Mirabegron

Mirabegron (Betmiga®) wird für die Behandlung bei hyperaktiver Blase empfohlen.

Pharmakologie

Damit sich die Harnblase füllen kann, müssen sich der Detrusor entspannen und der Harnblasen-Sphinkter kontrahieren. Beides findet mit Hilfe des sympathischen Nervensystems statt, vermittelt über beta-adrenerge Rezeptoren. In den ableitenden Harnwegen beim Menschen scheint der Beta3-Subtyp vorherrschend zu sein.

Mirabegron ist ein selektiver Beta3-Agonist und fördert die Relaxation des Detrusors, was eine erhöhte Blasenkapazität und eine verminderte Miktionsfrequenz bedeutet. Keinen Einfluss nimmt Mirabegron auf die Entleerung der Harnblase, die durch das parasympathische Nervensystem kontrolliert wird. Daraus lässt sich der pharmakologische Unterschied zwischen Mirabegron und den Anticholinergika ableiten; deren Wirkung beruht vor allem darauf, dass sie die Kontraktionen des Detrusors hemmen.(1,2)

Pharmakokinetik

Mirabegron wird als Retardpräparat, als sogenannte OCAS-Tabletten («Oral Controlled Absorption System»), angeboten. Mit diesen Tabletten dauert es 3 bis 4 Stunden, bis die maximale Plasmakonzentration erreicht ist. Die biologische Verfügbarkeit steigt mit zunehmender Dosis, was vermutlich mit einer Sättigung intestinaler Transportproteine (P-Glykoprotein u.a.) zusammenhängt: nach einer Dosis von 25 mg beträgt sie im Durchschnitt 29%, nach 100 mg 45%. Vermindert wird die biologische Verfügbarkeit durch gleichzeitig eingenommenes Essen; je nach dessen Zusammensetzung kann sich die aufgenommene Mirabegron-Gesamtmenge bis auf die Hälfte reduzieren.

Mirabegron wird sowohl in unveränderter wie in metabolisierter Form ausgeschieden. Am Metabolismus sind Zytochrome (CYP3A4, CYP2D6), Glucuronyltransferasen und weitere Enzyme beteiligt. Entsprechend zahlreich sind die Metaboliten, von denen aber keiner zur pharmakologischen Wirkung beiträgt. Die renale Elimination von Mirabegron findet zum Teil über eine aktive tubuläre Sekretion statt. Als klinisch bedeutsame Halbwertszeit werden 19 Stunden angegeben; die terminale Plasmahalbwertszeit beträgt etwa 50 Stunden.

Bei eingeschränkter Nierenfunktion kann sich die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve bis aufs Doppelte erhöhen; auch bei Leberinsuffizienz nimmt sie merklich zu.(3,4)

Klinische Studien

Die Wirksamkeit von Mirabegron ist in mehreren grossen Doppelblindstudien geprüft worden (die im Folgenden mit ihren Studiennummern aufgeführt werden).

Dosisfindungsstudien haben ergeben, dass die Dosis-Wirkungs-Kurve flach verläuft; die Wirkung auf Reizblasen-Beschwerden ist mit höheren Dosen nur minim stärker als mit niedrigeren – im Gegensatz zur Herzfrequenz, die oberhalb einer Tagesdosis von 100 mg/Tag deutlich ansteigt.(5)

Als Hauptstudien werden die Studie 046 (n=1987)(6), die Studie 047 (n=1329)(7) und die Studie 074 (n=1306)(8) bezeichnet. Alle drei dauerten 12 Wochen und befassten sich mit erwachsenen Frauen und Männern, die an Reizblasen-Beschwerden litten; als Einschlusskriterium galt, dass pro 24 Stunden mindestens achtmal Wasser gelöst wurde und mindestens drei Episoden von starkem Dranggefühl (Toilettengang nicht aufschiebbar) oder von Dranginkontinenz auftraten. Mirabegron wurde jeweils einmal pro Tag eingenommen; die verwendeten Dosen betrugen 25 und 50 mg (Studie 074) bzw. 50 und 100 mg (Studien 046 und 047). Primäre Studienendpunkte bildeten die durchschnittliche Abnahme der Miktionsfrequenz und der Inkontinenzepisoden pro 24 Stunden. Die drei Studien lieferten vergleichbare Ergebnisse und lassen sich in zusammengefasster Form wiedergeben: Mit Placebo reduzierte sich die Miktionsfrequenz um 1,20, die Inkontinenzepisoden um 1,10; mit der niedrigsten Mirabegron-Dosis (25 mg) betrugen diese Werte 1,65 und 1,36, mit der mittleren Dosis (50 mg) 1,75 und 1,49 und mit der höchsten Dosis (100 mg) 1,74 und 1,50.(5,8) Ergänzend fand eine Beurteilung nach subjektiven Kriterien statt; so mussten die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer zum Beispiel angeben, wie sich der Einfluss der Beschwerden auf das Alltagsleben verändert hatte oder wie zufrieden sie mit der Behandlung waren. Auch in dieser Hinsicht liess sich ein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Mirabegron und Placebo festhalten.(5)

Unter dem primären Ziel, die Langzeitverträglichkeit von Mirabegron (50 oder 100 mg/Tag) zu prüfen, wurde die Studie 049 (n=2444) durchgeführt.(9) Während der ein-jährigen Beobachtungszeit wurde aber auch die klinische Wirkung erfasst, wobei sich Miktions- und Inkontinenzhäufigkeit in ähnlichem Mass besserten wie bei den zuvor erwähnten Studien.

Fünf Untersuchungen enthielten eine weitere Behandlungsgruppe, in der Tolterodin (Detrusitol® SR u.a., einmal täglich 4 mg) verordnet war.(6,9-12) In keiner Studie wurde allerdings bei den primären Endpunkten ein direkter Vergleich zwischen Mirabegron und Tolterodin durchgeführt (sondern Tolterodin wurde ebenfalls nur Placebo gegenübergestellt). Eine Analyse des deutschen Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, in der diese Daten aufgearbeitet wurden, kommt jedoch zum Schluss, dass sich anhand dieser Studien für Mirabegron kein Zusatznutzen gegenüber Tolterodin ableiten lässt.(13)

Unerwünschte Wirkungen

Nebenwirkungen, die unter Mirabegron beobachtet wurden, waren Blutdruckanstieg, Tachykardien und Arrhythmien, Harnwegsinfekte, Nasopharyngitis und grippeartige Symptome, Stuhlunregelmässigkeiten (Verstopfung, Durchfall), Mundtrockenheit, Überempfindlichkeitsreaktionen der Haut, Blutzuckeranstieg sowie Kopf-, Rücken- und Gelenkschmerzen. Alle diese Symptome traten allerdings bei Mirabegron, Placebo und Tolterodin ähnlich häufig auf – mit Ausnahme der Mundtrockenheit, die bei Mirabegron und Placebo deutlich weniger häufig vorkam als bei Tolterodin.(1,5)

Interaktionen

Die Mirabegron-Exposition kann durch Hemmer von CYP3A4 und P-Glykoprotein erhöht, durch Induktoren von CYP3A4 und P-Glykoprotein vermindert werden.

Mirabegron ist ein mittelstarker CYP2D6-Hemmer, was vor allem in Kombination mit Medikamenten zu beachten ist, die über CYP2D6 abgebaut werden und eine geringe therapeutische Breite besitzen. Auch das P-Glykoprotein wird durch Mirabegron schwach gehemmt; hier ist in Verbindung mit P-Glykoprotein-Substraten, namentlich Digoxin und Dagibatran (Pradaxa®), Vorsicht geboten.(1,5)

Dosierung, Verabreichung, Kosten

Mirabegron (Betmiga®) ist als Retardtabletten zu 25 und 50 mg erhältlich. Es ist zugelassen zur Behandlung von Reizblasen-Beschwerden, wobei es einmal täglich verabreicht werden soll. Die empfohlene Dosis liegt bei 25 mg/Tag, je nach Ansprechen kann sie später verdoppelt werden. Obwohl die Resorption durch Nahrung unter Umständen beträchtlich vermindert wird, kann Mirabegron gemäss Packungsbeilage mit oder ohne Essen eingenommen werden. Ob Mirabegron bei der Behandlung von Reizblasen-Beschwerden mit Anticholinergika kombiniert werden darf, ist nicht geprüft.

Bei fortgeschrittener Nieren- oder Leberinsuffizienz soll Mirabegron höchstens in einer Dosis von 25 mg/Tag verabreicht oder gar nicht verwendet werden. Ebenso muss die Dosis auf 25 mg/Tag limitiert werden, wenn Mirabegron mit starken CYP3A4-Hemmern kombiniert wird. Bei schwangeren und stillenden Frauen sowie bei Kindern und Jugendlichen ist das Medikament nicht untersucht und soll deshalb nicht verwendet werden.

Mirabegron ist kassenzulässig und kostet bei Verwendung der grösseren Packung CHF 57.80 pro Monat – sowohl mit der 25-mg- wie mit der 50-mg-Dosis. Dies entspricht ungefähr dem Preis von Tolterodin und anderen «neueren» Anticholinergika. Ein Drittel billiger sind die «älteren» Anticholinergika in nicht-retardierter Form wie Oxybutynin (Ditropan®) und Trospiumchlorid (Spasmo-Urgenin® u.a.), die jedoch 2- oder 3-mal pro Tag verabreicht werden müssen.

Kommentar

Obschon sich Mirabegron mit einem anderen Wirkmechanismus anbietet, ist vorläufig nicht anzunehmen, dass es gegen Reizblasen-Beschwerden besser hilft als die lang bekannten Anticholinergika. Am ehesten dürfte Mirabegron für Leute als Alternative in Frage kommen, bei denen Anticholinergika zu lästiger Mundtrockenheit führen.

Die Studien zu Mirabegron machen erneut bewusst, wie ausgeprägt bei Reizblasen-Beschwerden der Placeboeffekt wirkt bzw. wie gering der Gewinn ausfällt, der sich von den Medikamenten erwarten lässt; im Falle von Mirabegron heisst das konkret, dass man auf zwei Tage einmal weniger Wasser lösen muss und auf drei Tage einmal weniger eine Inkontinenzepisode erleidet.

Im Auge zu behalten ist der Blutdruck- und Pulsanstieg, der durch Mirabegron hervorgerufen wird: wenngleich in der Regel minim, könnte sich das bei einer grossen Zahl von Behandlungsjahren doch zu vermehrten kardiovaskulären Ereignissen addieren.

Standpunkte und Meinungen

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Mirabegron (26. November 2014)
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pharma-kritik, 36/No. 9
PK939
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