Sartane und Krebs

In den Studien des CHARM-Programms wurde untersucht, ob sich Candesartan (Atacand®, Blopress®) bei Personen mit chronischer Herzinsuffizienz vorteilhaft auf die Prognose auswirke. Es fand sich eine geringere Mortalität in den Candesartangruppen als in den Vergleichsgruppen, die Krebssterblichkeit war jedoch gesamthaft unter Candesartan höher (2,3% gegenüber 1,6% unter Placebo).(1) Dieser Unterschied, der von den Studienverantwortlichen des CHARM-Programms als Zufallsergebnis bezeichnet wurde, gab Anlass zu einer Meta-Analyse, in der das Krebsrisiko unter Angiotensin-Rezeptorantagonisten (Sartanen) untersucht wurde.

In dieser Meta-Analyse wurden fünf Sartan-Studien mit einer Beobachtungszeit von mindestens 1 Jahr berücksichtigt, in denen neue Fälle von Krebserkrankungen erfasst worden waren. Es handelte sich überwiegend um Studien, in denen Telmisartan (Kinzal®, Micardis®) geprüft worden war; nur 14,3% der aktiv Behandelten hatten ein anderes Sartan, nämlich Candesartan oder Losartan (Cosaar® u.a.) erhalten. Gemäss den im Juni 2010 veröffentlichten Resultaten erkrankten 7,2% der mit einem Sartan behandelten Personen neu an einem Krebs, während dies (signifikant weniger) nur für 6,0% der Personen in den Kontrollgruppen der Fall war. Zahlen zu Krebstodesfällen fanden sich in acht Studien; hier ergab die Meta-Analyse jedoch keinen signifikanten Unterschied zwischen den Sartan- und den Kontrollgruppen.(2) 

Trotz mannigfachen Vorbehalten gegenüber dieser Meta-Analyse kam die Fachwelt zum Schluss, dass das Krebsrisiko der Sartane genauer geklärt werden sollte. Schon im Juli 2010 veröffentlichte die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) eine Mitteilung, wonach sie dieses Risiko genauer untersuche, jedoch der Meinung sei, die Vorteile der Sartane wären nach aktuellem Wissen grösser als ihre möglichen Nachteile.(3) Eine ähnliche Untersuchung wird auch von den europäischen Behörden (EMA) vorgenommen. Zur Zeit (d.h. im  März 2011) liegen aber noch keine Resultate dieser Untersuchungen vor.

Neuerdings ist jedoch eine weitere Arbeit erschienen, in der das Krebsrisiko verschiedener Antihypertensiva mittels Meta-Analysen untersucht wurde. 70 randomisierte Vergleichsstudien wurden hinsichtlich Krebsinzidenz und Krebsmortalität untersucht; in den meisten dieser Studien war das Auftreten von Krebs allerdings kein prospektiv definierter Endpunkt. In dieser Arbeit, die auf verschiedenen, zum Teil recht komplexen Analysenvarianten beruht, fand sich ein erhöhtes Krebsrisiko für Personen, die mit der Kombination eines ACE-Hemmers und eines Sartans behandelt wurden. Für dieses Resultat ist fast ausschliesslich die ONTARGET-Studie verantwortlich, in der Telmisartan allein gegen Ramipril (Triatec® u.a.) bzw. gegen die Kombination von Ramipril und Telmisartan geprüft wurde. Ausserdem ergab sich auch für die Gruppe der Kalziumantagonisten ein geringfügig, aber statistisch signifikant erhöhtes Krebsrisiko. Für alle anderen separat geprüften Antihypertensiva – Sartane, ACE-Hemmer, Betablocker, Diuretika – konnte kein erhöhtes Krebsrisiko gefunden werden. Anhaltspunkte für eine Erhöhung der Krebsmortalität fanden sich für gar keine Antihypertensiva-Gruppe (auch nicht für die Sartan-ACE-Hemmer-Kombination).(4)

Kommentar

Unsorgfältige Meta-Analysen, deren Resultate zudem noch mit einer grob verallgemeinernden Interpretation verbunden werden, leisten uns einen sehr schlechten Dienst. Dies ist zweifellos mit der ersten der hier beschriebenen Publikationen geschehen. Abgesehen davon, dass diese Meta-Analyse kein signifikantes Krebsrisiko mehr hätte zeigen können, wenn z.B. auch die Daten der VALUE-Studie (mit Valsartan [Diovan®]) berücksichtigt worden wären, ist es ganz einfach nicht zulässig, aus Daten zu zwei Sartanen auf die ganze Gruppe zu schliessen. Mit dieser Publikation wurde in erster Linie etwas erreicht: uns in der Praxis zu verunsichern. Erreicht wurde auch, dass sich die Fachleute trefflich streiten können. Da sind einerseits die Sartan-Protagonisten, die unter anderem damit argumentieren, eine kanzerogene Wirkung der Sartane sei «biologisch nicht plausibel» – was weitgehend belanglos ist, da unerwünschte Wirkungen längst nicht immer biologisch plausibel sind. Anderseits war die Arbeit Wasser auf die Mühle der Ewigklugen, die glücklich darüber sind, ein weiteres Argument gegen die Sartane gefunden zu haben.

Nun hat aber auch die zweite Meta-Analyse ein erhöhtes Krebsrisiko gefunden, und zwar für die Kombination ACE-Hemmer + Sartan, wobei auch hier präzisiert werden muss, dass es eigentlich ausschliesslich um die Kombination von Ramipril und Telmisartan (ONTARGET-Studie) geht. (Ausserhalb der aktuellen Diskussion zu den Sartanen steht noch die Möglichkeit einer kanzerogenen Wirkung der Kalziumantagonisten.) Die Kombination von ACE-Hemmern und Sartanen ist bekanntlich auch sonst nicht unproblematisch.(5) In der ONTARGET-Studie wurden ja unter der Kombination auch vermehrt Hypotonien, Synkopen und Nierenfunktionsstörungen beobachtet.(6)

Zusammenfassend: Was das Krebsrisiko anbelangt, kann vorderhand gegen die Verschreibung von Sartanen (ohne ACE-Hemmer) nichts eingewendet werden. Die Kombination von Ramipril und Telmisartan wird wahrscheinlich besser vermieden. Es sind jedoch nicht genügend Daten vorhanden, dass sich diese Aussage auf alle Kombinationen von ACE-Hemmern mit Sartanen verallgemeinern liesse.

Standpunkte und Meinungen

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Sartane und Krebs (21. März 2011)
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pharma-kritik, 32/No. 12
PK801
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