Pegvisomant
- Autor(en): Urspeter Masche
- pharma-kritik-Jahrgang 29
, Nummer 12, PK189
Redaktionsschluss: 18. Februar 2008
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2007.189 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Pegvisomant (Somavert®) wird zur Behandlung der Akromegalie empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Die Akromegalie, meistens auf einem Hypophysenadenom beruhend, ist durch eine übermässige Sekretion von Wachstumshormon (Somatotropin = STH) gekennzeichnet; dadurch erhöht sich die Konzentration des «Insulin-like growth factor 1» (IGF-1), der für die klinischen Manifestationen der Akromegalie verantwortlich ist. Therapie der Wahl bei Akromegalie ist die transsphenoidale Resektion des Adenoms. Als Alternative oder Ergänzung kann eine Bestrahlung durchgeführt werden. Zur medikamentösen Behandlung, um die Wachstumshormon-Sekretion zu bremsen, standen bislang Somatostatin-Derivate und Dopaminagonisten zur Verfügung. Pegvisomant ist ein rekombinantes Wachstumshormon-Analogon, das gegenüber dem natürlichen Hormon neun Aminosäuren- Substitutionen aufweist. Ferner ist das Molekül, um es vor einer raschen Elimination zu schützen, mit vier bis fünf Polyethylenglykol-Einheiten (PEG) verbunden («pegyliert»). Pegvisomant bindet sich selektiv an die Wachstumshormon- Rezeptoren in den Zielorganen und unterbindet die Wirkung des Wachstumshormons; insbesondere wird die Produktion von IGF-1 in der Leber gehemmt.(1-3)
Pharmakokinetik
Subkutan verabreichtes Pegvisomant wird langsam resorbiert – die maximale Plasmakonzentration wird nach 33 bis 77 Stunden erreicht – und ist zu 57% biologisch verfügbar. Es wird vermutet, dass Pegvisomant, wie bei Peptiden üblich, in der Leber und anderen Organen aufgespalten wird. Die Halbwertszeit liegt bei ungefähr 6 Tagen. Zur Pharmakokinetik bei Nieren- oder Leberfunktionsstörung liegen keine Daten vor.(2,3)
Klinische Studien
Bis anhin sind bei Akromegalie 160 Personen im Rahmen von klinischen Studien mit Pegvisomant behandelt worden. Kontrollierte Vergleiche sind aber erst mit Placebo durchgeführt worden.
Die zentrale Untersuchung umfasste 111 Patienten und Patientinnen, bei denen mehrheitlich bereits eine Operation und zum Teil auch eine Bestrahlung stattgefunden hatte. Sie spritzten sich subkutan einmal pro Tag doppelblind entweder Pegvisomant oder Placebo. Die Startdosis von Pegvisomant betrug 80 mg, danach wurde mit drei verschiedenen Dosierungen (10, 15 oder 20 mg) weitergefahren. Nach 12 Wochen bestimmte man – als primären Endpunkt – die prozentuale Abnahme des IGF-1-Spiegels (der als wichtigster Marker bei Akromegalie gilt und dessen Normalisierung mit einer Angleichung der Lebenserwartung einherzugehen scheint). Während die Reduktion in der Placebogruppe lediglich 4% erreichte, waren es mit der niedrigsten Pegvisomant-Dosis 27%, mit der mittleren 50% und mit der höchsten 63%. Eine Normalisierung der IGF-1- Konzentration trat unter Placebo bei 10% der Behandelten ein, unter Pegvisomant bei 38%, 75% bzw. 82%. Auch bei Akromegalie vorkommende Symptome wie Weichteilschwellung, Arthralgien, Kopfschmerzen, verstärktes Schwitzen oder Müdigkeit liessen sich mit Pegvisomant im Gegensatz zu Placebo ein wenig lindern.(4)
Fast alle Personen, die in kontrollierten Studien Pegvisomant bekommen hatten, wurden im Anschluss an die Doppelblindphase offen damit weiterbehandelt. Unter den 90 Leuten, die mindestens 1 Jahr lang Pegvisomant verwendet hatten, lag bei 87 der IGF-1-Spiegel am Ende im Normbereich. Keinen Einfluss dagegen hatte auch eine längerfristige Pegvisomant-Gabe auf die durchschnittliche Grösse der Hypophysenadenome.(5)
In einer kleinen offenen Studie wurde gezeigt, dass auch die Kombination von Pegvisomant (einmal pro Woche) mit einem Somatostatin-Derivat (einmal pro Monat) eine Therapiemöglichkeit darstellt.(6)
Unerwünschte Wirkungen
Unter Pegvisomant beobachtete Nebenwirkungen waren Übelkeit, Durchfall, grippeartige Symptome bzw. Infekte der oberen Luftwege, Rücken- und andere Schmerzen, periphere Ödeme, Blutdruckerhöhung und Harninkontinenz.2 An der Injektionsstelle können Lokalreaktionen auftreten; dazu lassen sich auch die Lipohypertrophien am Arm und Abdomen zählen, die vorgekommen sind.(7,8) Ferner wurde ein Anstieg der Transaminasen sowie ein Fall einer Hepatitis beschrieben.(9)Einzelne Personen waren von einem Arterienverschluss, Angina pectoris, einem Myokardinfarkt, einer Panikattacke, einer Hypoglykämie oder einem Menière-Syndrom betroffen, wobei ein Zusammenhang mit der Pegvisomant-Behandlung nicht ausgeschlossen werden kann.(3)
Weil durch Pegvisomant die IGF-1-Konzentration vermindert wird, kommt es zu einem Anstieg des Wachstumshormon- Spiegels. Offenbar ist dies weder mit einem Wirkungsverlust des Medikamentes verbunden noch mit einem relevanten Einfluss auf Lipid- und Zuckerstoffwechsel oder auf das Wachstum des Hypophysenadenoms; ein definitives Urteil ist aber verfrüht. Ferner scheint sich unter Pegvisomant, trotz eines erhöhten Wachstumshormon-Spiegels, ein funktioneller Wachstumshormon-Mangel entwickeln zu können.
Bei einem Sechstel der mit Pegvisomant Behandelten wurden Antikörper gegen Wachstumshormon nachgewiesen; auch bei diesem Befund ist die Bedeutung noch unklar. Wegen der Polyethylengruppen besitzt Pegvisomant womöglich ein gewisses nephrotoxisches Potential.
Interaktionen
Bei einer gleichzeitigen Behandlung von Pegvisomant mit Insulin oder oralen Antidiabetika kann das Hypoglykämierisiko zunehmen.
Personen unter Opioiden benötigen oft eine höhere Pegvisomant- Dosis, damit der angestrebte Effekt auf den IGF-1- Spiegel erzielt wird; der Mechanismus dieser Interaktion ist nicht bekannt.
Dosierung, Verabreichung, Kosten
Pegvisomant (Somavert®) wird als Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung in drei verschiedenen Dosen zu 10, 15 und 20 mg angeboten. Es wird subkutan verabreicht. Zu Therapiebeginn werden einmalig 80 mg gespritzt, gefolgt von einer täglichen Dosis von 10 mg. Später richtet sich die Dosis nach dem Ergebnis der IGF-1-Messung, die alle 4 bis 6 Wochen vorgenommen werden soll. Pegvisomant ist kassenzulässig für die Behandlung einer Akromegalie, wenn Operation, Radiotherapie oder andere Medikamente nicht genügend wirken oder nicht in Frage kommen.
Unter der Therapie mit Pegvisomant wird zu regelmässigen Kontrollen der Leberwerte geraten. Die Anwendung in der Schwangerschaft oder Stillzeit ist nicht untersucht und sollte vermieden werden.
Der Preis von Pegvisomant bewegt sich je nach Dosis zwischen etwa 3800 und 7300 Franken pro Monat. Eine Behandlung mit Somatostatin-Derivaten (Octreotid = Sandostatin®, Lanreotid = Somatuline®) kostet etwa ein Drittel bis die Hälfte weniger, mit Bromocriptin (Parlodel®) gar nur einen kleinen Bruchteil davon; allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Präparate als weniger wirksam eingestuft werden als Pegvisomant.
Kommentar
Unter den Medikamenten, die man bei Akromegalie einsetzen kann, wenn Operation und Bestrahlung nicht zum Ziel führen, scheint Pegvisomant den IGF-1-Spiegel am zuverlässigsten zu senken, wie sich aus indirekten Vergleichen ableiten lässt. Allerdings ist erst ein relativ kleines Kollektiv mit Pegvisomant behandelt worden – sicher zu wenig, um die Langzeitverträglichkeit als gesichert zu betrachten. Anlass zu Bedenken gibt die mögliche Hepatotoxizität. Ausserdem bleiben zu allenfalls negativen Auswirkungen auf das Tumorwachstum sowie auf den Knochenumbau und den Lipid- und Kohlehydratstoffwechsel einige offene Fragen.
Ein mutmasslicher Nachteil einer Pegvisomant-Therapie ist, dass damit im Gegensatz zu Somatostatin-Derivaten keine Grössenverminderung des Hypophysenadenoms zu erwarten ist. Umso mehr müsste die Kombinationsbehandlung von Pegvisomant mit Somatostatin-Derivaten in ihrer ergänzenden Wirkung weiter untersucht werden.
Literatur
- 1) Stewart PM. Eur J Endocrinol 2003; 148 Suppl 2: S27-32
- 2) http://www.pbm.va.gov/monograph/Pegvisomant.pdf
- 3) http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/somavert/486302en6.pdf
- 4) Trainer PJ et al. N Engl J Med 2000; 342: 1171-7
- 5) van der Lely AJ et al. Lancet 2001; 358: 1754-9
- 6) Feenstra J et al. Lancet 2005; 365: 1644-6
- 7) Marazuela M et al. Ann Intern Med 2007; 147: 741-3
- 8) Maffei P et al. Ann Intern Med 2006; 145: 310-2
- 9) http://eje-online.org/cgi/content/full/154/6/805
Standpunkte und Meinungen
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