Ezetimibe

Synopsis

Ezetimibe (Ezetrol®) hemmt die Aufnahme von Cholesterin und pflanzlichen Sterinen aus dem Darm und wird zur Behandlung von Hypercholesterinämien und der seltenen homozygoten Sitosterinämie empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Ezetimibe ist der erste Vertreter einer neuen Stoffklasse, den sogen. 2-Azetidinonen. Ezetimibe hemmt dosisabhängig die Resorption von Cholesterin und pflanzlichen Sterinen im Dünndarm. Das Medikament wirkt direkt im Bereich der Dünndarmschleimhaut, der genaue Wirkungsmechanismus ist bisher aber nicht bekannt. Im Tierexperiment konnte keiner der Rezeptoren, denen bei der Cholesterinresorption Bedeutung zukommt, als Wirkungsort identifiziert werden. (1) Beim Menschen reduziert Ezetimibe in einer Tagesdosis von 10 mg die Resorption von Cholesterin um etwa die Hälfte. Die interindividuelle Variabilität der Cholesterinresorption variiert allerdings stark sowohl unter Placebo (etwa 25% bis 75%) als auch unter Ezetimibe (etwa 3% bis 50%). In ähnlichem Ausmass wird auch die Resorption von pflanzlichen Sterinen (Sitosterin, Campesterin) gehemmt. Hingegen nimmt unter Ezetimibe die Cholesterinsynthese in der Leber durchschnittlich um fast das Doppelte zu. (2)

Pharmakokinetik

Ezetimibe wird nach oraler Verabreichung schnell resorbiert; im Darm wird die Substanz fast vollständig zu einem Glukuronid konjugiert. Dieses Glukuronid ist aktiver als Ezetimibe selbst. Etwa 1-2 Stunden nach der Einnahme sind für das Glukuronid, nach 4-12 Stunden für Ezetimibe maximale Plasmakonzentrationen erreicht. Da keine intravenös applizierbare Form zur Verfügung steht, ist die Bioverfügbarkeit nicht bekannt. Sowohl Ezetimibe wie das Glukuronid werden über die Galle ausgeschieden, so dass ein enterohepatischer Kreislauf mit wiederholten Plasmaspitzen zustandekommt. Die terminale Eliminationshalbwertszeit soll durchschnittlich etwa 22 Stunden betragen, variiert jedoch beträchtlich. Die Ausscheidung erfolgt grösstenteils mit dem Stuhl und nur zu 11% mit dem Urin. Bei Personen über 65 finden sich rund doppelt so hohe Plasmaspiegel wie bei jüngeren Leuten. Eine eingeschränkte Leber- oder Nierenfunktion führt zu erhöhten Spiegeln, die jedoch praktisch nur bei mittelschwerer bis schwerer Leberinsuffizienz von Bedeutung sein sollen. Ezetimibe scheint die Aktivität der Zytochrome nicht wesentlich zu beeinflussen. (1)

Klinische Studien

Die bisherigen Studien, an denen etwa 5000 Personen beteiligt waren, belegen den Einfluss von Ezetimibe auf die Plasmalipide. Dagegen fehlen bisher Studien, die den Nutzen einer Behandlung anhand klinisch relevanter Endpunkte dokumentieren.

Monotherapie

In einer Dosisfindungsstudie bei 243 Personen mit einem LDL-Cholesterin von 3,4 bis 6,5 mmol/l und einem Triglyzerid-Spiegel von höchstens 3,4 mmol/l wurde Ezetimibe einmal täglich in einer Dosis von 0,25 mg, 1 mg, 5 mg oder 10 mg mit Placebo verglichen. Alle Teilnehmenden erhielten Instruktionen für eine fett- und cholesterinarme Diät. Nach 2 Wochen hatten die LDL-Cholesterinwerte in allen Ezetimibe-Gruppen signifikant stärker abgenommen als unter Placebo. Die Senkung nahm mit der Höhe der Dosis zu und blieb über die 12 Wochen Beobachtungsdauer etwa konstant. (3) In einer ähnlich angelegten placebokontrollierten Studie wurde Ezetimibe in einer Dosis von 5 mg oder 10 mg entweder am Morgen oder am Abend verabreicht. Beide Verabreichungsarten beeinflussten die Plasmalipide in vergleichbarem Ausmass. Fasst man die Resultate dieser beiden Studien zusammen, so betrug die Senkung des LDL-Cholesterins unter 5 mg Ezetimibe 15,7% und unter 10 mg 18,5% (Unterschied signifikant). Das HDL-Cholesterin wurde um 2,9% bzw. um 3,5% erhöht. Die Triglyzeride waren etwas niedriger als unter Placebo, der Unterschied statistisch nicht signifikant. (3)Ähnliche Resultate zeigten grössere Studien, in denen Ezetimibe bei Personen mit einer primären Hypercholesterinämie untersucht wurde. In einer 12wöchigen placebokontrollierten Studie bei 892 Personen mit einem LDL-holesterin von 3,4 bis 6,5 mmol/l und einem Triglyzerid-Spiegel von höchstens 4,0 mmol/l senkte die tägliche Einnahme von 10 mg Ezetimibe das LDL-Cholesterin um durchschnittlich 16,9%. Die Wirksamkeit wurde von Alter, Geschlecht, Rasse und Lipidstatus nicht beeinflusst. Statistisch signifikant war auch die Senkung von Gesamt-Cholesterin, Apolipoprotein A und Triglyzeriden sowie die Erhöhung des HDL-Cholesterins. (4)

Kombination mit Statinen

In einer 12wöchigen Studie wurde die Wirkung von Ezetimibe in Kombination mit verschiedenen Dosen Simvastatin (Zocor®) bei 668 Personen mit primärer Hypercholesterinämie untersucht. Simvastatin allein führte in einer Dosis von 10 bis 80 mg täglich zu einer Senkung des LDL-Cholesterins um 27% bis 44%. Mit 10 mg Ezetimibe zusätzlich nahm das LDL-Cholesterin gesamthaft um 44% bis 57% ab. Gegenüber den Kontrollgruppen ohne Ezetimibe betrug die zusätzliche LDL-Cholesterinsenkung durchschnittlich 14% (Unterschied signifikant). Auch das Gesamtcholesterin, die Triglyzeride und Apolipoprotein B wurden signifikant stärker gesenkt, HDL-Cholesterin stärker erhöht. (5) In einer anderen Studie wurden 769 Personen mit einer primären Hypercholesterinämie untersucht, die alle bereits vorgängig mit einem Statin behandelt worden waren. Einschlusskriterium war, dass sie mit dem Statin die amerikanischen Zielwerte einer cholesterinsenkenden Behandlung nicht erreicht hatten (LDL-Cholesterin je nach Risikoklasse 4,1 mmol/l, 3,4 mmol/l oder 2,6 mmol/l). Etwa die Hälfte der Untersuchten litt an einer koronaren Herzkrankheit oder an einem Diabetes mellitus. Je etwa ein Drittel waren mit Atorvastatin (Sortis®) oder mit Simvastatin behandelt worden, die anderen mit einem anderen Statin. Ezetimibe (10 mg täglich) führte gegenüber Placebo über 8 Wochen zu einer zusätzlichen Senkung des LDL-Cholesterins um 21%. Jetzt erreichten 76% die LDL-Cholesterin-Zielwerte, in der Placebogruppe aber nur 27%. Unterschiede in der Wirkung bezüglich des eingenommenen Statins ergaben sich keine. (6) In einer placebokontrollierten Studie wurden auch 50 Kranke mit einer familiären Hypercholesterinämie untersucht. Bei den meisten war eine homozygote familiäre Hypercholesterinämie genetisch belegt worden. Alle waren bei Studienaufnahme mit Simvastatin oder Atorvastatin in einer täglichen Dosis von 40 mg behandelt, etwa die Hälfte zusätzlich mit regelmässiger LDL-Apherese (ein Dialyse-ähnliches Verfahren, mit dem insbesondere die LDL-Partikel aus dem Plasma entfernt werden). Ihr LDL-Cholesterin lag bei Studienbeginn durchschnittlich bei etwa 8,3 mmol/l. Nach dem Zufall erhielten die Kranken der einen Gruppe die doppelte Statindosis (80 mg/Tag), eine zweite Gruppe erhielt Ezetimibe 10 mg täglich zu der bisherigen Statindosis hinzu und die dritte Gruppe wurde täglich mit 80 mg Statin plus 10 mg Ezetimibe behandelt. Nach 12 Wochen Behandlung hatten die LDL-Cholesterinwerte in beiden Ezetimibegruppen stärker abgenommen als in der Kontrollgruppe (um 13% und 28% gegenüber 7%). Das Ausmass der Senkung war bei Kranken mit und ohne LDL-Apherese ähnlich. (7)

Unerwünschte Wirkungen

Aufgrund der vorhandenen Daten können die kurzfristigen Risiken einer Ezetimibe-Therapie erst ansatzweise, die langfristigen Risiken praktisch überhaupt nicht abgeschätzt werden. In den 8- bis 12wöchigen placebokontrollierten Studien waren grippale Infekte, Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Brechreiz die am häufigsten berichteten unerwünschten Ereignisse, der Unterschied zu Placebo war aber nicht signifikant. Häufiger als unter Placebo trat ein Anstieg der Leber- oder Muskelenzyme auf. Unter Monotherapie mit 10 mg Ezetimibe wurde eine Erhöhung von ALT oder AST (GPT oder GOT) auf das Dreifache der oberen Norm bei knapp 1% registriert, bei gleichzeitiger Statintherapie bei 2%. Erhöhungen der CPK um das Dreifache waren unter Mono- und Kombinationstherapie etwa gleich häufig (1,6% bis 2,5%). Eine Rhabdomyolyse wurde in den Studien nicht beobachtet. (8)Im Tierversuch wird durch Ezetimibe die Resorption anderer fettlöslicher Substanzen (Triglyzeride, Vitamine A und D, Ethinylestradiol) nicht beeinflusst. Ob die verminderte Resorption von pflanzlichen Sterinen oder anderer Substanzen bei Langzeitanwendung zu Problemen führen könnte, ist bisher ungenügend untersucht.

Interaktionen

Bei gleichzeitiger Einnahme mit Colestyramin (Quantalan®) nimmt die Bioverfügbarkeit von Ezetimibe um etwa die Hälfte ab, weshalb Ezetimibe nicht gleichzeitig mit Ionenaustauschern eingenommen werden soll. In einem Fall wurden stark erhöhte Ezetimibe-Spiegel bei gleichzeitiger Einnahme mit Ciclosporin (Sandimmun®) beobachtet. Keine pharmakokinetische Interaktion konnte bei gleichzeitiger Verabreichung mit Statinen beobachtet werden. Fibrate scheinen die orale Verfügbarkeit von Ezetimibe zu erhöhen. Da keine Hinweise auf eine Beeinflussung der Zytochrome gefunden wurden, ist das Risiko pharmakokinetischer Interaktionen wahrscheinlich gering. (1)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Ezetimibe (Ezetrol®) ist als Tabletten zu 10 mg erhältlich und kassenzulässig. Bei primärer oder familiärer Hypercholesterinämie sollen einmal täglich 10 mg täglich eingenommen werden, bei Einhalten einer cholesterin- und fettarmen Diät. Empfohlen wird eine Monotherapie oder die Kombination mit einem Statin. Von einer Kombination mit Fibraten wird abgeraten. Daten zur Anwendung bei schwangeren oder stillenden Frauen fehlen. Kontraindiziert ist Ezetimibe auch bei Kindern unter 10 Jahren (mangels entsprechender Dokumentation) und bei mittelschwerer bis schwerer Leberinsuffizienz. Bei Abgabe einer grossen Packung (98 Tabletten) entstehen durch die Behandlung Kosten von monatlich CHF 67.15. Eine Statinbehandlung, die das LDL-Cholesterin ungefähr doppelt so stark senkt, ist für die Hälfte dieses Preises zu haben (z.B. eine halbe Atorvastatin-Tablette zu 20 mg täglich für CHF 33.60).

Kommentar

Dass medikamentös die Resorption von Cholesterin direkt gehemmt werden kann, ist ein Novum und Ezetimibe damit im Gegensatz zu vielen anderen Neueinführungen wirklich eine neue Therapieoption. Die so erzielte Senkung des LDL-Cholesterins beträgt etwa die Hälfte der Senkung, die mit einem Statin in üblicher Dosis erreicht werden kann. Nur schon deshalb macht eine Monotherapie mit Ezetimibe kaum Sinn. Weiter bleibt zu bedenken, dass für die neue Substanz bisher weder ein Nutzen bezüglich harter Endpunkte noch eine gute Verträglichkeit bei längerer Einnahme belegt wurde. Ein Einsatz von Ezetimibe kommt heute ausserhalb von Studien am ehesten in Betracht bei stark erhöhten LDL-Cholesterinwerten trotz hochdosierter Statintherapie, wie sie vor allem bei familiären Hypercholesterinämien beobachtet werden.

Standpunkte und Meinungen

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Ezetimibe (16. März 2003)
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pharma-kritik, 24/No. 17
PK69
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