Generika verschreiben? Ja!

ceterum censeo

«Nachgeahmte» Arzneimittel, die den gleichen Wirkstoff enthalten wie ein Originalpräparat, werden heute meistens als Generika bezeichnet. Diese auch unter der Bezeichnung Analogpräparate bekannten Mittel spielen in der Schweiz keine sehr grosse Rolle. Verhältnismässig wenige Firmen bieten ausschliesslich oder vorwiegend Generika an; auch sind im Gegensatz zu anderen Ländern auf dem Schweizer Markt wenig «namenlose» Generika, sondern in erster Linie Marken-Generika («branded generics ») zu finden. Generika sind kassenzulässig, wenn sie mindestens 25% weniger kosten als das entsprechende Originalpräparat.
Verschiedene Umstände veranlassen mich, über Generika zu schreiben. Erstens gilt es zu untersuchen, ob dem sogenannten «FDA generic-drug scandal» auch für die Schweiz Bedeutung zukommt. In den USA haben vor einigen Jahren Generika-Firmen Beamte der Arzneimittelbehörden (FDA) bestochen und zudem in einzelnen Fällen Tests gefälscht. Wie in der Schweiz muss nämlich auch in den USA nachgewiesen werden, dass ein Generikum mit dem Originalpräparat bioäquivalent ist. (Biologisch äquivalente Präparate erzeugen vergleichbare Wirkstoffkonzentrationen im Blut und in den Geweben.) Zum Beispiel hat eine Firma, die eine Imitation von Dyazide® (der Hydrochlorothiazid- Triamteren-Kombination der Smith-Kline- Beecham) produziert, die Tests so manipuliert, dass Dyazide ® mit Dyazide® (nicht aber mit dem Generikum) verglichen wurde. Als die Sache aufflog, musste die FDA den Rückzug von einigen Dutzend Generikapräparaten anordnen. Eine genaue Überprüfung der 20 wichtigsten Generikafirmen folgte, offenbar mit einem zufriedenstellenden Resultat. Anhaltspunkte, dass jemand wegen der Betrügereien gesundheitlich zu Schaden gekommen wäre, ergaben sich keine. Generell muss die FDA Generika nicht häufiger als Originalpräparate beanstanden.
Was lässt sich aus diesen Ereignissen lernen? Dass keine Behörde ganz gegen Lug und Trug gefeit ist, wissen wir schon lange. Nicht gerechtfertigt ist meines Erachtens der Schluss, Generika-Firmen hätten im Vergleich mit Herstellern von Originalpräparaten generell niedrigere Qualitätsstandards. Es ist zwar anzunehmen, dass sich zwischen verschiedenen Herstellern gewisse Unterschiede in den Fabrikationsverfahren aufzeigen liessen. Dies trifft aber sicher auf alle Hersteller (und nicht nur auf die Hersteller von Generika) zu.
Für uns ist jedenfalls von Bedeutung, dass wir mit einer gleichbleibenden Arzneimittel-Qualität rechnen können. Mit anderen Worten: wir müssen uns darauf verlassen können, dass unsere Arzneimittelbehörden eine gleichbleibende Arzneimittel-Qualität durch regelmässige Kontrollen sichern. Der FDA-Skandal hat sich in einer Zeit ereignet, da die Generika in den USA enorm zugenommen haben. Es ist daher denkbar, dass die FDA ihre Kontrollfunktion nicht mit der üblichen Sorgfalt erfüllen konnte. Sollten die Generika in der Schweiz einmal zahlreicher werden, so wäre also darauf zu achten, dass unsere Behörden rechtzeitig mit den nötigen personellen und materiellen Mitteln ausgestattet würden.
Ein weiterer Grund, an Generika zu erinnern, ist die Änderung der Marktordnung in der Schweiz. Mit Datum vom 15. März 1990 können Generikahersteller dem Fachhandel bzw. dem selbstdispensierenden Arzt eine um 5 bis 8% höhere Marge vom Verkaufspreis zugestehen. Mit der bisher gültigen Marktordnung hatte sich eine Begünstigung der teureren Originalpräparate ergeben: da der Gewinn vom Verkauf eines Medikamentes ausschliesslich vom Preis abhängig war, mussten z.B. selbstdispensierende Ärzte bewusst auf einen (wenn auch kleinen) Teil ihres Einkommens verzichten, wenn sie Generika verschrieben. Die geänderte Marktordnung soll nun das Verordnen von Generika wieder attraktiv machen.
(Dass Systeme, die dem Apotheker oder Arzt einen prozentualen Anteil am Verkaufspreis überlassen, einer rationalen Pharmakotherapie kaum förderlich sein können, muss hier wenigstens in Klammern angemerkt werden. Warum die medizinischen Stände nicht darauf bestehen, ihre professionellen Leistungen adäquat und unabhängig von Medikamentenpreisen entschädigt zu erhalten, ist mir eigentlich schleierhaft.)
Was sonst könnte uns noch davon abhalten, Generika zu verschreiben? Sind es vielleicht die Argumente der Hersteller von Originalpräparaten? Immer wieder hört man, niedrigere Medikamentenpreise und ein Ausweichen auf Generika würden dazu führen, dass der Pharma-Forschung nicht mehr genug Geld zur Verfügung stünde. Tatsache ist, dass es der forschenden Pharma-Industrie heute besser geht denn je zuvor. Andere Industrien, die in gleichem Masse auf Innovation angewiesen sind wie die Pharma-Industrie, müssen sich mit wesentlich geringeren Gewinnen zufriedengeben. Dazu ist auch anzumerken, dass die Pharma- Forschung neben (echten, aber seltenen) therapeutischen Fortschritten eine Menge von Pseudo-Originalen hervorbringt. Auf einer etwas komplexeren Stufe produziert die forschende Industrie dasselbe wie die Generika- Hersteller, nämlich Imitationen. (Gelegentlich scheuen auch grosse Firmen nicht davor zurück, eigentliche Generika anzubieten. Es sei nur an das Supracyclin® der Grünenthal oder an das Zolben® der Ciba-Geigy erinnert.) Auf der anderen Seite muss mindestens einzelnen Generika- Herstellern zugutegehalten werden, dass sie im Bereich der Galenik durchaus innovativ sein können. So sind z.B. kindergerechte Arzneien oder geeignete Retardformen durchaus nicht nur unter den Originalpräparaten zu finden.
Es wird auch gesagt, die Preise der Originalpräparate nähmen langsamer zu als die übrigen Kosten im Gesundheitswesen. Das ist wahr, trifft aber den Kern der Sache nicht. Viel wichtiger ist es, die Kosten der jeweils besten Behandlung einer Krankheit zu verfolgen. Therapeutische Fortschritte führen nämlich zu eigentlichen Quantensprüngen in den Kosten. Wenn ich beispielsweise zur Behandlung einer Herzinsuffizienz statt Digoxin (0,25 mg/Tag) neu Enalapril (Reniten® submite, 5 mg/Tag) verschreibe, so steigen die Kosten um das Vierzehnfache! Soll eine Hypertonie statt mit Chlortalidon (Hygroton®, 50 mg/Tag) mit Nifedipin (Adalat® retard, 2mal 20 mg/Tag) behandelt werden, so bezahlt die Krankenkasse mindestens fünfmal mehr als vorher. Ähnliche Beispiele finden sich praktisch für jede Krankheit, die mit Medikamenten aus den letzten 10 bis 20 Jahren behandelt werden kann. Vom Quantensprung der Kosten profitieren aber nicht nur die eigentlichen Innovatoren, sondern auch die Imitatoren, die durch geeignete Molekülveränderungen weitere ACE-Hemmer, Cephalosporine, H2-Blocker usw. hervorbringen. Der Einsatz von wirksamen neuen Medikamenten bringt also eine massive Verteuerung mit sich.
Wie lässt sich diese Verteuerung in Schranken halten? Viel lässt sich sparen, wenn die teuren neuen Mittel nur denjenigen Personen verschrieben werden, die sie wirklich benötigen. Zum Beispiel brauchen längst nicht alle Kranke, die mit einem Aminopenicillin behandelt werden müssen, die Kombination von Amoxicillin und Clavulansäure (Augmentin®). Das Verschreiben von Generika ist eine andere kostensparende Massnahme; sie kommt dann in Betracht, wenn das Mittel der Wahl auch als geeignetes Generikum zur Verfügung steht. Jeder Wechsel -- von einem Originalpräparat zu einem Generikum oder von einem Generikum zu einem anderen -- sollte aber mit der nötigen Vorsicht geschehen. Unterschiede in den galenischen Eigenheiten können im Einzelfall doch einmal zu verstärkten oder verminderten Wirkungen führen.
Noch haben wir in der Schweiz eine verhältnismässig kleine Zahl von Generika. Wäre es wünschenswert, dass diese Zahl zunimmt, so dass wir (wie z.B. in der Bundesrepublik Deutschland) zwischen 10 oder 20 verschiedenen Analogpräparaten mit dem gleichen Wirkstoff auswählen könnten? Wie liesse sich dann noch eine sinnvolle Lagerhaltung in den Apotheken realisieren? Als Antwort auf diese Fragen möchte ich an einen meiner früheren Vorschläge erinnern: Wir Ärzte sollten uns von der Medikamentenflut nicht passiv mitreissen lassen, sondern versuchen, unser Medikamentensortiment auf Grund rationaler Kriterien einzuschränken. Wie solche Kriterien zu formulieren wären, möchte ich gern bei einer anderen Gelegenheit diskutieren. Ein (selbstverständlich freiwilliger) Zusammenschluss in regionalen «Verordnergruppen» würde dann auch den Apotheken ihre Aufgabe erleichtern, die «richtigen» Originalpräparate, Pseudo-Originale und Generika zur Verfügung zu haben.
Zum Schluss ein «ceterum censeo», das nicht oft genug wiederholt werden kann. Bevor wir über Medikamentenpreise nachdenken, müssen wir entscheiden, ob das Medikament überhaupt notwendig ist. Auch das billigste Generikum ist zu teuer,wenn es nicht notwendig ist. Oft denke ich, dass wir uns viel zu rasch für eine Pharmakotherapie entscheiden. Besonders ältere Personen, die in vielen Fällen mehrere Krankheiten haben, sind von unserer Mehrfachtherapie bald einmal überfordert. Eine wohlüberlegte Beschränkung unserer medikamentösen Intervention ist deshalb dringend notwendig.

Standpunkte und Meinungen

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Generika verschreiben? Ja! (14. März 1990)
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