Antidepressiva zur Entwöhnung vom Rauchen

Update

Angesichts der enormen Bedeutung des Rauchens für die Entstehung verschiedener Erkrankungen kommt der Hilfe bei der Entwöhnung vom Rauchen grosses Gewicht zu. In einer vor mehreren Jahren in der «pharma-kritik» publizierten Übersicht wurde betont, wie wichtig das ärztliche Gespräch, die individuelle Beratung und Gruppensitzungen sind. Zu diesem Zeitpunkt bestand auch genügend Evidenz, dass die Chance für eine Abstinenz mit Nikotinersatz oder durch das Antidepressivum Bupropion (Amfebutamon, Zyban®) verbessert werden kann.(1)

Aktuelle Übersicht zum Thema

Die «Cochrane Library» hat in der ersten Ausgabe des Jahres 2007 eine aktualisierte Version der systematischen Übersicht «Antidepressiva für den Rauchstopp» («Antidepressants for smoking cessation») veröffentlicht. Diese umfasst heute 53 randomisierte Studien, davon 40 mit Bupropion und 8 mit Nortriptylin (Nortrilen®).(2)

Bupropion (Amfebutamon)

Klinische Studien

Bupropion (Zyban®) ist ein Amphetamin-Abkömmling mit dopaminergen und adrenergen Wirkungen. Im Gegensatz zu den USA und Deutschland wurde der Wirkstoff in der Schweiz nie als Antidepressivum registriert, sondern nur zur Behandlung der Nikotinabhängigkeit vermarktet. Ob eine Blockierung von Nikotinwirkungen, eine Stimmungsaufhellung oder andere Mechanismen die Entwöhnung vom Rauchen unterstützen, ist nicht schlüssig gezeigt worden. Heute stützt sich die Beurteilung der Wirksamkeit bei der Entwöhnung vom Rauchen auf 40 randomisierte Studien, in denen Bupropion über mindestens sechs Monate mit Placebo oder anderen Medikamenten verglichen wurde. In allen diesen Studien erhielten die Teilnehmenden Unterstützung in Form von Gesprächen und/oder Gruppensitzungen.

In 31 Studien mit über 10'000 Teilnehmenden wurde Bupropion als alleiniges Medikament mit Placebo verglichen. Fast immer wurde Bupropion in einer Dosis von zweimal 150 mg täglich für 7 oder 12 Wochen verabreicht. Jeweils nach 7 bis 10 Tagen Behandlung sollte mit dem Rauchen aufgehört werden. Nach sechs oder mehr Monaten hatten im Durchschnitt 19% in den Bupropiongruppen und 10% in den Kontrollgruppen nicht mehr zu rauchen begonnen (gepoolte «odds ratio» [OR] von 1,94; 95%-Vertrauensintervall [95%-CI] 1,77 bis 2,40). In 17 Studien mit knapp 7'000 Teilnehmenden wurde die Abstinenzrate nach 12 oder mehr Monaten untersucht: in den Bupropiongruppen betrug diese durchschnittlich 17%, in den Kontrollgruppen 9%. Studien mit unterschiedlicher Behandlungsdauer zeigten keine relevanten Unterschiede in der Wirksamkeit. Auch verschiedene Dosen scheinen ähnlich wirksam: so nützten in einer Studie 150 mg täglich etwa gleich gut wie 300 mg.

Heterogen sind die Resultate von vier Studien, in denen Bupropion mit einer Nikotinersatz-Behandlung kombiniert wurde. Zwei Studien, eine bei Schizophrenie-Kranken und eine bei Jugendlichen, fanden keine signifikante Wirksamkeit. In einer Studie mit 239 Personen führte das Nikotinpflaster allein zu einer Abstinenzrate von 19% nach 12 Monaten; die Kombination mit Bupropion erbrachte keinen zusätzlichen Nutzen (15%). Im Gegensatz dazu steht eine vierte Studie mit knapp 500 Teilnehmenden, in welcher die Kombination wirksamer als eine Behandlung mit einem Nikotinpflaster allein erschien. Allerdings war in dieser Studie der Nikotinersatz aussergewöhnlich wenig wirksam: Nach 12 Monaten waren nur 10% abstinent geblieben gegenüber 22% in der Kombinationsgruppe.

Gemäss der letzteren Studie ergibt Bupropion auch eine signifikant höhere Abstinenzrate (18%) als eine Nikotin-Ersatztherapie (10%). Kombiniert man die Resultate dieser Studie aber mit denjenigen von zwei weiteren (kleineren) Studien mit einem direkten Vergleich der beiden Interventionen, so findet sich kein signifikanter Unterschied mehr.

Einheitlicher sind die Resultate von drei Studien, in denen Bupropion über eine längere Zeit als Rückfallprophylaxe gegeben wurde. Ob Bupropion nach einem erfolgreichen Ausstieg für 14 Wochen, für 6 oder für 12 Monate eingesetzt wurde, führte in keiner der Studien zu einer anhaltenden signifikant höheren Abstinenzrate.

Faktoren wie das Geschlecht oder Alter der Behandelten, das Vorliegen von depressiven Symptomen oder das Ausmass an gleichzeitiger psychologischer Unterstützung haben vermutlich einen Einfluss auf den Erfolg beim Aufhören mit Rauchen. Die Verantwortlichen der Cochrane-Übersicht versuchten anhand der durchgeführten Studien herauszufinden, ob diese Faktoren auch einen Einfluss auf die relative Wirksamkeit von Bupropion hätten. Die Ergebnisse der durchgeführten Untergruppen- Analysen lassen aber keine klaren Schlüsse zu.

Unerwünschte Wirkungen


Bupropion unterscheidet sich in seinen unerwünschten Wirkungen von anderen Antidepressiva. Zwar handelt es sich bei den häufigsten beobachteten Nebenwirkungen auch um Schlafstörungen, trockenen Mund und Übelkeit. In den Studien brachen meistens zwischen 7% und 12% (in einer Studie allerdings 31%) die Behandlung wegen unerwünschten Wirkungen ab. Häufiger als bei anderen Antidepressiva scheinen allergische Reaktionen vorzukommen, vor allem an der Haut, seltener in Form einer Störung, die einer Serumkrankheit ähnelt. Bupropion kann zudem zerebrale Krampfanfälle auslösen. Wegen dieser Gefahr sollen Personen mit einem erhöhten Risiko für Krampfanfälle (frühere Epilepsie, Alkoholoder Benzodiazepinentzug u.a.) nicht behandelt werden. Auch soll die Dosis allgemein nicht über 300 mg täglich gesteigert werden. In den kontrollierten Studien mit vergleichsweise strengen Ausschlusskriterien wurden 7 Krampfanfälle auf rund 8'000 Behandlungen beobachtet. Das entspricht etwa einer Häufigkeit von 1 pro 1'000 Behandlungen, wie sie auch in Überwachungsprogrammen in Ländern, in denen Bupropion nur zur Entwöhnung vom Rauchenzugelassen ist, beobachtet wurde. Bei Überdosierungen steigt das Risiko für Krampfanfälle stark an. Es wurden auch Todesfälle bei Überdosierungen beobachtet.(2,3)

Zu beachten ist ferner das Potential für Interaktionen: Bupropion hemmt das Zytochrom-Isoenzym CYP2D6, was zu erhö ten Spiegeln von gleichzeitig verabreichten Medikamenten führen kann, die über das CYP2D6 metabolisiert werden wie bestimmte Betablocker, Antidepressiva und Neuroleptika sowie Tramadol (Tramal® u.a.). Die gleichzeitige Anwendung mit anderen Antidepressiva, Neuroleptika und Tramadol ist auch problematisch, weil sie zu einer weiteren Zunahme des Krampfrisikos führen könnte. Dies gilt vermutlich auch für Medikamente wie Fluorochinolone oder Anticholinergika, welche zwar nicht in ihrem Metabolismus beeinflusst werden, aber auch die Krampfschwelle senken.

Nortriptylin

Klinische Studien
Nortriptylin (Nortrilen®) ist ein Metabolit von Amitriptylin (Saroten®, Triptyzol®) und wird wie dieses zu den trizyklischen Antidepressiva gezählt. Nortriptylin zeichnet sich durch eine stärkere Wiederaufnahmehemmung von Noradrenalin aus, während die Wirkung auf die Serotonin-Wiederaufnahme geringer ausfällt. In den letzten Jahren nahm das Interesse der Fachwelt an der Wirksamkeit von Nortriptylin bei der Entwöhnung vom Rauchen zu. Obwohl es sich um ein älteres Medikament handelt, wurden in den letzten 5 Jahren sechs randomisierte Studien zu dieser Indikation veröffentlicht. Damit stützt sich die Beurteilung der Wirksamkeit heute auf acht Studien.

In sechs kleineren Studien mit insgesamt 975 Teilnehmenden wurde Nortriptylin als alleiniges Medikament zur Unterstützung der Rauchentwöhnung mit Placebo verglichen. Nortriptylin wurden bis zu einer Dosis von 75 mg täglich, in einzelnen Studien bis 150 mg täglich gesteigert und zwischen 6 und 14 Wochen verabreicht. Zusammengenommen resultierte eine signifikant höhere Abstinenzrate nach 6 Monaten oder länger von durchschnittlich 20% gegenüber 10% in den Placebogruppen (OR 2,34; 95%-CI 1,61 bis 3,41).

In zwei ebenfalls kleineren Studien mit insgesamt 318 Teilnehmenden wurde Nortriptylin zusätzlich zu einer Nikotin- Ersatzbehandlung verwendet. Unter der Kombination betrug die durchschnittliche Abstinenzrate 26% gegenüber 19% mit einem Nikotinpflaster allein. Dieser Unterschied erreichte keine statistische Signifikanz (OR 1,48; 95%-CI 0,87 bis 2,54).

In drei Studien mit insgesamt 417 Teilnehmenden verglich man Nortriptylin mit Bupropion. In allen drei war die Abstinenzrate in den Bupropiongruppen tendenziell höher. Aber auch zusammengenommen blieb der Unterschied (27% gegenüber 21%) statistisch nicht signifikant (OR 1,43; 95%-CI 0,90 bis 2,27).

Unerwünschte Wirkungen


Trockener Mund, Schläfrigkeit, Schwindel und Verstopfung – typisch für ein trizyklisches Antidepressivum – sind häufige unerwünschte Wirkungen von Nortriptylin. In Studien zu der Entwöhnung vom Rauchen mit Dosierungen von 75 mg bis 150 mg täglich brachen 4% bis 9% die Behandlung wegen unerwünschten Wirkungen ab. Dies ist vergleichbar mit den Abbruchraten von Bupropion. Bei Überdosierung z.B. bei Suizidversuchen verursachen trizyklische Antidepressiva häufig gefährliche, zum Teil tödliche kardiale Störungen.

Andere Antidepressiva

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI): Drei Studien mit Fluoxetin (Fluctine® u.a.), zwei mit Paroxetin (Deroxat ® u.a.) und eine Studie mit Sertralin (Gladem® u.a.) konnten keinen Nutzen bezüglich längerfristiger Abstinenz bei ausstiegswilligen Raucherinnen und Rauchern belegen.

Je eine kleinere Studie wurde auch durchgeführt mit Venlafaxin (Efexor®) und dem MAO-Hemmer Moclobemid (Aurorix® u.a.). Beide konnten keinen Nutzen bei der Entwöhnung vom Rauchen zeigen.

Kommentar

Die heute vorliegenden Daten lassen folgende Schlüsse zu: Bupropion und Nortriptylin helfen ausstiegswilligen Raucherinnen und Rauchern, längerfristig abstinent zu bleiben. Die Chance, länger als 6 (und wahrscheinlich auch 12) Monate abstinent zu bleiben, lässt sich mit der Einnahme dieser Medikamente etwa verdoppeln. Sie sind damit etwa ähnlich wirksam wie Nikotinersatz- Präparate, deren Wirksamkeit sie bei kombinierter Verabreichung höchstens unwesentlich zu verbessern mögen. Offenbar ist für die unterstützende Wirkung von Bupropion und Nortriptylin beim Rauchstopp nicht ihre antidepressive Wirkung verantwortlich. Eine vergleichbare Wirkung ist mit anderen Antidepressiva, insbesondere mit SSRI, nicht zu erzielen.

Die Wichtigkeit, Rauchende zum Aufhören zu motivieren und sie beim Ausstieg zu unterstützen, kann nicht genug betont werden. Die Verschreibung eines Medikamentes, das beim Ausstieg hilft, ist aus praktischer Sicht aber eher von untergeordneter Bedeutung. Obwohl die Chance, nach einem einzelnen Absetzversuch abstinent zu bleiben, klein ist, schaffen viele Rauchende mit oder ohne Medikament schliesslich den Ausstieg. Wenn eine medikamentöse Hilfe angezeigt erscheint, stellen Nikotinpräparate wegen ihrer vergleichsweise geringen Risiken die erste Wahl dar. Von den beiden Antidepressiva mit belegter Wirkung ziehe ich Nortriptylin vor, obwohl es weniger ausführlich dokumentiert und für diese Indikation nicht registriert ist. Trizyklische Antidepressiva sind zwar keineswegs harmlose Mittel. Bupropion, das nahe mit MDMA (Ecstasy) und dem Appetitzügler Amfepramon (Regenon® u.a.) verwandt ist, erscheint mir aber das problematischere Medikament. Es verursacht auch erheblich höhere Kosten (Tageskosten von mindestens CHF 5.70 gegenüber CHF 0.85 bei Anwendung von Nortriptylin).

Standpunkte und Meinungen

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Antidepressiva zur Entwöhnung vom Rauchen (9. März 2007)
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pharma-kritik, 28/No. 12
PK162
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