Behandlung von kleinflächigen Verbrennungen

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Verbrennungen und Verbrühungen (im Folgenden immer zusammenfassend als Verbrennungen bezeichnet) sind häufig und können allenfalls sehr komplexe, weitreichende Massnahmen zur Folge haben. Von entscheidender Bedeutung ist dabei eine akkurate Beurteilung des Ausmasses der Gewebeschädigung, unabhängig von der Ursache. Ausdehnung, Tiefe und Lokalisation müssen sorgfältig erfasst und beurteilt werden.

Im «Australian Prescriber» wurde im August 2015 ein Artikel über die Behandlungsmöglichkeiten von ambulant behandelbaren Verbrennungen veröffentlicht, den wir hier zusammenfassend präsentieren (1).

Häufigkeit

Jedes Jahr ist ungefähr 1% der Bevölkerung von einer Verbrennung betroffen – dies trifft in der Schweiz wie in Australien zu. Wahrscheinlich ist die Inzidenz noch höher, da längst nicht alle Verbrennungen statistisch erfasst werden. Dies dürfte im Besonderen für die wenig tiefen oder wenig ausgedehnten Verbrennungen zutreffen, für die aber oft Hilfe in der ärztlichen Praxis oder in der Apotheke gesucht wird. Schwere Brandverletzungen – in der Schweiz rund 1’000 Fälle jährlich – erfordern eine Spitalbehandlung.

Am häufigsten sind Verbrennungen direkt durch Feuer, durch heisse Gegenstände (z.B. Auspuffrohre) sowie Verbrühungen durch heisse Flüssigkeiten.

Beurteilung der Brandverletzung

Die Bedeutung einer Brandverletzung hängt ab von ihrer Tiefen- und ihrer prozentualen Flächenausdehnung bzw. ihrer Lokalisation. Die Tiefe wird bestimmt durch die Temperatur der Hitzequelle und durch die Kontaktdauer mit dieser Quelle.

Die sogenannte Neuner-Regel ist eine bewährte Methode, um die Flächenausdehnung der Verbrennung zu quantifizieren. Sie gilt für Personen, welche älter als 10 Jahre sind:

Kopf/Hals: vorne und hinten je 4,5%

Rumpf vorne 18%; Rumpf hinten 18%

Ganzes Bein je 18%; ganzer Arm je 9%

Genitalbereich 1%

Für kleinere Kinder gelten andere Werte: Der Kopf ist verhältnismässig grösser als bei Erwachsenen und wird bis zum 5. Lebensjahr auf 15% der Körperoberfläche geschätzt, die Arme auf 9,5%, Rumpf und Beine entsprechend etwas weniger.

Für die Tiefenausdehnung einer Verbrennung (Grad I bis Grad III/IV) liefert die Rekapillarisierungszeit einen guten Anhaltspunkt. Jede verbrannte Hautstelle, welche lediglich ein Erythem aufweist, nicht jedoch Blasen oder eine zusätzliche Hautverletzung, ist als oberflächlich zu bezeichnen wie auch eine solche, bei welcher sich eine rasche, sofortige Rekapillarisierungszeit zeigt. Verbrennungen mit einer langsamen Rekapillarisierungszeit oder solche, welche ein weisses, gesprenkeltes oder kirschrotes Aussehen haben, gelten als tiefe Verletzungen.

Wann ist spezialärztliche Hilfe nötig?

Mit Ausnahme von ganz leichten Verbrennungen («ersten Grades») sollten alle Verbrennungen mit einem Durchmesser von 3 cm oder mehr bzw. tiefe Verbrennungen durch eine medizinische Fachperson beurteilt werden. Sind mehr als 10% der gesamten Körperoberfläche bei Kindern bzw. mehr als 20% bei Erwachsenen verbrannt, so ist die Überweisung an eine spezielle Verbrennungsstation indiziert. (In der Schweiz gibt es zwei Schwerverbranntenzentren, an den Universitätsspitälern von Lausanne und Zürich.) Ausgedehnte Verbrennungen erfordern Notfallmassnahmen wie Flüssigkeitsersatz und eine Prävention der drohenden Verbrennungskrankheit (Multiorganversagen durch Verbrennungsschock).

Bei Verbrennungen, welche bei Kindern zwischen 5% und 10% und bei Erwachsenen zwischen 10% und 20% der Hautfläche betreffen, ist hauptsächlich wegen der Schmerzbekämpfung eine spezialärztliche Konsultation und allenfalls ein Spitalaufenthalt angezeigt. Dies gilt auch für Verbrennungen in heiklen Regionen (Luftwege, Gesicht/Hals, Perineum) sowie für grössere Läsionen an den Händen und Füssen. Auch bei Personen mit vorbestehenden Erkrankungen wie Diabetes, Immuninkompetenz, bei sehr jungen Kindern oder sehr alten Leuten und bei solchen mit einem zusätzlichen Verletzungstrauma ist spezialisierte Betreuung notwendig.

Alle Personen, deren Verletzungen von chemischen oder elektrischen Quellen stammen, sollten auf einer Verbrennungsstation behandelt werden. Chemisch bedingte Verbrennungen sind oft sehr tief und können Dekontaminierungsmassnahmen oder ein notfallmässiges Débridement benötigen. Scheinbar harmlose Verletzungen durch Elektrizität haben zur Folge, dass eine kardiale Überwachung wegen der Gefahr von Herzarrhythmien notwendig ist.

Verbrennungen im Bereich eines Gelenkes sind mit der Gefahr von Narbenkontrakturen und damit von (bleibenden) Beweglichkeitseinschränkungen verbunden. Verbrennungen, die den ganzen Umfang einer Extremität oder des Rumpfes betreffen, erfordern allenfalls Entlastungsschnitte (Escharotomie).

Je länger die Heilung benötigt, desto höher ist das Risiko einer Narbenbildung. Deshalb sollten auch anfänglich harmlos erscheinende Verbrennungen spezialärztlich beurteilt werden, wenn die Heilung protrahiert verläuft (>10 Tage). 

Welche Wunden können ambulant behandelt werden?

Kleine oberflächliche Verbrennungen, die keine spezialärztliche Intervention erfordern, können gut in der Praxis behandelt werden. In der Apotheke kann Soforthilfe geleistet und – wenn notwendig – zu ärztlicher Hilfe geraten werden.

Sofortmassnahmen

Wenn Kleider Feuer fangen, sollten sich die Betroffenen stillhalten, das Gesicht mit den Händen schützen, sich zu Boden werfen und hin und her rollen («stop, drop, cover your face and roll»). Es ist wichtig, die Flammen rasch zu ersticken und dann die Kleidung (auch Windeln, Schmuck!) nach Möglichkeit zu entfernen. Eingebrannte Kleidungsreste müssen auf der Haut belassen werden, man entfernt sie unter stationären Bedingungen.

Der Verbrennungs-bedingte Gewebeschaden kann eingeschränkt werden, wenn Verbrennungen möglichst rasch mit fliessendem kaltem Wasser (15°C oder noch kühler) abgekühlt werden. Erwachsene werden so während 20 Minuten behandelt (2), Kinder nach Verträglichkeit kürzer (Säuglinge: 5 Minuten). Diese Kühlung, die auch schmerzlindernd wirken kann, erfolgt am besten innerhalb der ersten Stunde nach dem Ereignis (allenfalls bis zu drei Stunden danach). Bei chemischen Verbrennungen ist ebenfalls reichlich fliessendes kaltes Wasser zur Dekontamination angezeigt.

Unerwünscht ist eine Unterkühlung, die bei grossen Verbrennungsflächen, bei Kindern und älteren Personen auftreten kann (kein Eis!). Von Brandverletzungen verschonte Bereiche sollten warmgehalten werden.

Weitere Behandlung und Betreuung

Brandverletzte sind Starrkrampf-gefährdet, weshalb der Impfstatus sofort überprüft und allenfalls nachgeimpft werden soll.

Ist die Haut nach der Kühlung intakt und es sind keine Blasen vorhanden, so kann auf einen Verband verzichtet werden. Die Haut soll aber mit feuchtigkeitsspendenden Externa (Lotionen, Crèmen) gepflegt werden. Ist die Haut jedoch verletzt oder sind Blasen vorhanden, soll die Verletzung (wie oben beschrieben) evaluiert und allenfalls spezialärztlich betreut werden.

Verbandmaterial: Verbände haben hauptsächlich den Sinn, Wunden sauber und feucht zu halten. Falls Blasen vorhanden sind, wird ein Verband mit antimikrobieller Beschichtung empfohlen. Dazu eignen sich silberhaltige Kompressen oder mit Chlorhexidin imprägnierte Tullegras-Verbände. (In der Schweiz sind «Suprasorb A+Ag» mit Silber bzw. «Tegaderm CHG» mit Chlorhexidin erhältlich.) Die Häufigkeit des Verbandwechsels hängt ab vom verwendeten Produkt und der Menge des Wundsekretes. Verbrennungswunden sind sehr schmerzhaft, weshalb ein weniger häufiger Verbandwechsel mit weniger Schmerzen aber auch mit einem geringeren Infektionsrisiko verbunden ist, was einer ungestörten Heilung förderlich ist. Diese Umstände sollte man in Erwägung ziehen, wenn man entscheiden muss, ob preislich günstigeres oder weniger günstigeres Verbandmaterial verwenden soll.

Die Therapiedauer ist abhängig von den Heilungsfortschritten. Eine Wunde kann als geheilt bezeichnet werden, wenn sie vollständig reepithelisiert ist und einen rosa Farbton aufweist.

Silbersulfadiazin: Bis vor kurzem wurden bei Verbrennungen oft Silbersulfadiazin-haltige Crèmen (z.B. Flammazine®) verwendet. Diese erfordern aber einen täglichen Verbandwechsel. Zudem führt Silbersulfadiazin zur Schorfbildung, was die Beurteilung der Wunden schwierig macht und möglicherweise die Epithelisierung behindert (3). Silbersulfadiazin wird deshalb besser nur bei infizierten Brandwunden eingesetzt, wobei es auf eine sterile Kompresse aufgetragen werden soll. Infizierte Brandwunden sollten in einem spezialisierten Zentrum behandelt werden, da eventuell ein Débridement oder eine parenterale Antibiotika-Behandlung notwendig ist. 

Feuchtigkeitsspendende Externa: Verbrennungen führen sehr oft zu Hauttrockenheit und zu Juckreiz, weshalb feuchtigkeitsspendende Externa zur Pflege empfehlenswert sind. Von den zahlreichen erhältlichen Produkten wird mit Vorteil eine möglichst inerte Hautpflege-Crème (W/O-Emulsion, ohne Harnstoff) ausgewählt. Bei Personen mit einer oberflächlichen Verbrennung, intakten Hautverhältnissen (keine Brandblasen) reicht eine solche feuchtigkeitsspendende Crème zu Behandlung aus.

Da die Haut auch nach der Heilung oft noch trocken und juckend bleibt, soll auch anschliessend regelmässig eine feuchtigkeitsspendende Crème verwendet werden. Produkte, die Natriumlaurylsulfat enthalten (in der Schweiz: Antidry® Mandelölsalbe), sollten gemieden werden, da sie die Haut austrocknen und Allergien verursachen können.  Dass ein Vitamin-E-Zusatz zur Verminderung der Narbenbildung beitragen könnte, ist nicht genügend nachgewiesen.

Hautreinigung: Bis zu 12 Monaten nach der Verletzung werden besser keine Seifen, sondern andere Hautreinigungsmittel (Syndets, Tenside) verwendet.

Öle: Ölhaltige Externa sollten in den ersten Monaten nach einer Verbrennung nicht verwendet werden, besonders nicht bei Kindern. Öle werden von der neuen Haut nicht aufgenommen und beeinträchtigen die Wirkung allfällig verordneter Kompressionsverbände zur Behandlung von Vernarbungen. Zu einem späteren Zeitpunkt können ölhaltige Bäder gelegentlich indiziert sein, vornehmlich dann, wenn sie eine juckreizstillende Wirkung ausüben.

Sonnenschutz: Der Schutz vor Sonneneinstrahlung in den ersten 12 Monaten nach einer Brandverletzung ist unabdingbar. In dieser Zeit kann das Risiko einer Hyperpigmentierung einer abgeheilten Wunde erhöht sein. Längerfristig ist im Bereich der ehemaligen Brandverletzung mit einem höheren Risiko für einen Hautkrebs zu rechnen. In den ersten Wochen nach einer Verbrennung sind Sonnenschutzmittel möglicherweise irritierend; man wählt mit Vorteil solche für empfindliche Haut (Kinder-Sonnenschutzmittel). Den besten Schutz vor Sonneneinstrahlung bietet jedoch die Kleidung (lange Ärmel, lange Hosen, Sonnenhut).

Mittel gegen Juckreiz: Besonders grossflächige Verbrennungen können in der Heilungsphase Juckreiz verursachen, was (wie auch daraus folgendes Kratzen) die Wundheilung beeinträchtigt. Deshalb wird nicht selten eine Verordnung von Antipruriginosa (Antihistaminika) notwendig. Auch lokal applizierte Mittel (feuchtigkeitsspendende Crèmes, Hydrolotionen) können verwendet werden.

Systemische Antibiotika: Um die Entwicklung resistenter Erreger aufzuhalten, ist eine systemische Verabreichung von Antibiotika nach Möglichkeit zu vermeiden. Normalerweise halten antimikrobiell wirkende Verbände die Kolonisation auf einem Minimum. Nur wenn klinisch offensichtlich eine Infektion vorliegt oder Hinweise auf einen systemischen Infekt vorhanden sind, sollten Antibiotika eingesetzt werden. In diesen Fällen ist eine spezialärztliche Konsultation notwendig.

Kommentar

Nicht alle in Australien verfügbaren Lokaltherapeutika sind auch in der Schweiz erhältlich; grundsätzlich sind die hier beschriebenen Prinzipien aber auch in Europa anwendbar. Ergänzend ist anzufügen, dass viele Brandverletzte wegen erheblicher Schmerzen zudem eine adäquate Schmerztherapie benötigen. Dies ist vor allem auch bei Kindern zu berücksichtigen.

Zusammengefasst und ergänzt von Thomas Weissenbach

 

Standpunkte und Meinungen

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Behandlung von kleinflächigen Verbrennungen (26. März 2016)
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