Ein kritischer Blick auf anamnestisch berichtete Penicillinallergie

  • m -- DesBiens M, Scalia P, Ravikumar S, Glick A, Newton H, Erinne O, Riblet N. A closer look at penicillin allergy history: systematic review and meta-analysis of tolerance to drug challenge. Am J Med. 2019 Oct 21 [Epub ahead of print]. [Link]
  • Zusammenfassung: Natalie Marty
  • Kommentar: Werner Pichler
  • infomed screen Jahrgang 24 (2020)
    Publikationsdatum: 20. April 2020
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Eine echte Penicillinallergie ist selten. In den USA geben aber 10-20% der Patientinnen und Patienten eine solche Allergie in der Vorgeschichte an. In dieser Meta-Analyse wurde geprüft, in welchem Ausmass Personen, die von einer Penicillinallergie berichten, versuchsweise verabreichte Penicilline vertragen. 23 Studien mit 5056 Studienteilnehmenden konnten ausgewertet werden. 94,4% dieser Personen vertrugen das Medikament problemlos. Die Studienverantwortlichen betonen, dass eine fälschlicherweise angenommene Penicillinallergie zu einem unnötigen Einsatz alternativer Antibiotika führen kann, die möglicherweise weniger wirksam, toxischer und teurer sind. 

Natalie Marty

Kommentar

Penicillinallergie ist eine Crux – weil eine echte Penicillinallergie sehr gefährlich sein kann, weil eine wichtige Antibiotikagruppe von der Therapie ausgeschlossen wird, weil die Angabe einer Penicillinallergie oft falsch ist und weil der Nachweis mittels Testung oft schwierig ist und man nicht so einfach eine Toleranz beweisen kann. In der vorliegenden Arbeit wurde der Behauptung («Ich bin allergisch auf Penicillin») nachgegangen, wobei frühere Daten bestätigt werden, dass in nur ca. 5% diese Angabe durch Provokation untermauert wird.  Soll man also die Angabe einer Penicillinallergie ignorieren? Gleich provozieren? Testen und dann provozieren? In der Masse der zu analysierenden Daten und Empfehlungen geht etwas verloren: Man kann auch nachfragen, welche Umstände vorlagen, die zur Behauptung einer Penicillinallergie geführt haben. Das mag nicht immer möglich sein, aber es lohnt den Versuch. Fragen bei Erwachsenen: War es in der frühen Kindheit (meist <6-jährig)? Kann sich die Person nicht erinnern? War es ein Hautausschlag ohne Hospitalisation oder ohne Arztbesuch? Eine schwere Reaktion, z.B. eine Anaphylaxie, hätte zur Konsultation geführt, und dann lohnt sich die Vorsicht; falls sich aber jemand nicht erinnern kann, ist es wahrscheinlich, dass auch schon die Erstreaktion harmlos war und man eine Penicillinbehandlung riskieren könnte. Eher vorsichtig wäre ich bei Penicillinallergien, die im Erwachsenenalter aufgetreten sind (d.h. hier eher abklären, eventuell provozieren). Wichtig, entgegen alten Lehrbuchangaben: Dass der Ausschlag zusammen mit einem EBV-Infekt auftrat, spricht nicht gegen eine echte Penicillinallergie: Wir haben einige schwere Fälle gesehen, wo die Erstreaktion auf Amoxicillin wegen gleichzeitigem EBV-Infekt ignoriert wurde und dann zu schweren Reaktionen führte. Vorsicht ist auch nötig, wenn eine klassische akute Urtikaria und Anaphylaxie vorgelegen haben. Mit ein paar Fragen kann man der Angabe «Penicillinallergie» etwas den Schrecken nehmen.

Werner J. Pichler

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infomed-screen 24 -- No. 4
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Ein kritischer Blick auf anamnestisch berichtete Penicillinallergie ( 2020)