Flugreisen und Venenthrombosen

Langanhaltendes Stillsitzen, wie es besonders bei Flugreisen vorkommt, kann das Risiko einer tiefen Venenthrombose und einer Lungenembolie erhöhen. Die Zeitschrift «Australian Prescriber» enthält in ihrem Heft vom Dezember 2009 zu diesem Thema eine Übersicht,(1) die hier kurz zusammengefasst wird.

Risiko für Gesunde

Das Risiko einer Thrombose oder einer Lungenembolie hängt von folgenden Umständen ab: Dauer des Fluges – lang andauernde Immobilisierung – Behinderung des venösen Rückflusses aus den Beinvenen – Verminderung des Blutflusses als Folge der Dehydratation während des Fluges. Reisende haben daneben eventuell individuelle Risikofaktoren wie z.B. die Verwendung oraler Kontrazeptiva oder eine Thrombose in der Vorgeschichte.
In einer grossen Studie wurde gezielt danach gesucht, ob einzelne Merkmale ein signifikant erhöhtes Risiko bedeuten. Flugreisen, die weniger als 4 Stunden (entsprechend etwa 4000 km) dauern, erhöhen das Risiko einer Thromboembolie praktisch nicht. Eine längere Flugdauer ist mit zunehmendem Thromboembolie-Risiko verbunden. Aber auch bei länger dauernden Flügen wird nur bei 1 von ungefähr 4500 gesunden Passagieren eine Thrombose (oder Embolie) manifest. Meistens ist eine solche Komplikation schon sofort und kurz nach dem Flug symptomatisch. 2 bis 4 Wochen nach einem Langstreckenflug entspricht das Risiko wieder demjenigen von Personen, die nicht geflogen sind.(2)

Auch gesunde Menschen können Risikofaktoren aufweisen, die für ein thromboembolisches Ereignis prädisponieren. Allgemein haben Frauen ein etwas höheres Risiko als Männer. Sitzen Gesunde während 4 Stunden unverändert in einem Flugzeugsitz, so lassen sich bereits Beinödeme beobachten. Bei übergewichtigen und relativ kleinen Personen ist damit zu rechnen, dass der venöse Rückfluss im Sitzen stärker als bei anderen Leuten beeinträchtigt ist. Da das Thromboembolie-Risiko vom Stillsitzen abhängt, ist es wohl nicht nur bei Flugreisen, sondern auch bei langen Busreisen u.ä. erhöht.

Bei gesunden und kranken Menschen bedeutsame Faktoren, die das Thromboembolie-Risiko bei Langstreckenflügen erhöhen, sind in der Tabelle 1 zusammengestellt.

Die Pille

Orale Kontrazeptiva erhöhen das Thromboembolie-Risiko generell. Präparate der neueren «Generationen» sind in dieser Hinsicht eher problematischer als die älteren Levonorgestrel-haltigen Präparate.(3) Kontrazeptiva, die nur Gestagene enthalten, haben ein geringeres Thromboembolie-Risiko. In jedem Fall dauert es nach dem Absetzen einer kombinierten Östrogen-Gestagen-Pille etwa 2 bis 3 Monate, bis das erhöhte Risiko verschwunden ist.

Prophylaxe für Personen mit geringem Risiko

Schlaf und Hindernisse im Mittelgang verunmöglichen oft ein regelmässiges Aufstehen und Herumgehen (Aktivitäten, die grundsätzlich einer Stauung in den Beinen entgegenwirken).  Gemäss einer Studie belebt nach längerem Stillsitzen eine starke Flexion der Sprunggelenke gegen einen Widerstand den venösen Rückfluss in den Beinen. Der Nutzen anderer Massnahmen, die teilweise von den Fluggesellschaften empfohlen werden (reichliche Flüssigkeitszufuhr, Bewegungsübungen, Kompressionsstrümpfe) ist bisher nicht gesichert.(4) Plättchenhemmer und Antikoagulantien sind bei Personen mit einem geringen Thromboserisiko nicht indiziert.

Reisende mit höherem Risiko

Die in der Tabelle 1 genannten Faktoren sind grundsätzlich dieselben, die auch unter anderen Umständen – ohne eine Reise – ein erhöhtes Thromboserisiko darstellen. Viele Fälle treten bei Personen auf, die primär nur ein mässig erhöhtes Risiko aufweisen.(5) Als hohe Risiken müssen die Vorgeschichte einer Thrombose, eine aktive Krebserkrankung und eine Herzinsuffizienz bezeichnet werden. Individuen, die eine vererbte Gerinnungsstörung (z.B. eine Faktor-V-Leiden-Mutation) aufweisen, gehören ebenfalls zu denjenigen mit erhöhtem Risiko. Anderseits ist im Hinblick auf eine Flugreise ein generelles Screening bei Gesunden, die bisher keine Thrombose gehabt haben, nicht sinnvoll. Eine  entsprechende Untersuchung kann erwogen werden, wenn eine eindeutige Familienanamnese von Thrombosen vorhanden ist oder bei Frauen unter oralen Kontrazeptiva.

Prophylaxe für Personen mit höherem Risiko

Bei Personen mit einem erhöhten Risiko muss für die risikoreiche Zeitperiode eines Langstreckenflugs grundsätzlich eine Antikoagulation in Betracht gezogen werden. In den Wochen nach einem orthopädischen Eingriff an den unteren Extremitäten ist dies besonders wichtig. Obwohl die Antikoagulation auch mit oralen Medikamenten durchgeführt werden kann, empfiehlt sich in der Regel die Injektion eines niedermolekularen Heparins kurz vor dem Flug (wie dies auch in der Schweiz üblich ist). Dabei soll dieselbe Dosis wie bei anderen Hochrisiko-Situationen verwendet werden (z.B. Dalteparin [Fragmin®] 5000 E).

Standpunkte und Meinungen

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Flugreisen und Venenthrombosen (10. Mai 2010)
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pharma-kritik, 31/No. 16
PK713
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