Langwirksame Opioide bei nicht-tumor-bedingten Schmerzen problematisch

  • k -- Ray WA, Chung CP, Murray KT et al. Prescription of long-acting opioids and mortality in patients with chronic noncancer pain. JAMA 2016 (14. Juni); 315: 2415-23 [Link]
  • Zusammenfassung: Felix Tapernoux
  • Kommentar: Renate Herren
  • infomed screen Jahrgang 20 (2016) , Nummer 5
    Publikationsdatum: 5. Oktober 2016
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Studienziele

Opioid-Analgetika werden zunehmend auch gegen chronische nicht-
tumorbedingte Schmerzen verschrieben. Parallel dazu nehmen die 
Bedenken hinsichtlich der potentiellen Schäden zu. Neben einem 
erhöhten Risiko für Überdosis-bedingte Hospitalisationen und 
Todesfälle haben Opioide auch eine ungünstige Wirkung, da sie 
nächtliche Atemstörungen, kardiovaskuläre Ereignisse und weitere 
Gesundheitsprobleme verursachen. Neben der Gesamtmortalität im 
Vergleich zu anderen analgetisch wirksamen Substanzen 
interessierten in dieser Studie auch das Risiko für Todesfälle 
ausserhalb des Spitals und dasjenige für Todesfälle, welche nicht 
auf eine unbeabsichtigte Überdosis zurückzuführen waren.

Methoden

22'912 Medicaid-Versicherte aus dem amerikanischen Bundesstaat 
Tennessee, denen im Zeitraum von 1999 bis 2012 zum ersten Mal 
langwirksame Opioide gegen nicht-tumorbedingte Schmerzen 
verschrieben worden waren, wurden mit einer gleichen Zahl Personen 
vergleichen, die neu ein Antikonvulsivum bzw. ein tri- oder 
tetrazyklisches Antidepressivum gegen chronische Schmerzen 
einnahmen. Dabei wurde ein sogenanntes «propensity matching» 
durchgeführt – das heisst, es wurde für jede Person unter Opioiden 
eine Kontrollperson gewählt, welche mit dieser in Bezug auf 122 
verschiedene Variablen möglichst vergleichbar war. Personen mit 
Krebserkrankungen in einer palliativen Situation und Personen über 
75 Jahre wurden nicht berücksichtigt. Primärer Studienendpunkt war 
die Anzahl Todesfälle im weiteren Verlauf. Diese wurden zusätzlich 
nach Todesfällen inner- und ausserhalb des Spitals und nach 
Todesursachen aufgeschlüsselt.

Ergebnisse

Das Durchschnittsalter der untersuchten Personen betrug 48 Jahre, 
60% davon waren Frauen und 75% litten unter chronischen lumbalen 
Rückenschmerzen. Die am häufigsten verschriebenen Medikamente waren langwirksames Morphin (MST Continus® u.a.), Gabapentin (Neurontin® 
u.a.) und Amitriptylin (Saroten®). Unter Opioiden kam es im Verlauf 
von 11'070 Pesonenjahren zu 185 Todesfällen, was 167 Todesfällen 
pro 10'000 Personenjahre entspricht. In der Kontrollgruppe waren es 
87 Todesfälle während 8'066 Personenjahren, was 108 Todesfällen pro 
10'000 Personenjahre entspricht. Die «Hazard Ratio» (HR) für die 
Sterblichkeit unter Opioiden betrug 1,64 (95%-Vertrauensintervall 
1,26-2,12). Auf 10'000 Personenjahre kam es so zu insgesamt 68 
zusätzlichen Todesfällen (korrigierte Risiko-Differenz). Ausserhalb 
des Spitals war das Sterblichkeitsrisiko deutlich erhöht (HR 1,90), 
während es im Spitel unverändert war (HR 1,00). Für Todesfälle, die 
nicht auf eine unabsichtliche Überdosis zurückgeführt werden 
konnten, betrug die HR 1,72, dabei handelte es sich häufig um 
kardiovaskuläre Todesfälle (HR 1,65). Am stärksten war die 
Mortalität in den ersten 30 Tage erhöht (HR 4,16), nach mehr als 
180 Tagen fand sich kein Unterschied mehr zwischen den beiden Gruppen.

Schlussfolgerungen

Bei chronischen Schmerzpatienten ist die Sterblichkeit  unter 
Opioiden deutlich erhöht. Die entsprechenden Todesfälle treten 
meist im ersten Behandlungsmonat und ausserhalb des Spitals auf, 
und sind nicht nur auf unbeabsichtigte Überdosierungen 
zurückzuführen.

Zusammengefasst von Felix Tapernoux

Die Häufung von Todesfällen unter langwirksamen Opi­oiden ist 
besorgniserregend. Die Mehrzahl der untersuchten Personen litt an 
chronischen Rückenbeschwerden, obwohl für diese Indikation bei 
fehlenden Hinweisen auf eine neuropathische Schmerzursache sowohl 
die Wirksamkeit von Opioiden als auch von Co-Analgetika umstritten 
ist. Die Studie eingebettet in die heutige Datenlage zwingt uns, 
die Indikation zur medikamentösen Therapie chronischer Schmerzen 
insbesondere mit Opioiden streng zu stellen. Die gegenseitige 
Unterzeichnung eines Vertrages vor Start einer Opioidtherapie wird 
international empfohlen. Da die Schlafapnoe eine mögliche Ursache 
der gehäuften kardiovaskulären Todesfälle ist, liegt es nahe, die 
Betroffenen vor Therapiebeginn entsprechend zu evaluieren. Vor 
Beginn einer Therapie könnte es hilfreich sein, die Patientinnen 
und Patienten u.a. über Gefahren und Warnsymptome einer 
Überdosierung zu informieren und auf die Gefahr der Akkumulation 
von retardierten Opioiden (insbesondere bei Verkürzung der 
empfohlenen Zeitabstände zwischen zwei Dosen) hinzuweisen. Zu 
Beginn der Therapie sind die Behandelten engmaschig zu begleiten, 
da die Todesfälle vor allem in den ersten Wochen gehäuft auftreten. 
Ob die hier übliche individuelle Titration mit kurzwirksamen 
Opioiden zu Beginn der Opioidtherapie die Anzahl Todesfälle 
vermindert, wird in der Studie nicht beantwortet. Den 
Studienunterlagen ist auch nicht zu entnehmen, ob eine solche 
durchgeführt worden war.

Renate Herren

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