Cetirizin

Synopsis

Cetirizin (Zyrtec®) ist ein Antihistaminikum, welches zur Behandlung von Heuschnupfen, allergischer Konjunktivitis und Urtikaria empfohlen wird.

Chemie/Pharmakologie

Cetirizin, ein Diphenylmethan-Derivat, ist der Hauptmetabolit von Hydroxyzin (Atarax®). Das neue Medikament hat die antihistaminische Wirkung von Hydroxyzin, soll aber nicht sedierend wirken. Der H1-Rezeptoren-Antagonismus ist in zahlreichen Einzeldosisstudien im Vergleich mit anderen Antihistaminika dokumentiert worden. Es wird angenommen, dass Cetirizin wegen seiner geringen Lipophilie und einer relativ hohen Spezifität für H1-Rezeptoren kaum zentrale Wirkungen besitzt.
Die Wirkung von Einzeldosen von Cetirizin (10 mg), Terfenadin (Teldane®, 60 mg) und Astemizol (Hismanal®, 10 mg) auf Hautreaktionen nach intrakutaner Histamin- Injektion wurde in einer Doppelblindstudie bei 81 gesunden Probanden verglichen. Unter Cetirizin verkleinerte sich das Erythem nach 4 bis 5 Stunden um durchschnittlich 73,4%, unter Terfenadin um 48,1% und unter Astemizol nur um 6,5%.(1)
Die periphere und die zentrale Wirkung von Cetirizin- und Terfenadin-Einzeldosen wurde in einer placebokontrollierten Studie bei neun gesunden Probanden untersucht. Auch hier wurde die Wirkung auf Histaminquaddeln geprüft: Cetirizin wirkte rascher als Terfenadin; nach 6 Stunden konnte jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Medikamenten mehr festgestellt werden. Die zentrale Wirkung wurde durch die Probanden selbst anhand visueller Analogskalen sowie mittels EEG dokumentiert. Im EEG war 6 Stunden nach Medikamenten- Einnahme kein Unterschied zwischen Cetirizin und Placebo feststellbar. Die visuellen Analogskalen zeigten bei einzelnen Individuen sedative Effekte von Cetirizin und Terfenadin; signifikante Unterschiede gegenüber Placebo konnten aber bei diesem kleinen Kollektiv nicht gefunden werden.(2)

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Cetirizin wird nach oraler Gabe rasch resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden nach 30 Minuten bis 1 Stunde erreicht. Die Wirkung tritt schneller ein als bei Terfenadin. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt etwa 10 Stunden. Zum Vergleich: Die Eliminationshalbwertszeit des (für die Wirkung verantwortlichen) aktiven Metaboliten von Terfenadin liegt bei etwa 20 Stunden. (Astemizol hat dagegen eine sehr lange Halbwertszeit von durchschnittlich 19 Tagen.) Eine Studie mit C14-markiertem Wirkstoff ergab, dass Cetirizin nur wenig metabolisiert wird und dass 60% einer Einzeldosis unverändert mit dem Urin ausgeschieden werden.(3) Bei Niereninsuffizienz ist mit einer deutlich verlängerten Eliminationshalbwertszeit zu rechnen.(4)  Nach einer weiteren Untersuchung ist die Ausscheidung auch im Alter verzögert (Halbwertszeit um 25 Stunden).(5) Bei diesen Patienten ist deshalb eine Dosisanpassung angezeigt.

Klinische Studien

Cetirizin ist in einer Reihe von Doppelblindstudien bei Heuschnupfen und Urtikaria geprüft worden. Die meisten dieser Studien waren von kurzer Dauer und umfassten verhältnismässig kleine Patientenzahlen; leider sind bisher nur wenige Studien veröffentlicht.

Heuschnupfen

Die Wirksamkeit von Cetirizin bei Gräserpollen-Allergie wurde in einer kleinen Doppelblindstudie im Vergleich mit Placebo untersucht. 36 Patienten mit Heuschnupfen und/oder Asthma bronchiale erhielten während acht Wochen entweder Cetirizin (2mal 10 mg pro Tag) oder Placebo. Als Reservemedikation stand Terfenadin oder bei Asthma Theophyllin zur Verfügung. Jeder Patient wurde fünfmal im Abstand von jeweils zwei Wochen untersucht und die Pollenkonzentration der Luft täglich registriert. Gemäss der Beurteilung durch die Patienten selbst und durch ihren behandelnden Arzt reduzierte Cetirizin die allergischen Symptome signifikant besser als Placebo.(6)

In einer anderen Doppelblindstudie, die 36 Allgemein- Praxen und ein Spital umfasste, wurde Cetirizin mit Terfenadin verglichen. 487 Patienten mit Heuschnupfen erhielten -- alle während den gleichen acht Wochen -- 10 mg Cetirizin täglich, entweder morgens oder abends, oder zweimal täglich 60 mg Terfenadin. Es ergaben sich kaum nennenswerte Unterschiede zwischen den drei Behandlungsmodalitäten, die alle bei rund 60% der Patienten erfolgreich waren. Wenn Cetirizin am Morgen eingenommen wurde, fand sich eine signifikant bessere Wirkung auf die Augensymptome (Tränen, Irritation) als mit Terfenadin. Über ein Viertel der Teilnehmer beendete die Studie vorzeitig, oft wegen ungenügender Wirkung.(7)

In einer Kurzmitteilung wird ferner über eine kleine Doppelblindstudie berichtet. Während drei Wochen wurde die Wirkung von Cetirizin (2mal 10 mg pro Tag) mit derjenigen von Terfenadin (2mal 60 mg pro Tag) bei 20 Patienten verglichen. Beide Substanzen waren bei Heuschnupfen und Konjunktivitis gleich gut, Asthma-Symptone wurden von Cetirizin wirksamer beeinflusst.(8)

Urtikaria

In einer Doppelblindstudie bei 52 Patienten mit Urtikaria wurde die Wirkung von Cetirizin mit derjenigen von Terfenadin verglichen. Die Patienten erhielten während neun Wochen entweder morgens 10 mg Cetirizin und abends Placebo oder zweimal täglich 60 mg Terfenadin. Der optische Aspekt der Urtikaria, die Häufigkeit der Ausbrüche, die Intensität des Juckreizes und die Wirksamkeit der Therapie wurden durch den behandelnden Arzt und die Patienten festgehalten. Beide Behandlungsvarianten führten zu einer signifikanten Besserung der Symptome; nach den ersten drei Wochen erfolgte jedoch keine Wirkungssteigerung mehr. Nach neun Wochen waren fünf Patienten aus der Cetirizin-Gruppe und acht Patienten aus der Terfenadin- Gruppe symptomfrei.(9)

Unerwünschte Wirkungen

Da bisher nur wenige klinische Studien ausführlich publiziert worden sind, können noch kaum zuverlässige Aussagen über Art und Häufigkeit von unerwünschten Wirkungen gemacht werden. Die Herstellerfirma erwähnt «leichte Müdigkeit», Kopfschmerzen und Magen-Darm- Störungen.
In der oben erwähnten Studie bei Urtikaria-Patienten wurden unerwünschte Wirkungen genauer erfasst: Initial führten Cetirizin und Terfenadin etwa gleich häufig zu Müdigkeit (bei etwa 20% der Patienten), nach der dritten Woche war dieses Symptom unter Terfenadin aber deutlich seltener. Anticholinergische Effekte und gastrointestinale Beschwerden waren durchwegs häufiger bei den mit Cetirizin behandelten Patienten. Leicht erhöhte Leberenzym- Werte waren dagegen in der Terfenadin-Gruppe häufiger zu beobachten.(9)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Cetirizin (Zyrtec®) ist als Filmtabletten mit 10 mg Wirkstoff erhältlich. Für Erwachsene und Kinder ab 12 Jahren wird empfohlen, einmal täglich (abends) 10 mg einzunehmen. Weshalb das Medikament am Abend genommen werden soll, ist nicht klar. Cetirizin wird in die Muttermilch ausgeschieden und ist deshalb während der Stillzeit kontraindiziert. Bei Kindern unter 12 Jahren sollte es nicht angewendet werden, da keine entsprechenden Studien vorliegen. Cetirizin ist zurzeit nicht kassenzulässig. Mit Tageskosten von Fr. 1.15 ist es etwas billiger als Teldane ® forte (120 mg Terfenadin, Fr. 1.25 pro Tag) und etwas teurer als zwei gewöhnliche Teldane®-Tabletten zu 60 mg (Fr. -.90). Die übliche Astemizol-Tagesdosis (10 mg, Hismanal ®) kostet Fr. 1.-. Hydroxyzin (Atarax®), die Muttersubstanz von Cetirizin, ist in einer äquipotenten Dosis (25 mg) wesentlich billiger (Fr. -.25).

Kommentar

Die vorliegenden Daten lassen annehmen, dass Cetirizin ein wirksamer H1-Blocker mit geringen sedierenden Eigenschaften ist und somit z.B. Terfenadin gleicht. Das neue Medikament ist aber klinisch noch wenig dokumentiert. Deshalb kann über die Inzidenz von Müdigkeit (wie auch von anderen Nebenwirkungen) vorläufig keine verlässliche Aussage gemacht werden.
Cetirizin ist der Hauptmetabolit von Hydroxyzin, einem sedierenden Antihistaminikum, dessen Wirksamkeit z.B. bei Urtikaria ausser Zweifel steht. Hydroxyzin wird zu 45 bis 60% zu Cetirizin metabolisiert.(10) Es ist daher anzunehmen, dass eine Dosis von 25 mg Hydroxyzin eine etwa gleiche antihistaminische Aktivität wie 10 mg Cetirizin entfaltet. Wünschenswert wären Studien, welche die Wirkung von Cetirizin und Hydroxyzin bei Patienten mit Heuschnupfen oder Urtikaria gegen Placebo prüfen würden. Nur so liesse sich entscheiden, ob Cetirizin dem «altbewährten» Hydroxyzin in der antiallergischen Therapie vorgezogen werden sollte.

Literatur

  1. 1) L. Ghys und J.-P. Rihoux: J. Internat. Med. Res. 17: 24, 1989
  2. 2) J.C. Pechadre et al.: Eur. J. Clin. Pharmacol. 35: 255, 1988
  3. 3) S.G. Wood et al.: Ann. Allergy 59 (Part II): 31, 1987
  4. 4) G.R. Matzke et al.: Ann. Allergy 59 (Part II): 25, 1987
  5. 5) K.J. Simons et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 45: 9, 1989
  6. 6) S.M. Panayotopoulos und E.S. Panayotopoulos: Acta Therapeutica 14: 347, 1988
  7. 7) B.H. Davies et al.: Clin. Trials J. 26: 100, 1989
  8. 8) A. Kurzeja et al.: Lancet 1: 556, 1989
  9. 9) C. Arendt und J. Bernheim: Curr. Ther. Res. 46: 724, 1989
  10. 10) F.M. Gengo et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 42: 265, 1987

Standpunkte und Meinungen

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Cetirizin (28. Oktober 1989)
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pharma-kritik, 11/No. 20
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