation kosten zwischen 12 und 15 Franken pro Zyklus.

Kommentar

Diese «Pille» mit einer neuen Gestagenkomponente wirkt wohl recht zuverlässig als Kontrazeptivum. Nicht so überzeugend dokumentiert sind dagegen die verschiedenen Vorteile dieses Präparates – gegenüber den am meisten verwendeten Kontrazeptiva der zweiten und dritten Generation sind die Auswirkungen auf die Haut oder auf das prämenstruelle Syndrom nicht nachgewiesen. Zudem gibt das neue Medikament zu einigen Sorgen Anlass, die hier kurz erläutert werden sollen.
Als erstes stellt sich natürlich die Frage, ob es sinnvoll ist, ein Kontrazeptivum zu verwenden, dessen Gestagenanteil die Eigenschaften eines kaliumsparenden Diuretikums aufweist. Misst man der Tatsache, dass das Körpergewicht unter anderen Kontrazeptiva zum Teil zunimmt, grosse Bedeutung zu, so kann man die Frage vielleicht bejahen. Dabei ist aber zu bedenken, dass die individuellen Gewichtsveränderungen sehr verschieden ausfallen können und im Durchschnitt wirklich nur sehr bescheidene Gewichtsunterschiede gegenüber anderen Präparaten gefunden wurden. Anderseits ist anzunehmen, dass auch bezüglich Kaliumretention beträchtliche Unterschiede vorkommen. Dass das Potential für eine Hyperkaliämie in der offiziellen Schweizer Produkteinformation nicht mit einer Silbe erwähnt wird, erscheint als inakzeptabler Gegensatz zur amerikanischen Information, die eine entsprechende, fettgedruckte Warnung enthält.(12) Ob Yasmin® im Vergleich zu anderen kombinierten Kontrazeptiva nun wirklich kein erhöhtes Risiko einer venösen Thrombose aufweist, kann ich nicht beurteilen, aber die Herstellerfirma vorläufig auch nicht. Tatsache ist jedenfalls, dass diese seltene Komplikation nach bisherigem Wissen unter den sogenannten Zweitgenerations-Kontrazeptiva am seltensten vorkommt.
Ein drittes Problem, und nicht das kleinste, ist die Methode, mit der für das neue Präparat geworben wird. Unter der Web- Adresse www.yasmin.ch richten sich die Hersteller ganz offensichtlich direkt an junge Schweizer Frauen und beschreiben dort die verschiedenen Vorteile, die für Yasmin® aktuell propagiert werden.(13) Grundsätzlich gilt immer noch, dass in der Schweiz für rezeptpflichtige Medikamente nicht direkt bei Konsumentinnen oder Konsumenten geworben werden darf. Ist das Internet rechtsfreier Raum?
Ein weiterer Kommentar erübrigt sich wohl.

Standpunkte und Meinungen

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Drospirenon (9. Dezember 2002)
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pharma-kritik, 24/No. 10
PK58
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