Amrinon

Synopsis

Amrinon (Inocor®) wird als positiv inotrope Substanz zur intravenösen und unter Intensivbedingungen durchgeführten Therapie der akuten schweren Herzinsuffizienz angeboten.

Chemie/Pharmakologie

Amrinon, chemisch ein Bipyridin-Derivat, gehört zur Gruppe der Phosphodiesterase-Hemmer. In der Herzmuskelzelle wird unter dem Einfluss der membranständigen Adenylatzyklase, die unter anderem durch b-Sympathomimetika stimuliert wird, aus Adenosintriphosphat (ATP) zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP) gebildet; cAMP ist ein «second messenger» und steigert die Kontraktionskraft des Myokards (u.a. durch Erhöhung der intrazellulären Kalziumkonzentration). Die in zahlreichen Geweben vorhandenen Phosphodiesterasen -- im Myokard existieren mindestens 3 Isoenzyme -- katalysieren den Abbau von zyklischen Monophosphaten (cAMP, cGMP). Amrinon hemmt vor allem den Phosphodiesterase- Typ III (der selektiv cAMP zu AMP hydrolysiert), was als wichtigster Wirkungsmechanismus betrachtet wird. Die Phosphodiesterase-Hemmer wirken nicht nur positiv inotrop, sondern auch gefässerweiternd.

Pharmakokinetik

Die Wirkung einer intravenösen Amrinon-Dosis beginnt nach wenigen Minuten, erreicht nach rund 10 Minuten ein Maximum und dauert 1 bis 1,5 Stunden.(1) Bei Gesunden bestimmte man eine mittlere Eliminationshalbwertszeit von rund 3 Stunden.(2,3) Bei herzinsuffizienten Patienten, bei denen die Kinetik bislang nur mit Tabletten geprüft worden ist, fand sich eine mittlere Plasmahalbwertszeit von über 8 Stunden.(4) Innerhalb von 24 Stunden wurden von einer intravenösen Amrinon-Dosis 10 bis 40% in unveränderter Form renal ausgeschieden;(2) dies lässt darauf schliessen, dass ein grosser Teil von Amrinon in der Leber metabolisiert wird. Bei 5 Patienten verminderte oral verabreichtes Amrinon die hepatische Oxydation einer gleichzeitig eingenommenen Testsubstanz (Aminopyrin), so dass Amrinon eventuell auch mit dem Abbau von Medikamenten wie Ciclosporin, Theophyllin oder oralen Antikoagulantien interferiert.(5)

Klinische Studien

Die intravenöse Form von Amrinon, die im weiteren besprochen wird, ist bisher nicht doppelblind getestet worden (im Gegensatz zu den Tabletten, die jedoch nicht eingeführt werden). Die Aussage der Herstellerfirma, dieses Verfahren sei bei Amrinon zu kompliziert, vermag nicht recht zu überzeugen (immerhin gibt es mindestens eine Einfachblindstudie).
In einer offenen Studie erhielten 8 herzinsuffiziente Patienten (Klasse III oder IV nach New York Heart Association [NYHA]), bei denen Digitalis und Diuretika ungenügend wirkten, zusätzlich Amrinon (0,5 mg/kg alle 10 Minuten). Mit einer durchschnittlichen Gesamtdosis von 2,4 mg/kg stieg der Herzindex von 1,8 auf 2,6 l/min/m2 (+ 44%); der linksventrikuläre enddiastolische Druck sank von 25 auf 14 mm Hg (-- 44%), der Druck im rechten Vorhof von 12 auf 7 mm Hg (-- 42%).(6) Zwei ähnliche Untersuchungen(1,7) und eine (mehr summarisch rapportierte) Multizenterstudie mit 326 Patienten(8) bestätigen diese Ergebnisse. Die Studien zeigten, dass Amrinon den systemischen und pulmonalen Gefässwiderstand sowie den mittleren pulmonal-arteriellen Blutdruck reduziert, hingegen den mittleren Blutdruck im grossen Kreislauf sowie die Herzfrequenz wenig verändert. Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit, aber ohne Zeichen einer akuten Ischämie wurde durch Amrinon der myokardiale Sauerstoffverbrauch um rund 30% herabgesetzt.(7)
Wieviel die positiv inotropen Eigenschaften zur Wirkung beim herzinsuffizienten Patienten beitragen, ist umstritten. In einer der zuvor erwähnten Studien erhöhte Amrinon den maximalen linksventrikulären Druckanstieg (dp/dt).(6) Doch dieser Wert wird von mehreren Faktoren beeinflusst (u.a. von der Herzfrequenz). In einer offenen Studie, in der 15 Patienten mit Linksinsuffizienz (Klasse II bis IV) 1,5 mg/kg Amrinon und 10 Patienten noch einen zweiten Bolus von 2 mg/kg erhielten, wurden neben dem maximalen Druckanstieg vier weitere, die Kontraktilität beschreibende Indizes ausgerechnet. Während der linksventrikuläre enddiastolische Druck, der mittlere Blutdruck und der Gefässwiderstand abnahmen und der Herzindex stieg, konnte kein signifikanter Einfluss auf die Kontraktilität festgestellt werden. Offenbar kommt ein bedeutendes Mass der klinischen Wirkung durch eine Vasodilatation zustande.(9) Bei 14 Patienten wurde die Wirkung von Nitroprussidnatrium (Nipride®), einem starken Vasodilatator, und Amrinon verglichen. Sowohl in bezug auf die Hämodynamik als auch auf den myokardialen Stoffwechsel fand man keine wesentlichen Unterschiede, ausser dass Amrinon den Herzindex mehr steigerte.(10)
In einer Einfachblindstudie erhielten 20 Patienten mit infarktbedingter Linksinsuffizienz Amrinon (0,4 mg/kg) oder Dobutamin (Dobutrex®, 0,1 mg/kg). Im Laufe der anderthalbstündigen Infusion verdoppelte man die Dosis bei beiden Mitteln nach jeweils 30 Minuten. Der Herzindex erhöhte sich unter Dobutamin stärker, während Amrinon den indirekt via Pulmonaliskatheter gemessenen linksventrikulären enddiastolischen Druck viel ausgeprägter verminderte. Der Blutdruck sank unter Amrinon und nahm unter Dobutamin zu.(11) In einer anderen, offenen Studie mit 8 Patienten (Klasse III oder IV) fand man zwischen Amrinon und Dobutamin in allen ermittelten Parametern (Herzindex, linksventrikulärer enddiastolischer Druck u.a.) fast keinen Unterschied. Mit einer Infusion über 8 Stunden konnten die hämodynamischen Wirkungen mit Amrinon aufrechterhalten werden, mit Dobutamin gingen sie leicht zurück. Man weiss, dass die Wirkung von Katecholaminen abnehmen kann (Toleranzentwicklung), was bei Amrinon weniger der Fall zu sein scheint.(12)
Bei 7 Patienten wurden Dobutamin, nach einiger Zeit Amrinon und kurz darauf nochmals Dobutamin infundiert. Mit der Kombination erreichte man eine zusätzliche Verbesserung der Hämodynamik; Herzindex und systemischer Gefässwiderstand veränderten sich gegenüber den Monotherapien sogar signifikant.(13)

Unerwünschte Wirkungen

Eine hohe Rate unerwünschter Wirkungen unter einer Amrinon-Langzeittherapie trug dazu bei, dass auf weitere Studien mit der oralen Form verzichtet wurde. Auch mit einer kurzfristigen Behandlung tritt bei etwa 2% der Patienten eine reversible Thrombozytopenie (< 100’000/ml) auf. Schwere Hypotonien, wohl die Folge einer zu hohen initialen Dosis (1,5 mg/kg innerhalb von 2 Minuten), sind beschrieben worden.(14) Das Arrhythmie-Potential von Amrinon wird aufgrund intrakardial abgeleiteter Elektrokardiogramme als gering eingestuft.(15) Dennoch sind Arrhythmien verschiedenster Art mit einer Inzidenz von etwa 3% die häufigsten der bisher bekannten Nebenwirkungen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz generell zu Arrhythmien neigen. Als weitere unerwünschte Effekte werden gastrointestinale Beschwerden, Leberenzymerhöhungen und Fieber erwähnt. Ob Amrinon einen kardiotoxischen Effekt hat, wie in einem Editorial angesichts der Langzeitergebnisse mit der oralen Form diskutiert wird,(16) ist unbestimmt.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Amrinon (Inocor®) wird in 20-ml-Ampullen zu 100 mg (5 mg/ml) angeboten. Sein Einsatz erfordert eine sorgfältige individuelle Dosistitration mit einer intensiven kardiovaskulären Überwachung sowie eine regelmässige Kontrolle der Thrombozyten. Als obere Grenze gilt eine Dosis von 10 mg/kg/Tag. Bei schwangeren und stillenden Frauen sowie bei Kindern sollte Amrinon nicht eingesetzt werden. Die Packung mit 10 Ampullen, zurzeit nicht kassenzulässig, kostet Fr. 360.-; mit der maximalen Dosis ergibt dies bei einer 70 kg schweren Person Tageskosten von 252 Franken. Für mehrere andere Präparate, die bei schwerer Herzinsuffizienz verwendet werden (Dopamin, Nitroglycerin, Nitroprussidnatrium), liegen die Tageskosten unter 100 Franken; Dobutamin (Dobutrex®) kostet in maximalen Dosen etwa 180 Franken pro Tag.

Kommentar

Amrinon ist der erste Vertreter einer neuen Klasse von Substanzen, bei denen eine positiv inotrope Wirkung vermutet wird, die sich von derjenigen der Herzglykoside und Katecholamine unterscheidet. Die bisherigen Studien zeigen jedoch, dass ein beträchtlicher, wenn nicht gar der grössere Teil der klinischen Wirkung von Amrinon durch eine Vasodilatation zustandekommt. Obschon Amrinon mit Erfolg bei Patienten eingesetzt worden ist, die auf andere Mittel nicht mehr angesprochen hatten, bietet es gegenüber herkömmlichen und deutlich billigeren Substanzen keinen therapeutischen Vorteil, der durch kontrollierte Untersuchungen belegt wäre. Amrinon ist als Reservemittel einzuschätzen, das demjenigen schwer herzinsuffizienten Patienten eine weitere Chance gibt, bei dem alle anderen Medikamente erfolglos geblieben sind.

Literatur

  1. 1) T.H. LeJemtel et al.: Circulation 59: 1098, 1979
  2. 2) M.P. Kullberg et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 29: 394, 1981
  3. 3) G.B. Park et al.: J. Pharm. Sci. 72: 817, 1983
  4. 4) J. Edelson et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 29: 723, 1981
  5. 5) N.C. Manzione et al.: Am. J. Med. Sci. 291: 88, 1986
  6. 6) N.C. Manzione et al.: Am. J. Med. Sci. 291: 88, 1986
  7. 7) J.R. Benotti et al.: Circulation 62: 28, 1980
  8. 8) E.H. Sonnenblick: Cardiovasc. Rev. Rep. 8: 12, 1987
  9. 9) P.T. Wilmshurst et al.: Br. Heart J. 49: 77, 1983
  10. 10) P.T. Wilmshurst et al.: Br. Heart J. 52: 38, 1984
  11. 11) B. Silke et al.: J. Cardiovasc. Pharmacol. 9: 19, 1987
  12. 12) N.A. Klein et al.: Am. J. Cardiol. 48: 170, 1981
  13. 13) J. Gage et al.: Circulation 74: 367, 1986
  14. 14) P.T.Wilmshurst und M.M.Webb-Peploe: Br. Heart J. 49: 447, 1983
  15. 15) G.V. Naccarelli et al.: Am. J. Cardiol. 54: 600, 1984
  16. 16) Editorial: Ann. Intern. Med. 102: 399, 1985

Standpunkte und Meinungen

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Amrinon (14. Oktober 1988)
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pharma-kritik, 10/No. 19
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