Tegaserod
- Autor(en): Etzel Gysling
- pharma-kritik-Jahrgang 23
, Nummer 18, PK281
Redaktionsschluss: 12. April 2002
DOI: https://doi.org/10.37667/pk.2001.281 - PDF-Download der Printversion dieser pharma-kritik Nummer
Synopsis
Tegaserod (Zelmac®) wird zur symptomatischen Behandlung von Frauen "mit Bauchschmerzen und Obstipation im Rahmen eines Reizdarmsyndroms" empfohlen.
Chemie/Pharmakologie
Tegaserod ist ein Aminoguanidinindol, in seiner Struktur mit Serotonin verwandt, und wirkt als partieller Serotonin-Rezeptoragonist. Die Substanz bindet sich mit hoher Affinität an 5-HT4-Rezeptoren und stimuliert so die Freisetzung von Neurotransmittern und den peristaltischen Reflex. Tegaserod verstärkt die motorische Aktivität im ganzen Magen-Darmtrakt und führt so namentlich zu einer Transitbeschleunigung.(lit)
Pharmakokinetik
Nach oraler Aufnahme erreicht Tegaserod in 1 bis 2 Stunden maximale Plasmaspiegel. Die orale Bioverfügbarkeit beträgt nur 11%; wird das Mittel mit dem Essen eingenommen, so sinkt die Bioverfügbarkeit nochmals um etwa die Hälfte. Die Plasmahalbwertszeit beträgt etwa 11 Stunden. Das Medikament wird präsystemisch im Magen hydrolysiert. Darauf folgen weitere metabolische Schritte, die zum Hauptmetaboliten, einem Glukuronid ohne nennenswerte Aktivität, führen. Ein anderer Stoffwechselweg führt direkt zur Glukuronidbildung. Eine reduzierte Nierenfunktion hat keine Auswirkungen auf die Kinetik; eine mässig eingeschränkte Leberfunktion führt aber zu erhöhten Plasmaspiegeln.(lit)
Klinische Studien
Bei der Beurteilung von Studien beim Reizdarmsyndrom sind vorab zwei Überlegungen zu erwähnen.
Das Reizdarmsyndrom (früher meistens als "Colon irritabile", heute auch als "irritable bowel syndrome" bezeichnet) ist keine einheitliche Erkrankung. Neben den Bauchschmerzen und Blähungen spielt die Defäkationsfrequenz eine wichtige Rolle. Etwa 25% der Betroffenen haben vorwiegend Durchfall, etwa 30% wechselnd Durchfall und Verstopfung und etwa 45% vorwiegend Verstopfung.(2) Eine internationale Gruppe hat diagnostische Kriterien ausgearbeitet, siehe Tabelle 1.
Das Reizdarmsyndrom kann sehr gut auf Placebo ansprechen - in verschiedenen Studien besserten sich bei 50% oder mehr der mit Placebo Behandelten die Beschwerden in dem Ausmass, dass sie die diagnostischen Kriterien nicht mehr erfüllten.
In zwei Dosisfindungsstudien, in denen total 670 vorwiegend obstipierte Personen mit Reizdarmsyndrom behandelt wurden, konnte mit Tegaserod-Tagesdosen von 4 bzw. 12 mg eine Besserung der Magen-Darmsymptome erreicht werden.(1)
Deshalb wurden in den folgenden vier grösseren Doppelblindstudien Tagesdosen von 4 mg oder 12 mg verwendet. An diesen Studien waren rund 4000 Personen mit einem "Reizdarmsyndrom mit Obstipation" beteiligt. Der Behandlungserfolg wurde anhand einer subjektiven Gesamtbeurteilung der Symptombesserung sowie der individuellen Symptome gemessen. Bisher wurde erst eine dieser Studien in den Einzelheiten veröffentlicht.
Nach Abschluss der ersten Studie (B351) erwies es sich, dass sich gemäss den ursprünglichen Beurteilungskriterien keine signifikante Wirkung von Tegaserod zeigen liess.(1) Daraufhin wurden die Beurteilungskriterien modifiziert, so dass auch eine teilweise, aber ständige Besserung als Behandlungserfolg gewertet werden konnte. Auch die Studienprotokolle der bereits begonnenen Studien wurden so geändert. Für die Studie B351 konnte mit den post hoc veränderten Kriterien wenigstens zeitweise eine signifikante Wirksamkeit von Tegaserod errechnet werden.
In der Studie B301 wurden während 12 Wochen 881 Personen (83% Frauen) mit Tegaserod (entweder 2mal 2 mg oder 2 mal 6 mg täglich) oder mit Placebo behandelt. Unter Tegaserod nahmen die Reizdarmsymptome bereits nach 1 Woche deutlicher ab als unter Placebo. Am Ende der Studie konnten (gemäss den modifizierten Kriterien) 50% der mit der höheren Tegaseroddosis und 37% der mit Placebo Behandelten als "Responder" bezeichnet werden.(3) In der ähnlich grossen Studie B307 ergab sich jedoch kein nennenswerter Unterschied zwischen Tegaserod und Placebo.(1) Für die vergleichsweise wenigen männlichen Teilnehmer dieser Studien ergab sich kein signifikanter Effekt.
In die bisher grösste Studie B358 wurden gemäss Angaben der Herstellerfirma 1519 Frauen mit Reizdarmsyndrom und Obstipation aufgenommen. Während 12 Wochen wurde die höhere Tegaserod-Dosis (2mal täglich 6 mg) mit Placebo verglichen, wobei die Patientinnen ihre subjektive Beurteilung regelmässig über die Telefontastatur eingaben. Gemäss der Gesamtbeurteilung sprachen im Laufe der Studie 45 bis 55% der Frauen auf Placebo und um 60% auf Tegaserod an. Es mussten also etwa 10 Frauen mit Tegaserod behandelt werden, damit eine davon mehr Nutzen als von einer Placebotherapie hatte. Bezüglich Schmerzen und Blähungen war die aktive Substanz besonders in den ersten 6 Wochen der Studie dem Placebo überlegen, später fand sich kein signifikanter Unterschied mehr. Frequenz und Konsistenz des Stuhles wurden dagegen während der ganzen Studie von Tegaserod im Durchschnitt besser beeinflusst.
Unerwünschte Wirkungen
In den 12 Wochen dauernden klinischen Studien berichteten etwa 12% der aktiv Behandelten über Durchfall, rund doppelt so viele wie in der Placebogruppe. Bei etwa 2% wurde Tegaserod wegen Durchfall abgesetzt. Andere unerwünschte Symptome waren praktisch gleich häufig unter Placebo wie unter Tegaserod. Gemäss den Daten, die 2001 der amerikanischen Arzneimittelbehörde (FDA) vorlagen, wurden unter Tegaserod 8 Fälle von Ovarialzysten (Placebo: 1 Fall), 8 Synkopen (Placebo: 1) und 5 Cholezystektomien (Placebo: 1) beobachtet.(4) In allen diesen Fällen wurde jedoch ein Zusammenhang mit dem Medikament als unwahrscheinlich bezeichnet.
Nach bisherigem Wissen ist nicht mit relevanten Interaktionen mit anderen Medikamenten zu rechnen.
Dosierung/Verabreichung/Kosten
Tegaserod (Zelmac®) ist als Tabletten zu 6 mg erhältlich; das Präparat ist bisher nicht kassenzulässig. Frauen mit Reizdarmsyndrom und Obstipation können für höchstens 12 Wochen zweimal täglich (morgens und abends vor den Mahlzeiten) eine Tablette einnehmen. Tritt innerhalb von 4 Wochen keine nennenswerte Besserung der Symptome ein, wird Tegaserod besser wieder abgesetzt. Schwangere und stillende Frauen, Männer sowie Kinder sollten kein Tegaserod einnehmen. Wenn zweimal die kleinere und einmal die grössere Packung verschrieben wird, kostet eine Behandlung während knapp 12 Wochen 283 Franken.
Kommentar
Vor vielen Jahren kam ein pharma-kritik-Text zum Schluss, der Nutzen von Medikamenten bei Reizdarmsyndrom sei gering. Allenfalls lohne sich ein Versuch mit einem Flohsamenpräparat (Plantago, z.B. Metamucil®).(5) Eine aktuelle Guideline der britischen Gesellschaft für Gastroenterologie bestätigt diese Beurteilung: Besonders bei Personen mit Obstipation, Bauchschmerzen und Blähungen stelle ein Plantagopräparat eine "nützliche Alternative" zu Kleie dar. Obwohl verschiedene andere Medikamente gebraucht würden, könnte keines empfohlen werden.(6) Hat sich daran mit der Einführung von Tegaserod etwas geändert? Tegaserod hat offensichtlich eine gewisse abführende Wirkung. Wie oben beschrieben, ergibt die Substanz aber gesamthaft gegenüber dem Placebo einen "therapeutischen Gewinn" von nur etwa 10%. Bauchschmerzen und Blähungen werden von Tegaserod langfristig nicht sicher besser gelindert als von Placebo. Ob sich dieser Nutzen als praktisch relevant bezeichnen lässt? Die amerikanische Arzneimittelbehörde hat sich jedenfalls bisher noch nicht davon überzeugen lassen; auch in der EU ist das Medikament noch nicht zugelassen.
Literatur
- 1) Baker DE. Rev Gastroenterol Disord 2001; 1: 187-98
- 2) Camilleri M. in: Dale DC, Federman DG (eds). Scientific American Medicine. New York: Healtheon/WebMD, 2002; 4: XXIV,4-5
- 3) Müller-Lissner SA et al. Aliment Pharmacol Ther 2001; 15: 1655-66
- 4) http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/00/slides/3627s1_9_joseph.PPT
- 5) Schmidt J. pharma-kritik 1983; 5: 89-92
- 6) Jones J et al. Gut 2000; 47 (Suppl II): 1-19
Standpunkte und Meinungen
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