Nimodipin

Synopsis

Nimodipin (Nimotop®), der Kalziumantagonist «mit der höchsten Selektivität für die Hirngefässe», wird für die Prophylaxe und Behandlung von Vasospasmus-bedingten Läsionen nach Subarachnoidalblutungen empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Nimodipin ist ein Kalziumantagonist aus der Gruppe der Dihydropyridine. In seiner Struktur und Wirkungsweise gleicht es Nifedipin (Adalat® u.a.), dem Prototyp der Gruppe, sehr stark. Es handelt sich um eine stark lipophile Substanz, welche die Blut-Hirnschranke zu überwinden vermag.(1)
In vitro-Studien an Kaninchenarterien zeigten, dass Nimodipin eine durch Serotonin verursachte Vasokonstriktion an zerebralen, nicht aber an peripheren Gefässen aufheben kann.(2) An menschlichem Hirngewebe konnten in vitro Bindungsrezeptoren für Dihydropyridine gefunden werden, zu denen Nimodipin eine stärkere Affinität als andere Substanzen dieser Klasse zeigte.(3) Bei Katzen mit experimenteller Subarachnoidalblutung führte Nimodipin zu einem vollständigen Verschwinden der zerebralen Gefässspasmen;(4) bei Affen liess sich aber kein solcher Effekt nachweisen.(5,6) Auch die bei therapeutischen Studien gewonnenen Daten lassen Zweifel an einer klinisch bedeutsamen Wirkung auf die Hirngefässe aufkommen. In mehreren Studien hat sich unter Nimodipin keine Zunahme des zerebralen Blutflusses(7) bzw. keine angiographisch nachweisbare Verminderung der Gefässspasmen ergeben. (8,9) Der genaue Mechanismus einer «zerebraltherapeutischen » Wirkung von Nimodipin ist somit ungeklärt.

Pharmakokinetik

Nimodipin wird nach oraler Gabe rasch resorbiert. Die biologische Verfügbarkeit beträgt im Mittel aber nur 5 bis 10%, da das Medikament grösstenteils metabolisiert wird, bevor es in den systemischen Kreislauf gelangt («first pass»-Effekt).(10) Die Plasmahalbwertszeit beträgt ungefähr 1 Stunde. Nimodipin wird in der Leber metabolisiert; die Metaboliten besitzen offenbar keine vaskuläre Aktivität. Bei Patienten mit Leberzirrhose ist die Clearance vermindert. (11) Aber auch bei Individuen mit Niereninsuffizienz fand sich in einer Studie eine verminderte Elimination.(12) Superscript

Klinische Studien

Subarachnoidalblutung

Nach Blutungen z.B. infolge rupturierter Hirnarterienaneurysmen können Gefässspasmen auftreten, welche neurologische Spätkomplikationen («delayed ischemic deficits ») verursachen. Die wichtigste Massnahme zur Prävention dieser Komplikationen ist die rechtzeitige Ausräumung von Hämatomen und die Revision von Aneurysmen. Die Anwendung von Nimodipin bei diesen Patienten beruht auf der Überlegung, das Medikament wirke zerebralen Vasospasmen entgegen.
Neben zahlreichen Fallberichten und offenen Studien liegen heute auch die Resultate von mehreren Doppelblindstudien vor: In einer kanadischen Multizenterstudie erhielten 154 Patienten mit prognostisch ungünstiger Subarachnoidalblutung entweder Nimodipin (alle 4 Stunden 90 mg per os, während 3 Wochen) oder Placebo. Ein guter neurologischer Zustand liess sich nach 3 Monaten bei 21 der 72 mit Nimodipin behandelten Patienten, aber nur bei 8 der 82 Patienten der Placebo-Gruppe feststellen. In der aktiv behandelten Gruppe fanden sich auch signifikant weniger bleibende Spät-Ischämieschäden. Die Mortalität, die angiographisch sichtbaren Gefässspasmen (nach 8 Tagen) und die computertomographisch nachweisbaren Hirninfarkte (nach 3 Monaten) waren in den beiden Gruppen nicht signifikant verschieden.(8)
In einer anderen kontrollierten Studie, bei der kleinere Nimodipindosen (20-30 mg alle 4 Stunden) verwendet wurden, ergab sich nach rund 3 Wochen ebenfalls ein signifikant besseres Resultat für aktiv behandelte Patienten: in dieser Gruppe kam es nur in einem Fall zu schweren, Vasospasmus-bedingten Komplikationen, in der Placebo- Gruppe dagegen bei 5 Patienten. Drei von 58 Patienten der Nimodipin-Gruppe und sieben von 63 Patienten der Placebo-Gruppe starben.(13)
In einer Doppelblindstudie mit 75 Patienten, von denen allerdings nur 50 ein nachweisbares Aneurysma hatten, ergab sich ein «Trend» zu besseren Resultaten in der Nimodipin- Gruppe ohne statistisch signifikante Beeinflussung der Mortalität.(7) Gemäss einem Kurzbericht erbringt anderseits auch die intravenöse Verabreichung von Nimodipin (2 mg/Stunde, während 1 bis 2 Wochen) eine signifikante Reduktion der Mortalität.(14) Nicht alle Publikationen können über Erfolge berichten: in einer (offenen) Studie mit 84 Patienten, die zuerst intravenös, dann oral mit Nimodipin behandelt wurden, ergaben sich keine Unterschiede zu «passenden» historischen Kontrollen.(15)

Ischämische Insulte

In zwei holländischen Studien ist Nimodipin bei ischämischen Insulten eingesetzt worden. Um zu sichern, dass nur Patienten mit akuten Hirngefäss-Verschlüssen in die Studien aufgenommen wurden, erfolgte eine genaue neurologische Untersuchung (inklusive Computer-Tomogramm). Eine erste, einfachblinde Studie liess vermuten, dass Nimodipin- behandelte Patienten signifikant geringere neurologische Ausfälle als Patienten unter Placebo erleiden.(16) In der folgenden Doppelblindstudie erhielten 93 Patienten Nimodipin (4mal 30 mg/Tag per os, während 4 Wochen) und 93 Patienten Placebo. Alle Patienten wurden in den ersten fünf Tagen auch mit niedermolekularem Dextran behandelt; zur Prophylaxe venöser Thrombosen wurde Heparin in niedrigen Dosen verwendet. Die Mortalität innerhalb von 4 Wochen war in der Placebo-Gruppe viel höher (19 von 93 Patienten) als in der Nimodipin-Gruppe (8 von 93 Patienten). In den folgenden 6 Monaten starben in beiden Gruppen noch je weitere 8 Patienten. Die neurologischen Ausfälle waren in der Nimodipin-Gruppe signifikant geringer. Der Behandlungsnutzen war aber im wesentlichen auf Männer beschränkt; bei Frauen war kein Mortalitäts-Unterschied zwischen aktiver und Placebo- Behandlung festzustellen.(17)

Migräne

Nimodipin ist auch in mehreren kleinen Doppelblindstudien als Migräneprophylaktikum geprüft worden. Dabei wurde das Medikament während 8 bis 13 Wochen in einer Dosis von 3- bis 4mal 30 bis 40 mg täglich verabreicht. Im Vergleich mit Placebo vermochte Nimodipin die Häufigkeit von Migräneanfällen zu senken(18) oder einen «Migräne- Score» zu reduzieren.(19) Eine neuere Multizenterstudie soll aber ein negatives Ergebnis erbracht haben.(20)

Unerwünschte Wirkungen

In den bisher veröffentlichten Berichten wird wiederholt auf die geringe Zahl unerwünschter Wirkungen hingewiesen. Nimodipin hat eine blutdrucksenkende Wirkung, die aber nur bei etwa 5% der Patienten zu störenden Symptomen führt.(21) Gelegentlich werden ein Anstieg der Herzfrequenz, Hitzewallungen und Kopfschmerzen beobachtet. Über Bauchbeschwerden ist in mehreren Studien berichtet worden. Unter der Infusionsbehandlung kann es zu einem Anstieg der Leberenzyme oder auch zu einer Pankreatitis kommen. (Die Infusionslösung enthält 10 g Alkohol auf 50 ml!) Einzelfälle von Nierenfunktionsstörungen, einer Kolon-Pseudoobstruktion und einer akuten Psychose sind beschrieben worden.

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Nimodipin (Nimotop®) ist als Infusionslösung (10 mg/50 ml) und als Lacktabletten zu 30 mg erhältlich; beide Formen sind bisher nicht kassenzulässig. Das Medikament wird zur Zeit von der Herstellerfirma nur zur Behandlung von Patienten empfohlen, die wegen einer Subarachnoidalblutung operiert wurden. Dabei wird vorgeschlagen, spätestens 4 Tage nach der Blutung mit der intravenösen Behandlung zu beginnen. Die initiale Dosis von 0,5 bis 1 mg/Stunde kann, je nach Verträglichkeit, auf 2 mg/Stunde gesteigert werden (Vorsicht bei Leberpatienten und alten Leuten!). Nach dem 10. bis 14. Tag soll dann für die Dauer einer Woche auf die orale Verabreichung von 6mal täglich 60 mg gewechselt werden. Eine solche Behandlung kostet ungefähr 2470 Franken. (Eine ausschliesslich orale Therapie, wie in der erwähnten Multizenterstudie,(8) kostet nur rund 400 Franken.)

Kommentar

Nimodipin ist der einzige Kalziumantagonist, der ganz gezielt als «Zerebraltherapeutikum» ausgetestet wird. Obwohl die Resultate kontrollierter Studien gewisse Inkonsistenzen aufweisen, ist an einer günstigen Wirkung bei Patienten mit Subarachnoidalblutung kaum zu zweifeln. Dagegen ist keineswegs erwiesen, dass die (äusserst kostspielige und wegen des hohen Alkoholgehaltes problematische) Infusionstherapie einer oralen Behandlung überlegen wäre. Die verfügbaren Resultate bei ischämischen Insulten und bei Migräne verdienen Beachtung, müssen aber durch weitere, grössere Vergleichsstudien ergänzt werden. Insgesamt erscheint Nimodipin noch zu wenig dokumentiert; es ist durchaus denkbar, dass ähnliche Resultate auch mit einem anderen Dihydropyridin (z.B. Nifedipin) erreicht werden könnten.

Literatur

  1. 1) B. Ljunggren et al.: J. Neurosurg. 61: 864, 1984
  2. 2) S. Kazda und R. Towart: Acta Neurochir. 63: 259, 1982
  3. 3) S.J. Petrovtka und G.S. Allen: J. Neurosurg. 59: 933, 1983
  4. 4) K. Tanaka et al.: Arzneim.-Forsch./Drug Res. 32: 1529, 1982
  5. 5) C. Sahlin et al.: Brain Res. 403: 313, 1987
  6. 6) P.J. Lewis et al.: Neurosurgery 22: 492, 1988
  7. 7) E. Mee et al.: Neurosurgery 22: 484, 1988
  8. 8) K.C. Petruk et al.: J. Neurosurg. 68: 505, 1988
  9. 9) R. Rodriguez et al.: Acta Neurol. Scand. 76: 267, 1987
  10. 10) D.R. Abernethy und J.B. Schwartz: Clin. Pharmacokin. 15: 1, 1988
  11. 11) F.M. Gengo et al.: Br. J. Clin. Pharmacol. 23: 47, 1987
  12. 12) W. Kirch et al.: Internat. J. Clin. Pharmacol. Res. 5: 381, 1984
  13. 13) G.S. Allen et al.: N. Engl. J. Med. 308: 619, 1983
  14. 14) Ph. Frerebeau et al.: Presse Méd. 16: 1286, 1987
  15. 15) L. Pellettieri et al.: Surg. Neurol. 30: 180, 1988
  16. 16) H.J. Gelmers: Acta Neurol. Scand. 69: 232, 1984
  17. 17) H.J. Gelmers et al.: N. Engl. J. Med. 318: 203, 1988
  18. 18) H. Havank-Kannianen et al.: Acta Neurol. Scand. 65 (Suppl. 90): 77, 1982
  19. 19) H.J. Gelmers: Headache 23: 106, 1983
  20. 20) C. Exhenry und F. Regli: Méd. Hyg. 46: 2799, 1988
  21. 21) D. Tettenborn et al.: Neurosurg. Rev. 10: 77, 1987

Standpunkte und Meinungen

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Nimodipin (14. Oktober 1988)
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