Verhaltenstherapie für Männer mit hyperaktiver Blase
- r -- Burgio KL, Kraus SR, Johnson TM et al. Effectiveness of combined behavioral and drug therapy for overactive bladder symptoms in men. JAMA Intern Med 2020 Jan 13; 180:411-9. [Link]
- Zusammenfassung: Felix Schürch
- Kommentar: Jure Tornic
- infomed screen Jahrgang 24 (2020)
Publikationsdatum: 19. Juli 2020 - PDF-Download dieses Artikels (automatisch generiert)
Die Männer, die in die vorliegende Studie zur Behandlung der hyperaktiven Blase eingeschlossen wurden, klagten über häufige Miktionen sowie imperativen Harndrang und unwillkürlichen Urinabgang. Die 204 Studienteilnehmer wurden in der ersten Phase einer von drei möglichen Interventionen zugeteilt: Verhaltenstherapie mit Blasentraining, Therapie mit Medikamenten oder eine Behandlung mit der Kombination beider Behandlungsansätze. Nach 6 Wochen wurde die zweite Phase eingeleitet, in der bei allen drei Interventionen beide Behandlungsansätze zur Anwendung kamen – Training und Medikamente. Bei der Therapie mit Medikamenten nahmen die Studienteilnehmer einen Alphablocker (Tamsulosin [Pradif® u.a.], 0,4 mg pro Tag) und ein Antimuskarinikum ein (Tolterodin [Detrusitol® u.a.], 4 mg pro Tag). Bei der Verhaltenstherapie mit Blasentraining bekamen die Teilnehmer in drei Sitzungen verschiedene Anleitungen bezüglich Umgang mit der Blasenstörung – beispielsweise Tipps zur Verzögerung des Toilettenganges oder Instruktionen zum Führen eines Miktionskalenders. Praktische Übungen zur Anspannung des Beckenbodens bei gleichzeitiger Entspannung der Bauchmuskulatur vervollständigten das Programm. Es zeigte sich, dass allein durch Verhaltenstherapie und Blasentraining eine Verminderung der Beschwerden erreicht werden konnte – sogar etwas deutlicher als mit Medikamenten allein. Die zusätzliche Gabe von Medikamenten hatte zusätzlich eine günstige Auswirkung auf die Nykturie und den Harndrang, war jedoch mit mehr Nebenwirkungen verbunden.
Zusammengefasst von Felix Schürch
Die Studie von Burgio et al. zeigt auf, dass physiotherapeutisch angeleitete Verhaltenstherapie eine nicht zu unterschätzende und wertvolle Erstlinien-Behandlung für Harnblasenspeichersymptome bei Männern sein kann. Erfahrungsgemäss wird sie im klinischen Alltag jedoch häufig vernachlässigt und die Therapie viel zu häufig primär auf medikamentöse Behandlungen ausgerichtet. Drei Take-Home-Messages sind für den klinischen Alltag hervorzuheben: Erstens, Verhaltenstherapie kann zu einer schnelleren und höheren Zufriedenheit als eine medikamentöse Monotherapie führen, da unter anderem auch die Patienten-Edukation einen wertvollen Beitrag leistet. Zweitens zeigt sich anhand des Angleichens der Resultate nach 12 Wochen in allen drei Studien-Armen, dass Therapiekaskaden mit bedarfsweiser Therapieeskalation mit Medikamenten sinnvoll sein können und so unnötige medikamentöse Behandlungen sowie Überbehandlungen vermieden werden können. Drittens könnte eine auf Verhaltenstherapie ausgerichtete Behandlung aufgrund der praktisch inexistenten unerwünschten Wirkungen einen nachhaltigeren Behandlungserfolg begünstigen, da Therapieabbrüche und verminderte Patienten-Compliance aufgrund von Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie (z.B. Mundtrockenheit bei Antimuskarinika oder Anejakulation bei Alpha1-Rezeptorblockern) keine Seltenheit sind.
Der primär nicht-medikamentösen und mehr auf Verhaltensmassnahmen orientierten Behandlung von männlichen Patienten mit Harnblasenspeichersymptomen sollte daher mehr Beachtung geschenkt werden. Allerdings muss hier auch angefügt werden, dass im klinischen Alltag je nach Alter und Risikokonstellation bei einem wesentlichen Anteil der männlichen Patienten eine prostatogen bedingte infravesikale Obstruktion oder intravesikale Pathologien wie z.B. Harnblasensteine oder Malignome mit im Vordergrund stehender Speichersymptomatik vorliegen können. Vor einem Therapieentscheid ist daher eine breite urologische Diagnostik mit Urethro-Zystoskopie sowie Entnahme einer Harnblasenspülzytologie und Urodynamik notwendig.
Jure Tornic
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