Nebenwirkungen aktuell

FLUOROCHINOLONE

Mit Fluorochinolonen, die sich durch ein breites antibakterielles Spektrum und eine gute Gewebegängigkeit auszeichnen, lassen sich Infekte des Urogenitalsystems, des Magen-Darm-Trakts, der Haut, des Knochens und der Atemwege behandeln. Allerdings können sich gegenüber Fluorochinolonen rasch auch Resistenzen entwickeln. 

Informationen zu Fluorochinolonen:



Markennamen: Norfloxacin = Noroxin® u.a., Ciprofloxacin = Ciproxin® u.a., Levofloxacin = Tavanic® u.a., Moxifloxacin = Avalox®, Ofloxacin = Tarivid®

Akute Niereninsuffizienz

Da es Berichte gibt, die eine akute Niereninsuffizienz unter Fluorochinolonen beschreiben, wurde dieses Problem in einer Fall-Kontroll-Studie aufgegriffen. Als Fälle dienten 1292änner im Alter von 4085Jahren, die mit der Diagnose einer akuten Niereninsuffizienz hospitalisiert worden waren. Die Kontrollgruppe bildeten Männer mit einer anderen Spitaleintrittsdiagnose.
Es zeigte sich, dass die Fallgruppe signifikant mehr Patienten umfasste, die in der Woche vor dem Spitaleintritt ein orales Fluorochinolon verwendet hatten (zu fast 90% handelte es sich um Ciprofloxacin und Levofloxacin); im Vergleich zur Kontrollgruppe wurde eine «rate ratio» (RR) von 2,2 berechnet (95%-Vertrauensintervall 1,7–2,7). Dies entspricht einem Fall einer akuten Niereninsuffizienz pro 1529, die ein Fluorochinolon einnehmen. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass Fluorochinolone unter anderem für urogenitale Infekte verschrieben wurden (was per se mit einer Verschlechterung der Nierenfunktion einhergehen könnte), wurde dieses Bild nicht wesentlich verändert. Nochmals um einen Faktor zwei heraufgesetzt war das Risiko einer akuten Niereninsuffizienz, wenn Fluorochinolone mit einem ACE-Hemmer oder einem Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten (Sartan) kombiniert waren.
Kein erhöhtes Risiko liess sich ableiten, wenn die Fluorochinolon-Einnahme weiter als eine Woche zurücklag. Ebenfalls kein erhöhtes Risiko ergab sich für Amoxicillin (Clamoxyl®.a.) und Azithromycin (Zithromax®.a.), zwei Antibiotika, die man zur Kontrolle in die Analyse miteinbezogen hatte.
 

Netzhautablösung

In einer kanadischen Fall-Kontroll-Studie stellte man 4384älle einer Netzhautablösung einer Kontrollgruppe gegenüber. Die von einer Netzhautablösung betroffenen Personen standen signifikant häufiger unter einer Behandlung mit einem Fluorochinolon, was durch eine «rate ratio» von 4,5 (95%-Vertrauensintervall 3,6–5,7) ausgedrückt wurde. Aufgrund der absoluten Fallzahl muss in einem Jahr mit einem Fall von Netzhautablösung gerechnet werden, wenn 2500 Personen systemisch mit einem Fluorochinolon behandelt werden. (Fluorochinolon-haltige ophthalmologische Präparate waren von der Analyse ausgeschlossen worden.)


In einer retrospektiven Untersuchung wurden zwei Gruppen verglichen, die beide knapp 180’000umfassten: der ersten Gruppe teilte man Leute zu, die ein Fluorochinolon erhalten hatten, der zweiten solche, denen man Amoxicillin verschrieben hatte (das als «neutrale» Kontrollsubstanz eingestuft wurde). Erfasst wurden Fälle von rhegmatogener (rissbedingter) Netzhautablösung, die sich in den beiden Gruppen über einen Zeitraum von 90ereignet hatten. Unter Fluorochinolonen betrug die Häufigkeit 0,54‰, unter Amoxicillin 0,26‰; dies entsprach einer «hazard ratio» (HR) von 2,1 (95%-Vertrauensintervall 1,5–3,0).


Zu einem weniger klaren Resultat kam eine in Dänemark durchgeführte Studie, in der alle Fluorochinolon-Verschreibungen zusammengestellt worden waren, die in der Gesamtbevölkerung des Landes stattgefunden hatten. Daraus ergaben sich über einen Zeitraum von 15knapp 750’000«Episoden» von Fluorochinolon-Verabreichungen. Zum Vergleich dienten rund 5,5Millionen Kontroll-«Epi¬soden», in denen kein Fluorochinolon eingenommen worden war. In der Fluorochinolon-Gruppe traten 72älle von Netzhautablösungen auf, in der Kontrollgruppe 494. Für Leute, bei denen der Start der Fluorochinolon-Behandlung 110Tage zurückgelegen hatte, als sich die Netzhautablösung ereignete («current use»), bedeutete dies eine – nicht-signifikante – Erhöhung der «rate ratio» um einen Faktor 1,3 (95%-Vertrauensintervall 0,5–3,1); dies entspricht einer absoluten Zunahme von 1,5ällen einer Netzhautablösungen pro Million Fluorochinolon-Verschreibungen. Auch für Personen, bei denen sich die Fluorochinolon-Einnahme weiter in der Vergangenheit bewegte, konnte kein signifikant erhöhtes Risiko für eine Netzhautablösung dokumentiert werden.


Verschlechterung einer Myasthenie

Es existieren sowohl Fallberichte als auch den Arzneimittelbehörden zur Verfügung stehende Spontanmeldungen, in denen unter einer Fluorochinolon-Behandlung eine Verschlechterung oder ein Neuauftreten einer Myasthenia gravis geschildert wird. Der FDA zugehörige Autoren haben dies in einem Übersichtsartikel zusammengestellt, der sich auf insgesamt 37älle berufen kann.

Am häufigstens äusserte sich die Myasthenie mit Dyspnoe oder mit Muskelschwäche und Müdigkeit; andere Symptome waren Dysphagie, Doppelbilder und Ptose. In rund zwei Dritteln der Fälle war eine Hospitalisation nötig; 2starben. Im Median traten die Symptome 12nach Beginn der Fluorochinolon-Behandlung auf. Mehrheitlich besserten sie sich wieder, nachdem das Fluorochinolon gestoppt und eine Behandlung zum Beispiel mit Acetylcholinesterase-Hemmern oder Kortikosteroiden eingesetzt worden war. Ein positiver «Rechallenge» wurde in 6ällen vermerkt.


Hyper- und Hypoglykämien bei Diabeteskranken

In einer Kohortenstudie in Taiwan untersuchte man bei ungefähr 78’000und über eine Beobachtungszeit von knapp 2, wie häufig unter verschiedenen Antibiotika Blutzuckerentgleisungen vorkamen. Das Risiko einer Hyperglykämie betrug bei Ciprofloxacin 4,0‰, bei Levofloxacin 3,9‰, bei Moxifloxacin 6,9‰, bei Makroliden 1,6‰ und bei Cephalosporinen 2,1‰; das Risiko einer Hypoglykämie wurde für Ciprofloxacin mit 7,9‰ angegeben, für Levofloxacin mit 9,3%, für Moxifloxacin mit 10,0‰, für Makrolide mit 3,7‰ und für Cephalosporine mit 3,2‰. Setzte man für die Makrolide eine «odds ratio» (OR) von 1 ein, liess sich für die Fluorochinolone sowohl bei den Hyper- wie bei den Hypoglykämien eine signifikante Zunahme der Häufigkeit ableiten.


Dass mit Fluorochinolonen ein restriktiverer Umgang geboten wäre, ergibt sich nicht nur aufgrund der Resistenzprobleme, auf die allenthalben hingewiesen wird. Sondern es offenbaren sich auch zunehmend folgenschwere Nebenwirkungen, die mit der Anwendung von Fluorochinolonen verbunden sind. Vor fünf Jahren wurde durch die FDA eine «Black-Box»-Warnung angeordnet, mit der das Risiko von Sehnenentzündungen und -rupturen hervorgehoben wird. Auch neurologische und psychiatrische Nebenwirkungen scheinen nicht ganz selten zu sein. Offensichtlich gehen von Fluorochinolonen noch andere Gefahren aus, die ernst zu nehmen sind. (UM)

INTRAVENÖSES EISEN

Intravenös verabreichbares Eisen, das in Form von Polysaccharid-Komplexen zur Verfügung steht, wird zur Behandlung von Eisenmangelzuständen propagiert. Während die Behandlung mit Eisen unumstritten ist, wenn bereits eine Anämie vorliegt, und die intravenöse Verabreichung eine rasche Korrektur ermöglicht, ist der Nutzen weniger klar definiert, wenn die Eisengabe lediglich durch einen erniedrigten Ferritin-Spiegel oder durch Müdigkeit und andere unspezifische Symptome begründet wird.

Übersichten zur intravenösen Eisenbehandlung:




Markennamen: Eisencarboxymaltose = Ferinject®, Eisensaccharose = Venofer®, Ferumoxytol = Rienso®

Überempfindlichkeitsreaktionen und Vorsichtsmassnahmen

Im Sommer 2013 hat die europäische Arzneimittelbehörde EMA eine Mitteilung verfasst, die nochmals betont, dass alle intravenös verabreichten Eisenpräparate Überempfindlichkeitsreaktionen hervorzurufen vermögen, die potentiell auch zum Tode führen können. Bei Personen, die an einer atopischen Erkrankung (Asthma, Ekzeme u.a.) oder an einer Autoimmunerkrankung (rheumatoide Arthritis, Lupus erythematodes) leiden, ist von einem erhöhten Risiko auszugehen. Da Überempfindlichkeitsreaktionen auch auftreten können, wenn eine sogenannte Testdosis negativ ausfiel, werden solche Testdosen nicht mehr empfohlen. Stattdessen verdiene jede (erneute) Eisenverabreichung identische Vorsichtsmassnahmen, selbst wenn vorhergegangene Gaben problemlos abgelaufen sind. In der Schwangerschaft sollte Eisen intravenös nur unter strenger Indikation und nicht vor dem 2.verabreicht werden. Personen, die intravenös Eisen bekommen, sollen während und mindestens 30nach der Verabreichung unter Beobachtung gehalten werden, wobei gewährleistet sein muss, dass eine anaphylaktische Reaktion behandelt oder eine Reanimation durchgeführt werden kann.


Eiseninfusionen erleben Hochkonjunktur: wer kennt keine Frau im menstruationsfähigen Alter, die sich einer intravenösen Eisenbehandlung unterzogen hat, um einen grenzwertigen Ferritinspiegel oder unspezifische Alltagssymptome behandeln zu lassen? In dieser «Euphorie» ist beinahe verschwunden, dass jegliche intravenöse Eisengabe – selbst wenn man die neueren Präparate als weniger gefährlich einstufen kann – mit dem Risiko von Überempfindlichkeitsreaktionen behaftet bleibt. Auch darf man sich nicht auf die Devise «einmal gut, immer gut» verlassen, sondern hat bei jeder Wiederholung einer Eisenverabreichung in Betracht zu ziehen, dass eine Überempfindlichkeitsreaktion auftreten kann. (UM)

TAMSULOSIN

Tamsulosin ist ein Alpharezeptoren-Blocker, der zur Behandlung von Harnwegssymptomen bei benigner Prostatahyperplasie eingesetzt wird. Die Substanz hat sich mehr oder weniger als Standard für diese Indikation etabliert und gilt als grundsätzlich gut verträglich.

Übersichten zum Thema:




Markennamen : Omix®, Pradif® und Generika

Hypotonie

Unter Verwendung einer grossen Datenbank (IMS Lifelink) wurde in einer retrospektiven Kohortenstudie untersucht, welcher Zusammenhang zwischen einer Behandlung mit Tamsulosin und einer Hospitalisation wegen Hypotonie vorhanden sei. Dabei wurden Hospitalisationen in den ersten 12 Wochen nach Beginn oder Wiederbeginn einer Tamsulosin-Therapie erfasst, und zwar in drei vierwöchigen Abschnitten. Neben Patienten unter Tamsulosin wurden auch solche berücksichtigt, die einen 5-alpha-Reduktasehemmer wie z.B. Finasterid (Proscar® u.a.) erhielten. Ausserdem wurden Hypotonie-Episoden, die im späteren Verlauf einer langfristigen Therapie auftraten, registriert. Für Leute, die mit Tamsulosin behandelt wurden, fanden sich 42 solcher Ereignisse auf 10'000 Patientenjahre, deutlich mehr als für diejenigen, die einen 5-alpha-Reduktasehemmer nahmen (31 Ereignisse). Hypotonien, die zur Hospitalisation führten, waren besonders in den ersten vier Wochen nach Therapiebeginn gehäuft, weniger in den folgenden vier Wochen und später nicht mehr.


«Floppy Iris»

Tamsulosin ist wohl das Medikament, das am häufigsten zu einem intraoperativen «Floppy-Iris»-Syndrom (IFIS) führt. Diese Komplikation, beschrieben seit 2005, tritt während Kataraktoperationen auf und kann verschieden stark ausgeprägt sein. Die Iris kann sich «aufbauschen», sich an die Spitze des Phakoemulsionsgeräts anlegen oder auch in die Operationsinzisionen prolabieren. Die für die Kataraktoperation notwendige Pupillenerweiterung ist gestört. Diese Anomalien beruhen auf der Tatsache, dass die Iris – wie die Prostata – überwiegend adrenerge Alpha(1)-Rezeptoren enthält und diese von Tamsulosin besonders stark gehemmt werden. Tamsulosin hat nach aktuellem Wissen eine lange Verweildauer im Kammerwasser; es konnte dort noch 4 Wochen nach dem Absetzen des Medikaments nachgewiesen werden. Noch problematischer erscheint, dass unter der Einwirkung von Tamsulosin der M. dilatator pupillae möglicherweise bleibend geschädigt wird.

Das IFIS kann den Operationserfolg beeinträchtigen und z.B. zu einer hinteren Kapselruptur und allenfalls zum Verlust des Glaskörpers führen. Die Inzidenz eines IFIS unter Tamsulosin wird – mindestens teilweise in Abhängigkeit von der operierenden Person – recht unterschiedlich eingeschätzt, zwischen 40 und 90%. Anhand des präoperativen Pupillendurchmessers kann das Risiko eines IFIS einigermassen abgeschätzt werden.

Das Medikament wurde in verschiedenen Studien bezüglich IFIS mit anderen Alpha-Rezeptorenblockern und weiteren Medikamenten verglichen. Das IFIS tritt auch unter anderen Alpha-Blockern auf, jedoch weniger häufig. Gemäss einer Studie fand sich das IFIS auch bei Patienten, die chronisch mit oralen Antidiabetika, Acetylsalicylsäure oder Losartan (Co¬saar® u.a.) behandelt wurden. 

Auswahl aus den zahlreichen Publikationen zu IFIS und Tamsulosin:





Ejakulationsstörung

Rund 6000 Männer mit den Symptomen einer benignen Prostatahyperplasie beantworteten einerseits Fragen zu ihren Miktionssymptomen, anderseits zu ihrer «sexuellen Gesundheit». Der letztere Fragebogen erfasst in erste Linie Probleme, die mit der Ejakulation zusammenhängen. Gemäss den Resultaten dieser Erhebung sind Ejakulationsstörungen umso häufiger, je stärker die Miktionsbeschwerden ausgeprägt sind. Gehäuft ist die Ejakulation auch beeinträchtigt bei Männern, bei denen ein chirurgischer Eingriff an der Prostata erfolgt ist sowie bei Männern, die Tamsulosin oder einen 5-alpha-Reduktase¬hemmer einnehmen. Mehr als die Hälfte der Männer dieser Gruppen hat Probleme mit der Ejakulation (Verzögerung, Volumenverminderung u.a.)


Tamsulosin und andere Alpha-Rezeptorenblocker reduzieren die Symptome einer benignen Prostatahyperplasie oft gut und gelangen deshalb auch recht häufig zum Einsatz. Die hier beschriebenen Probleme sind jedoch durchaus relevant. Der Problematik der hypotonen Episoden kann man mit der nötigen Vorsicht weitgehend ausweichen. Das «Floppy-Iris»-Syndrom und die Ejakulationsstörungen lassen sich aber nicht einfach vermeiden. Der Rat, bei einer Kataraktoperation auch wirklich an Tamsulosin zu denken (auch wenn der Patient das Medikament aktuell nicht mehr nimmt!), sollte jedenfalls unbedingt beachtet werden. (EG)

CLARITHROMYCIN

Clarithromycin ist neben Azithromycin das am häufigsten verwendete Makrolid-Antibiotikum. Es wird u.a. bei der Behandlung respiratorischer Infekte und, heute nicht mehr immer erfolgreich, bei der Helicobacter-Eradikation eingesetzt.

Übersichten zu den Makroliden:




Markennamen: Klacid®, Klaciped® u.a.

Hypotonie: Interaktion mit Kalziumantagonisten

Von April 1994 bis März 2009 wurden in der Provinz Ontario (Kanada) 7100 Personen im Alter über 66, die alle mit einem Kalziumantagonisten behandelt wurden, mit einer Hypotonie (oder mit einem Schock) ins Spital aufgenommen. Es erfolgte ein Vergleich zwischen den Kranken, die in der Woche unmittelbar vor der Spitalaufnahme ein Makrolid-Antibiotikum erhalten hatten, und solchen, die auch ein solches Antibiotikum erhalten hatten, aber einen Monat früher. Die beiden Makrolide, die als starke CYP3A4-Hemmer bekannt sind (Erythromy-cin und Clarithromycin), führten signifikant häufiger zu einer Hospitalisation wegen Hypotonie: Die «Odds Ratio» einer Hypotonie betrug 5,8 für Erythromycin (95%-Ver¬trauens¬intervall 2,3-15,0) und 3,7 für Clarithromycin (95%-Vertrauensintervall 2,3-6,1). Azithromycin (Zithromax® u.a.) war dagegen nicht mit einem solchen Interaktionsrisiko verbunden.


In derselben kanadischen Provinz wurde eine Kohorte von alten Leuten (Durchschnittsalter 76 Jahre) untersucht, denen zwischen 2002 und 2013 zusätzlich zu einem Kalziumantagonisten Clarithromycin oder Azithromycin verschrieben wurde. Bei über 50% dieser Personen war es Amlodipin (Norvasc® u.a.), das als Kalziumantagonist verwendet wurde. Wer Clarithromycin (n=96'226) verschrieben erhielt, hatte ein doppelt so hohes Risiko, innert vier Wochen wegen einer Niereninsuffizienz hospitalisiert zu werden, als diejenigen Leute, die Azithromycin erhielten (n=94'083). Das absolute Risiko war allerdings sehr klein (0,44% der mit Clarithromycin Behandelten). Im Vergleich mit der Azithromycin-Gruppe wurden die mit Clarithromycin Behandelten auch fast doppelt so häufig wegen Hypotonie hospitalisiert; sogar bezüglich Gesamtmortalität fand sich ein ähnlicher Unterschied. Die Studienautoren sehen die Notwendigkeit von besonderer Vorsicht beim Verschreiben von starken CYP3A4-Hemmern (wie Clarithromycin) bestätigt.


Kardiovaskuläre Ereignisse

In der sogen. CLARICOR-Studie erhielten 4'373 Personen mit einer stabilen Koronarkrankheit für 2 Wochen doppelblind entweder Clarithromycin (500 mg/Tag) oder Placebo. Diejenigen, die Clarithromycin erhielten, hatten in der Folge eine signifikant erhöhte kardiovaskuläre und Gesamt-Mortalität («Hazard ratio» für kardiovaskuläre Mortalität: 1,45 mit einem 95%-Vertrauensintervall von 1,09-1,92). Die mittlere Beobachtungszeit betrug 960 Tage.

In einer sekundär definierten Subgruppenanalyse wurden die CLARICOR-Teilnehmenden nach ihrer Behandlung mit einem Statin aufgeschlüsselt. Wer mit einem Statin behandelt wurde (41% aller Teilnehmenden), hatte kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko («Hazard ratio» für kardiovaskuläre Mortalität: 0,68 mit einem 95%-Vertrauensintervall von 0,28-1,22) und keine erhöhte Gesamtmortalität.


Die Daten von rund 3000 Personen, die zwischen 2009 und 2011 wegen einer Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Lungenkrankheit (COPD) oder wegen einer Pneumonie in eines von 12 britischen Spitälern aufgenommen worden waren, wurden hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse im Folgejahr analysiert. Nach der Applikation verschiedener Korrekturen ergab sich für diejenigen Kranken, die anlässlich der akuten pulmonalen Erkrankung Clarithromycin erhalten hatten, ein signifikant erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Ereignisse (akutes Koronarsyndrom, dekompensierte Herzinsuffizienz, bedrohliche Arrhythmie, plötzlicher Herztod). Wurde dagegen ein Beta¬¬laktam-Antibiotikum oder Doxycyclin (Vibramycin® u.a.) verschrieben, fand sich keine erhöhte kardiovaskuläre Morbidität.


Während die hypotonen Episoden infolge der gleichzeitigen Verabreichung von Clarithromycin und Kalziumantagonisten einleuchtend erklärt werden können (als Folge der CYP3A4-Hemmung), ist viel schwieriger zu verstehen, weshalb Clarithromycin (nach Abschluss der antibiotischen Behandlung!) zu kardiovaskulären Problemen führen kann. Solange wir aber dazu keine besseren Daten haben, ist es wohl vorzuziehen, bei Kranken mit koronarer Herzkrankheit oder COPD andere Antibiotika zu verschreiben. (EG) 
zusammengestellt und kommentiert von E. Gysling (EG) und UP. Masche (UM)

Standpunkte und Meinungen

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Nebenwirkungen aktuell (21. Januar 2014)
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pharma-kritik, 35/No. 10
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