Statine bei alten Leuten
- Autor(en): Felix Schürch
- pharma-kritik-Jahrgang 35
, PK916, Online-Artikel
Redaktionsschluss: 2. Januar 2014
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2013.916
Sowohl das Alter als auch erhöhte Blutfettwerte sind Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen. Gegen den Lauf der Zeit sind wir machtlos, die Dyslipidämie hingegen können wir mit Statinen (HMG-CoA-Reduktasehemmer) günstig beeinflussen. Guidelines helfen beim Entscheid, unter welchen Umständen eine medikamentöse Behandlung der Dyslipidämie angezeigt ist – allerdings beschränken sich die entsprechenden Risikoscores in der Regel auf Personen unter 65 Jahren. (1)
Der Einsatz der Statine bei alten Leuten erfordert grundsätzliche Überlegungen und besondere Vorsichtsmassnahmen: Welchen Stellenwert hat der potentielle Nutzen einer Therapie mit Statinen in Anbetracht der verbleibenden Lebensjahre? Mit welchen Nebenwirkungen und Interaktionen muss bei polymorbiden Menschen gerechnet werden? Lohnt es sich für einen hochbetagten Kranken lästige Nebenwirkungen wie Blähungen und Muskelschmerzen in Kauf zu nehmen, wo doch die Lebensuhr – der alles dominierende «Risikofaktor» beim alten Menschen – unaufhaltsam weiter tickt?
Eine australische Übersicht
Eine Übersicht im «Australian Prescriber» stellt den aktuellen Wissensstand zum Einsatz von Statinen im Alter dar. (2) Der Artikel in der Ausgabe vom Juni 2013 dieser unabhängigen Zeitschrift verweist zunächst auf die Studien zur Wirkung der Statine, um dann auf die Nebenwirkungen und die Folgerungen für den Einsatz in der Praxis einzugehen.
In Australien werden über 40% der Menschen über 65 Jahren mit einem Statin behandelt. Der Nutzen der Statine ist am besten ausgewiesen bei Personen mit einer bestehenden koronaren Herzkrankheit. Eine Meta-Analyse bei dieser Gruppe im Alter von 65 bis 82 zeigte, dass die Gesamtmortalität mit Statinen gegenüber Placebo gesenkt wird; 28 Personen müssen über fünf Jahre behandelt werden, um ein Leben zu retten. (3) Der Nutzen der Primärprävention mit Statinen bei alten Menschen hingegen ist unklar. Hinsichtlich Sekundärprävention eines Hirnschlages zeigt es sich, dass ischämische Insulte verhindert werden, die hämorrhagischen Insulte jedoch tendenziell häufiger sind.
Der Einfluss der Statine auf die Entwicklung des Allgemeinzustandes, auf die kognitiven Funktionen und auf die Pflegebedürftigkeit von alten Menschen wurde ebenfalls untersucht. Die Anzahl der Studien zu diesen Fragen ist beschränkt und ihre Resultate sind widersprüchlich. Praktisch von Bedeutung ist die Erkenntnis, dass mit einer kleinen Dosis eines Statins bei älteren Menschen bereits eine deutliche Reduktion der Lipide erreicht wird: Die Hälfte der Maximaldosis eines Statins bringt bereits 80% des möglichen Effekts. Und die Senkung des LDL-Cholesterins ist weniger zwingend, da die schädlichen Folgen des LDL bezüglich koronarer Herzkrankheit beim alten Menschen weniger ausgeprägt sind.
Die wichtigsten Nebenwirkungen der Statine sind bekannt, sie wurden in der pharma-kritik bereits thematisiert.(4) Im Vordergrund stehen die Nebenwirkungen von Seiten der Muskulatur, von leichten Muskelschmerzen bis zur gefährlichen Rhabdomyolyse, sowie die Erhöhung der Leberenzyme, ein erhöhtes Risiko für Diabetes und gastrointestinale Beschwerden. Bei älteren Leuten besteht ein höheres Risiko von Nebenwirkungen, bedingt durch eingeschränkte Leber- und Nierenfunktion, eine allgemein verminderte Muskelmasse, durch Polypharmazie und durch interkurrente Erkrankungen. Symptome von Seiten der Muskulatur sind häufig und treten dosisabhängig auf. Eine Myalgie wurde bei 5-10% der Patienten in klinischen Studien beobachtet, dabei waren im Labor keine Veränderungen der Kreatinkinase (CK) messbar. Eine Myositis mit Erhöhung der CK oder eine Rhabdomyolyse mit Myoglobinurie und gestörter Nierenfunktion müssen rechtzeitig erkannt werden.
Bei den Interaktionen ist das Gemfibrozil (Gevilon®) zu erwähnen, das Fibrat zur Lipidsenkung, das am häufigsten in Verbindung gebracht wird mit einer Statin-induzierten Myopathie. CYP3A4-Hemmer wie Amiodaron (Cordarone® u.a.) oder Antibiotika aus der Gruppe der Makrolide erhöhen das Risiko von Statin-Nebenwirkungen ebenfalls.
Wann sollen die Statine abgesetzt werden?
Ein Spitalaustritt oder die Platzierung in einer Pflegeinstitution sind nur zwei Beispiele für Gelegenheiten, bei denen die weitere Gabe von Statinen bei einem alten Menschen neu evaluiert werden sollte. Die Statine sollten abgesetzt werden, wenn der potentielle Benefit nicht mehr klinisch relevant ist. Schwerwiegende Nebenwirkungen von Seiten der Muskulatur oder der Leber sind ebenso ein Grund, die Behandlung zu stoppen wie der Einsatz von Medikamenten, welche mit den Statinen interagieren. Bei alten Menschen mit Muskelschmerzen, erhöhten Leberwerten, chronischer Müdigkeit oder kognitiven Defiziten sollte auf Statine verzichtet werden. Beim Entscheid für eine medikamentöse Behandlung der Dyslipidämie sind Evidenz-basierte Algorithmen nützlich – beim Entscheid, diese Medikamente abzusetzen, ist der behandelnde Arzt auf sich selbst angewiesen: auf seine Kenntnisse der Pharmakologie, auf das Gesamtbild von seinem Patienten oder seiner Patientin und auf eine Portion gesunden Menschenverstand.
Zusammengefasst und ergänzt von Felix Schürch
Literatur
- 1) Schweiz. Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA), Pocketguide 2012
- 2) Hilmer S. Aust Prescr 2013; 36: 79-82
- 3) Afilalo J. et al. J Am Coll Cardiol 2008; 51: 37-45
- 4) Gysling E. pharma-kritik 2011; 33: 37-8
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