Degarelix

Degarelix (Firmagon®) wird zur hormonellen Therapie des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms empfohlen.

Chemie/Pharmakologie

Degarelix, ein synthetisches Dekapeptid, wirkt als Antagonist von Gonadorelin («Gonadotropin Releasing Hormone», GnRH). Andere Vertreter dieser Substanzgruppe sind Abarelix, das lediglich in Deutschland erhältlich ist, sowie Cetrorelix (Cetrotide®) und Ganirelix (Orgalutran®), die nur in der Reproduktionsmedizin verwendet werden.

GnRH-Antagonisten binden sich kompetitiv an die entsprechenden Rezeptoren im Hypophysenvorderlappen und führen zu einer verminderten Sekretion des luteinisierenden (LH) und des follikelstimulierenden Hormons (FSH), was sekundär mit einer verminderten Produktion von Testosteron einhergeht. Sie zeigen somit einen ähnlichen Effekt wie die GnRH-Agonisten Buserelin (Suprefact®), Goserelin (Zoladex® u.a.), Leuprorelin (Eligard® u.a.), Triptorelin (Decapeptyl® u.a.). Allerdings sind GnRH-Agonisten zu Beginn der Behandlung von einem Anstieg des Testosteronspiegels begleitet, was unter Umständen die vorübergehende Gabe eines Antiandrogens wie Bicalutamid (Casodex® u.a.) erfordert. Bei Degarelix dagegen findet die Unterdrückung der Testosteronbildung bereits nach der ersten Verabreichung statt, so dass der Testosteronspiegel innerhalb weniger Tage markant absinkt.(1-3)

Pharmakokinetik

Degarelix wird subkutan verabreicht. Dabei bildet sich ein gelartiges Depot, aus dem der Wirkstoff in zwei Phasen, zuerst rasch und dann langsamer, freigesetzt wird. Die Geschwindigkeit der Freisetzung hängt auch von der injizierten Dosis bzw. Konzentration ab: mit steigender Konzentration sinken biologische Verfügbarkeit und Plasmaspitzenkonzentration, gleichzeitig verlängert sich die scheinbare terminale Halbwertszeit.(1)

Die maximale Plasmakonzentration ist nach durchschnittlich 40 Stunden erreicht. Die biologische Verfügbarkeit wird mit 30 bis 40% angegeben. Der Abbau von Degarelix erfolgt grossenteils via Peptidspaltung, wobei die Fragmente mit dem Stuhl ausgeschieden werden. 20 bis 30% der Dosis werden unverändert renal eliminiert. Die scheinbare Halbwertszeit beträgt 43 Tage nach der (höheren) Initialdosis und 28 Tage nach der (niedrigeren) Erhaltungsdosis (Medianwerte). Bei Leber- und Niereninsuffizienz ist, solange die Einschränkung der Organfunktion leicht- bis mässiggradig ausfällt, keine relevante Veränderung der Pharmakokinetik zu erwarten.(3,4)

Klinische Studien

In die klinischen Studien wurden Männer mit einem Prostatakarzinom aufgenommen, bei denen wegen Fortschreitens des Tumors (erneuter PSA-Anstieg nach einer Erstbehandlung, Metastasierung) eine hormonelle Behandlung angeraten erschien. Alle Untersuchungen wurden randomisiert, jedoch unverblindet durchgeführt. Zur Beurteilung der Wirksamkeit orientierte man sich am Testosteronspiegel, indem der Anteil der Patienten, bei denen er bei allen Messungen unter 1,7 nmol/l (50 ng/dl) lag, jeweils den primären Endpunkt bildete. Diese Grenze, das sogenannte Kastrationsniveau, gilt als akzeptierter Surrogatmarker.

In zwei Dosisfindungsstudien, die sich über ein Jahr erstreckten, wurden verschiedene Dosierungsschemen untersucht. In der ersten Studie (n = 147) erhielten die Patienten eine Initialdosis von 200 oder 240 mg; innerhalb dieser beiden Gruppen wurde danach vierwöchentlich eine Erhaltungsdosis von 80, 120 oder 160 mg verabreicht.(5) In der zweiten Studie (n = 87) betrug die Initialdosis 200 mg, die Erhaltungsdosis 60 oder 80 mg.(6) Das aus diesen beiden Studien gezogene Fazit lautete, dass als Initialdosis 240 mg etwas wirksamer sind als 200 mg, bei der Erhaltungsdosis im Bereich von 80 bis 160 g indessen kein eindeutiger Unterschied besteht.

Die Hauptstudie fand bei 610 Männern statt, die man auf drei Gruppen verteilte und ein Jahr lang behandelte. In zwei Gruppen wurde Degarelix verabreicht (Initialdosis von 240 mg und monatliche Erhaltungsdosis von 80 oder 160 mg), in der dritten Leuprorelin (monatlich 7,5 mg); in der Leuprorelin-Gruppe konnte nach ärztlichem Ermessen Bicalutamid (50 mg/Tag) eingesetzt werden, um den initialen Anstieg der Testosteronkonzentration zu verhindern; von dieser Möglichkeit wurde bei 11% Gebrauch gemacht. Eine durch­gängige Reduktion des Testosteronspiegels unter 1,7 nmol/l gelang mit der niedrigeren Degarelix-Erhaltungsdosis bei 97% der Patienten, mit der höheren bei 99% und mit Leuprorelin bei 96%. Erwartungsgemäss trat die Wirkung von Degarelix rascher ein als bei Leuprorelin: der Medianwert des Testosteronspiegels sank bei Degarelix innerhalb von drei Tagen unter den angestrebten Zielwert, während es bei Leuprorelin einen Monat dauerte. Die Wahrscheinlichkeit eines sogenannten PSA-Versagens – ein Anstieg des PSA-Spiegels über 50% des Tiefstwertes und auf mindestens 5 mcg/l – betrug bei der niedrigeren Degarelix-Erhaltungsdosis 9%, bei der höheren und bei Leuprorelid je 14%.(7) Als 1-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit errechnete man für die beiden Degarelix-Gruppen rund 97%, für die Leuprorelin-Gruppe 95%, was keinen signifikanten Unterschied bedeutete (8) (wobei davon auszugehen ist, dass die Studie zu wenig «Power» besass, um diese Frage exakt zu lösen).

Unerwünschte Wirkungen

Etwa 40% der mit Degarelix behandelten Männer waren von Lokalreaktionen an der Injektionsstelle (Schmerzen, Rötung, Juckreiz) betroffen. Ferner wurde über Hitzewallungen, Fieber, Schüttelfrost, Müdigkeit, Gewichtszunahme, Rücken- und Gelenkschmerzen, Nasopharyngitis, Schwindel, Stuhlunregelmässigkeiten und Transaminasen-Anstieg berichtet. Wie bei jeglicher antiandrogenen Therapie ist damit zu rechnen, dass Degarelix zu Erektionsstörungen, Hodenatrophie, Gynäkomastie und Verminderung der Knochendichte führen kann. Es gibt auch Hinweise, dass eine längerfristige antiandrogene Behandlung das Diabetes- und Herzinfarkt-Risiko erhöhen könnte.

Bei 10% der Patienten, die ein Jahr lang behandelt worden waren, entwickelten sich Antikörper gegen Degarelix, jedoch ohne dass eine verminderte Wirkung beobachtet worden wäre.(3,4)

Im Vergleich mit Leuprorelin rief Degarelix häufiger Lokalreaktionen, Schüttelfrost und Leberenzymanstieg hervor, dagegen seltener muskuloskelettale Probleme und Erek­tionsstörungen.

Interaktionen

Weil eine antiandrogene Therapie das QT-Intervall verlängern kann, sollte man achtsam sein, wenn man Degarelix mit Medikamenten kombiniert, die diese Eigenschaft teilen (z.B. Amiodaron [Cordarone® u.a.]).

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Degarelix (Firmagon®) wird in Durchstechflaschen als Trockenpulver zu 80 und 120 mg angeboten und ist nach Herstellen der Lösung subkutan in die Bauchhaut zu spritzen. Die Anfangsdosis beträgt 240 mg, danach soll alle vier Wochen mit 80 mg fortgefahren werden. Das Medikament ist vorgesehen zur Behandlung des hormonabhängigen fortgeschrittenen Prostatakarzinoms; der Einsatz bei Frauen und Kindern ist kontraindiziert.

Degarelix ist kassenpflichtig. Die Initialdosis kostet CHF 515.80, die monatliche Erhaltungsdosis CHF 259.50. Mit den GnRH-Agonisten fällt die Behandlung mehrheitlich günstiger aus; am billigsten ist die Dreimonatsspritze von Leuprorelin als Generikum mit weniger als 140 Franken pro Monat.

Kommentar

Im Grossen und Ganzen kann man Degarelix gleich beurteilen wie GnRH-Agonisten, die heute bei der antiandrogenen Behandlung des progredienten Prostatakarzinoms im Vordergrund stehen. Dass Degarelix in Bezug auf «harte» Endpunkte wie Lebensqualität oder Überlebenszeit einen Gewinn versprechen würde, muss man momentan verneinen. Der einzige erkennbare Vorteil von Degarelix liegt darin, dass es einen praktisch unmittelbaren Abfall der Testosteronkonzentration bewirkt; das kann vor allem dann von Bedeutung sein, wenn sich das Fortschreiten des Tumors mit Komplikationen ankündigt, die keine Verzögerung des Androgenentzugs erlauben. Die Lokalreaktionen, die bei Degarelix ein überaus häufiges Problem zu sein scheinen, mögen zwar als relativ harmlos eingestuft werden – im klinischen Alltag könnten sie sich aber doch als bedeutsames Handicap erweisen.

Standpunkte und Meinungen

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Degarelix (31. Januar 2012)
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pharma-kritik, 33/No. 7
PK860
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