Fondaparinux

Synopsis

Fondaparinux (Arixtra®), ein Pentasaccharid mit heparinähnlicher Wirkung, wird zur Thromboembolie-Prophylaxe bei orthopädischen Eingriffen empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Die gerinnungshemmende Wirkung von Heparin kommt im Wesentlichen durch eine Bindung an Antithrombin und eine dadurch beschleunigte Inaktivierung von verschiedenen Blutgerinnungsfaktoren zustande. Fondaparinux ist ein synthetisches Pentasaccharid (fünf aneinander gekoppelte Zuckermoleküle), das strukturell der Bindungsstelle von Heparin gleicht. Es bindet sich selektiv an Antithrombin III, was die Inaktivierung von aktiviertem Faktor X (Faktor Xa) beschleunigt. Dosisabhängig kommt es dadurch zu einer Verminderung der Prothrombinase-Bildung und einer verminderten Thrombin- Bildung bei Aktivierung der Blutgerinnungskaskade. Die Prothrombinzeit (Quick) wird durch Fondaparinux nicht beeinflusst, die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) höchstens geringfügig verlängert. In geringerem Ausmass werden andere Gerinnungsfaktoren mitbeeinflusst (IXa, VIIa). Anders als bei Heparin werden in vitro keine aktiven Komplexbildungen mit dem Plättchenfaktor 4 (PF4) beobachtet. Auch bei Personen mit bekannter immunologischer heparininduzierter Thrombozytopenie (HIT II) führte Fondaparinux nicht zu einer vermehrten Bindung von HIT-Antikörpern an PF4. (1,2)

Pharmakokinetik

Fondaparinux muss parenteral verabreicht werden. Bei subkutaner Verabreichung wird die verabreichte Dosis zu 100% systemisch verfügbar. Plasma-Spitzenkonzentrationen werden innerhalb von 1,5 bis 2 Stunden erreicht. Fondaparinux wird grösstenteils unverändert renal eliminiert. Bei gesunden älteren Probandinnen und Probanden betrug die Plasma-Halbwertszeit nach einmaliger Verabreichung 17 bis 21 Stunden und blieb bei wiederholter Anwendung in einem ähnlichen Bereich (13 bis 14 Stunden). Bei alltäglicher Verabreichung kommt es zu einer Kumulation, wobei nach 3 bis 4 Tagen ein Fliessgleichgewicht erreicht wird. Bei Niereninsuffizienz wird die Elimination verzögert. Es wurde eine interindividuelle Variabilität der Eliminationsrate von 30% bis 40% beobachtet. (1,2)

Klinische Studien

In einer Dosisfindungsstudie wurden 933 Personen untersucht, die für eine Hüftgelenksersatz-Operation vorgesehen waren. Fondaparinux wurde erstmals 6 Stunden postoperativ und danach einmal täglich subkutan in einer Dosis von 0,75 mg, 1,5 mg, 3,0 mg, 6,0 mg oder 8,0 mg verabreicht. Die Zuteilung in die Gruppen mit 6,0 mg und 8,0 mg wurde aus Sicherheitsgründen gestoppt, nachdem 9 von 72 Behandelten bzw. 6 von 52 eine schwerere Blutung erlitten hatten. In der gleichen Studie wurde eine Vergleichsgruppe offen mit 2mal täglich 30 mg Enoxaparin (Clexane®) behandelt. Als primärer Endpunkt wurde ein nachgewiesenes thromboembolisches Ereignis definiert. In der Gruppe mit der niedrigsten Fondaparinux-Dosis traten zwei Lungenembolien auf, sonst wurden keine symptomatischen thromboembolischen Ereignisse beobachtet. Bei knapp zwei Drittel der Untersuchten konnte eine Phlebographie beider Beine verblindet ausgewertet werden. Dabei fanden sich Thrombosen bei 12% (0,75 mg), 7% (1,5 mg), 2% (3,0 mg) gegenüber 9% unter Enoxaparin. Der Unterschied zwischen Fondaparinux 3,0 mg und Enoxaparin war bezüglich der Gesamtzahl der Thrombosen statistisch signifikant, nicht aber bezüglich Thrombosen proximal der Unterschenkelvenen (1% gegenüber 3%). (3)

Ebenfalls als Thromboembolie-Prophylaxe bei Hüftgelenksersatz- Operationen wurde Fondaparinux in zwei grossen Doppelblindstudien mit Enoxaparin verglichen. In der nordamerikanisch- skandinavischen «PENTATHLON 2000-Studie»4 bei 2275 Personen wurde Enoxaparin in einer Dosis von 2mal täglich 30 mg, erstmals 4-8 Stunden postoperativ verabreicht. In der europäischen «EPHESUS-Studie» (5) bei 2309 Personen wurde die Enoxaparin-Behandlung (eine Dosis zu 40 mg täglich) bereits 12 Stunden vor der Operation begonnen. Fondaparinux wurde immer erst postoperativ verabreicht und zwar in einer Dosis von 2,5 mg täglich.

In der «PENTATHLON 2000-Studie» war bei 70% der Untersuchten eine Aussage über das Vorliegen einer Thrombose möglich, in der «EPHESUS-Studie» bei 79%. Die Häufigkeit von thromboembolischen Ereignissen betrug 6% unter Fondaparinux gegenüber 8% unter Enoxaparin in der ersten Studie (Unterschied nicht signifikant) und 4% gegenüber 9% in der zweiten Studie (Unterschied signifikant). Symptomatische thromboembolische Ereignisse betrafen weniger als 1% der Untersuchten. Hier zeigte sich kein Vorteil von Fondaparinux, im Gegenteil fand sich sogar in der ersten Studie ein grenzwertig signifikanter Unterschied zu Ungunsten von Fondaparinux. (4,5)

Ähnlich angelegte klinische Studien mit Fondaparinux (2,5 mg täglich) wurden auch bei Personen durchgeführt, die einer grösseren Operation am Knie unterzogen wurden (n=1049)6 und bei Personen, die wegen einer proximalen Femurfraktur operiert werden mussten (n=1711).7 Bei den Knieoperationen wurde die Vergleichsbehandlung mit Enoxaparin gleich dosiert wie in der «PENTATHLON 2000-Studie», bei den Femurfrakturen gleich wie in der «EPHESUS-Studie». In beiden Studien wurden unter Fondaparinux weniger Venenthrombosen gefunden als unter Enoxaparin. Bei den Knieoperationen betrug der Anteil Operierter mit Thrombosen 13% gegenüber 28%, bei den Femurfrakturen 8% gegenüber 19%. Signifikante Unterschiede bezüglich symptomatischer thromboembolischer Ereignisse fanden sich keine. (6,7)

Unerwünschte Wirkungen

Wie bei allen Antikoagulantien stellt auch bei der Anwendung von Fondaparinux die Blutungsgefahr das wichtigste Risiko dar. Wie bereits erwähnt, ist unter höheren Fondaparinux- Dosen auch ein klar erhöhtes Blutungsrisiko beobachtet worden: Wegen gehäufter schwererer Blutungen wurde die Zuteilung in die Gruppen mit 6 mg und 8 mg Fondaparinux auch frühzeitig gestoppt.(3) Wenn die Ergebnisse der 4 grossen Phase- III-Studien zusammengenommen werden, betrug das Risiko für eine schwerere Blutung unter 2,5 mg Fondaparinux 2,7%. Meistens handelte es sich um Blutungen im Operationsgebiet, die zu einem Abfall des Hämoglobins um mehr als 2 g/dl führten oder die mit einer Transfusion von mehr als 2 Einheiten Erythrozyten behandelt wurden. Im Vergleich dazu waren schwerere Blutungen unter Enoxaparin signifikant seltener (1,7%). Todesfälle während der Beobachtungszeit von bis zu 49 Tagen waren insgesamt etwa gleich häufig (1,4%). (8)

In verschiedenen Studien fand sich eine Tendenz zu vermehrten Blutungen bei Personen mit eingeschränkter Nierenfunktion oder geringerem Körpergewicht und bei Therapiebeginn weniger als 6 Stunden nach Ende der Operation. In der erwähnten Dosisfindungsstudie ereignete sich unter einer hohen Fondaparinux-Dosis (6 mg) eine intraspinale Blutung nach einer Spinalanästhesie. (2)

Thrombozytopenien unter 100x109/L wurden in den klinischen Studien bei etwa 3% der Behandelten beobachtet, wurden als nicht-medikamentös verursacht beurteilt und waren in ihrer Häufigkeit in Fondaparinux- und Enoxaparin-Gruppen vergleichbar. Aufgrund der Untersuchungen in vitro wird das Risiko für eine heparininduzierte Thrombozytopenie von den meisten Fachleuten als gering eingestuft. (1,2)

Andere bedeutsame Nebenwirkungen von Fondaparinux sind bisher nicht bekannt. In den klinischen Studien wurden als weitere mögliche unerwünschte Wirkungen vor allem lokale Reaktionen an der Einstichstelle, Schlafstörungen, Ödeme, Hypokaliämien, erhöhte Leberwerte und Harnwegsinfektionen registriert. Ob und bei welchen Beobachtungen ein Kausalzusammenhang mit der Verabreichung von Fondaparinux besteht, ist bisher nicht zu entscheiden.

Interaktionen

In Interaktions-Studien fand sich kein Einfluss von Fondaparinux auf die Wirkung oraler Antikoagulantien. Fondaparinux verlängerte auch nicht die Blutungszeit bei Personen, die unter Acetylsalicylsäure (Aspirin® u.a.) oder Piroxicam (Felden® u.a.) standen. Trotzdem dürfte das Risiko für Blutungen ansteigen, wenn Fondaparinux mit anderen Medikamenten kombiniert wird, die das Blutungsrisiko erhöhen. Wenn von Fondaparinux auf ein niedermolekulares Heparin gewechselt wird, soll mit der ersten Dosis bis 24 Stunden nach der letzten Fondaparinux-Dosis gewartet werden. In vitro wurde der Einfluss auf verschiedene Zytochrome untersucht, jedoch keine bedeutsame Interaktion gefunden. (1,2)

Dosierung/Verabreichung/Kosten

Fondaparinux (Arixtra®) ist in der Schweiz für die Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse bei grösseren orthopädischen Eingriffen zugelassen. Es ist als Fertigspritzen zu 2,5 mg Fondaparinux-Natrium erhältlich, bisher aber nicht kassenzulässig. Die empfohlene Dosierung beträgt 2,5 mg einmal täglich, subkutan verabreicht. Kontraindikationen sind eine aktuelle Blutung und eine Niereninsuffizienz mit einer Kreatinin-Clearance von weniger als 30 ml/min. Relativ kontraindiziert ist die Behandlung von Personen unter 50 kg Körpergewicht. Eine spezielle Warnung betrifft das Risiko für intraspinale Blutungen bei Anwendung nach rückenmarksnahen Anästhesien.

10 Fertigspritzen mit 2,5 mg Fondaparinux kosten CHF 192.65. Niedrigmolekulare Heparine sind in vergleichbarer Dosierung deutlich günstiger; so kosten z.B. 10 Fertigspritzen mit 40 mg Enoxaparin (Clexane®) CHF 108.10, mit 3'000 IE Certoparin (Sandoparin®) nur CHF 66.60.

Kommentar

Mit Fondaparinux ist die Palette der parenteral verabreichbaren Antikoagulantien um eine Stoffklasse reicher geworden. Sozusagen als «kleinstmögliches Heparin» entwickelt, zeichnet sich Fondaparinux gegenüber den unfraktionierten und gegenüber den niedrigmolekularen Heparinen durch einen spezifischeren Wirkungsort aus. Die klinischen Daten sind noch vergleichsweise bescheiden; vier grosse randomisierte Studien zur Prophylaxe von Thromboembolien nach orthopädischen Eingriffen zeigten eine niedrigere Inzidenz von (asymptomatischen) Beinvenenthrombosen im Vergleich mit einem niedrigmolekularen Heparin. Beim genaueren Hinsehen entstehen allerdings Zweifel, ob Fondaparinux tatsächlich ein besseres Verhältnis von Nutzen und Risiken aufweist. Ob symptomatische thromboembolische Ereignisse ebenfalls reduziert werden, ist keineswegs gesichert, und das Risiko für schwerere Blutungen scheint höher zu sein als unter üblichen Enoxaparin- Dosen. Es bleiben also weitere Studienergebnisse abzuwarten. Zu hoffen ist ausserdem, dass für den Erhalt der Kassenzulässigkeit die Preise von Fondaparinux gesenkt werden. Die meisten Fachleute empfehlen vorläufig einen vorsichtigen Umgang mit dem neuen Antikoagulans. (9,10)

Standpunkte und Meinungen

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Fondaparinux (18. Januar 2003)
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pharma-kritik, 24/No. 13
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