Alkoholabgabe zur Schadensbegrenzung?
- Zusammenfassung:
- Kommentar: André Seidenberg
- infomed screen Jahrgang 10 (2006)
, Nummer 4
Publikationsdatum: 1. April 2006 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Studienziele
Unter Obdachlosen ist Alkoholismus weitverbreitet und Kontakte mit Notfallstationen und der Polizei besonders häufig. Die Aussichten einer Rehabilitation sind oft schlecht. In diesem kanadischen Betreuungsprojekt bei obdachlosen Alkoholkranken wurde die Wirkung einer kontrollierten Alkoholabgabe auf die gesundheitliche und die soziale Situation der Betreuten untersucht.
Methoden
Das Projekt wurde in einer 15-plätzigen Wohnstelle durchgeführt, in die Obdachlose von Obdachlosen-Hilfe, Polizei oder Sozialhilfe eingewiesen werden können. In die Studie wurden Obdachlose mit schweren Alkoholproblemen und einer Selbst- oder Fremdgefährdung aufgenommen, bei denen ein Entzug gescheitert oder verweigert worden war. Unterkunft, Mahlzeiten und allgemeine Unterstützung wurden angeboten. Zudem konnten sie von 7 bis 22 Uhr stündlich maximal 1,4 dl Wein oder 0,9 dl Sherry beziehen. Verglichen wurde die Zahl der Polizeikontakte und der Notfalldienst-Beanspruchungen vor und nach Eintritt ins Programm.
Ergebnisse
15 Männer und 2 Frauen (durchschnittliches Alter 51 Jahre, Dauer der Alkoholabhängigkeit 35 Jahre) wurden im Schnitt 16 Monate lang im Programm betreut. Die monatlichen Notfalldienst- Konsultationen aller Betreuten zusammen nahmen im Vergleich zu der Zeit vor der Betreuung von 14 auf 8 ab, die Kontakte mit der Polizei von 18 auf 9. Der tägliche Alkoholkonsum sank von durchschnittlich 46 auf 8 «drinks» (mit jeweils 14 g Alkohol). Die persönliche Hygiene und das Essverhalten besserten sich, die Medikamentencompliance war bei fast allen gut, ärztliche Termine wurden mehrheitlich eingehalten. Direkten Kosten von $771 pro betreuter Person und Monat standen Einsparungen von $447 für Notfalldienst, Spital- und Polizeikosten gegenüber.
Schlussfolgerungen
Die Abgabe von Alkohol an alkoholabhängige Obdachlose in einem betreuten Rahmen kann der Alkoholkonsum, die Zahl von Notfallkonsultationen und Polizeikontakten reduzieren und die Hygiene sowie die medizinische Versorgung verbessern.
Zusammengefasst von Franz Marty
Mit der «Originalsubstanz» Heroin sind Erhaltungsbehandlungen bei Opioidabhängigen bekannt. In einem Heim für obdachlose chronische Alkoholkranke scheint analog durch Alkoholabgabe eine erfolgreiche und kostengünstige Schadenminderung möglich. Die Reduktion von Notfällen, Hospitalisationstagen, polizeilichen Auffälligkeiten und von anderen harten Endpunkten ist eindrücklich. Alkoholmedikation ist in stationären Settings schon früher erfolgreich praktiziert worden. Können noch weniger kontrollierte Settings (Anlaufstellen) ähnlich gute Resultate zeigen? Staatlich kontrollierte Lebensräume sind allerdings grundsätzlich zu hinterfragen.
André Seidenberg
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